OKS-lab fragt…

In der Serie «OKS-lab fragt …» beantworten Dozenten, Fotografen, Macher und Absolventen der Ostkreuzschule Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie, zur Lebensart.

Das Ausstellungshaus für Fotografie C/O Berlin hat eine neue Heimat in Charlottenburg gefunden, im einstigen Amerika Haus. Während das lichtdurchflutete Gebäude behutsam modernisiert wird, läuft hinter den Kulissen die Planung auf Hochtouren. Eine Gesprächsrunde der Bildredakteurinnen Alena Siamionava und Annette Streicher mit Chefkurator Felix Hoffmann über die Kunst des Kuratierens und die Zukunft einer Institution:

Fotograf: Massimo Rodari

Felix Hoffmann, Hauptkurator C/O Berlin; Foto: Massimo Rodari

OKS-lab: Danke sehr, dass Du Dir Zeit für uns genommen hast! Beginnen wir doch gleich mit einer provokativen Frage: Heute kann ich mir alles auch im Netz angucken, wozu braucht es überhaupt noch Galerien?
Felix Hoffmann: Um sich Bilder anzugucken, braucht man keine Galerien – das stimmt. Aber um Leute zu treffen, sich zu begegnen, braucht es Orte. Diese physische Auseinandersetzung an einem Ort ist wichtig. Das können Museen sein, wo man zur Ruhe kommen kann, und an denen man Dinge fühlt, die man nicht spürt, wenn man vor einem Bildschirm sitzt. Mein größtes Ziel ist es immer wieder, Leute zu uns zu locken, die sonst nie in Museen gehen, das macht mir als Kurator die meiste Freude!

Wie würdest Du C/O Berlin jemandem beschreiben, der noch nie davon gehört hat?
C/O Berlin ist ein Ausstellungsort für Fotografie und visuelle Medien. Als private Institution arbeiten wir komplett ohne öffentliche Sockelfinanzierung. Neben den Ausstellungen – zwischen 15 und 20 Ausstellungen im Jahr – haben wir ein Kinder- und Jugendprogramm, Talent-Förderung und viele Projekte im Bereich visuelle Bildung. Der Name C/O Berlin verbindet zwei Aspekte: Wenn man kurzzeitig irgendwo wohnt, schreibt man ein Kürzel: c/o. Da wir im Postfuhramt an der Oranienburger Straße gegründet wurden, schien uns das sinnvoll. Gerade deswegen, weil C/O Berlin Verantwortung für die Stadt übernehmen will: „Taking care of Berlin“. Im Jahr 2000 gab es keinen Ort für zeitgenössische Fotografie.

Hat geklappt, könnte man sagen, wenn man die Schlangen sieht, die regelmäßig bei Euch stehen…
Ja, es hat geklappt. Es ist eine große Freude, die letzten 13 Jahre gemeistert zu haben! Wir haben in sehr unsicheren Situationen Ausstellungen gemacht – und leben fast ausschließlich von Eintrittsgeldern.

Wie ist das überhaupt möglich?
Durch ein sehr vielseitiges Programm, das einen schmalen Grad zwischen gutem Inhalt und Pop bildet.

Wonach wählt Ihr die Fotografen aus, die Ihr zeigt?
Es gibt unterschiedliche Modelle, wie man zu Ausstellungen kommt: Manche interessieren das Team, manche sind perspektivisch gedacht, manche werden von anderen Häusern initiiert. Zum Beispiel zeigen wir Ende des Jahres eine Ausstellung zu Antonionis Film Blow Up, welche diese Schnittstelle von Fotografie und Film untersucht. Die wurde gerade in der Albertina (Museum) in Wien gezeigt – eine Ausstellung, die aufwendig und teuer ist und man nur mit anderen Häusern machen kann. Dann gibt es Ausstellungen wie Annie Leibovitz oder Sebastião Salgado, wo man nur wenig inhaltlich einbringen kann, die mehr oder weniger von den Künstlern zu uns kommen. Und hier muss man sich dann fragen, ob man die inhaltliche Ausrichtung der Ausstellung mittragen kann. Wir wollen tendenziell von solchen Projekte weg. Klar, bei großen Namen ist es unumgänglich, weil hier unterschiedliche Kräfte wirken.

Warum lassen sich die Künstler nicht reinreden? Ein guter Kurator kann doch aus einer Arbeit im Zweifelsfall noch mehr herausholen. Vor kurzem gab es diese Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, in der alles gleichförmig gehängt war…
Barbara Klemm? Da betrittst du die Ausstellung und fängst an zu weinen. Niemand scheint ihr bei der Hängung geholfen, niemand scheint sie unterstützt zu haben. Ich verstehe mich nicht als Kurator-Genius, der sagt: So soll die Ausstellung aussehen und funktionieren… Ich verhalte mich eher wie ein Trainer am Spielfeldrand und versuche, die Fotografen so zu coachen, dass optimale Ergebnisse herauskommen. Ich kann Hilfestellungen geben, und wenn die Zusammenarbeit gut war, kommt am Ende ein optimales Ergebnis heraus! Das beflügelt.

Wie wird man Kurator, was ist Dein Werdegang?
Dafür gibt es kein Rezept. Ich bin Kunsthistoriker und habe zudem Kulturwissenschaft in Wien und in Berlin studiert. Ich habe dann ein Stipendium bekommen und an drei Museen gearbeitet, die einen Spezialbereich für Fotografie haben (Fotomuseum München, Kupferstichkabinett Dresden und Museum Folkwang). Dann bin ich durch Zufall zu C/O Berlin gekommen und mache das jetzt seit neun Jahren. Aber es gibt auch viele Kuratoren, die aus der Praxis kommen, die Fotografen waren oder sind.

Was macht heutzutage einen Kurator aus?
Alles wird mittlerweile kuratiert – Mode, Bücher, Läden. Der Begriff „Kurator“ hat mit seiner ursprünglichen Bedeutung kaum mehr etwas zu tun: Wo es doch eher um die Idee des Bewahrens, Zusammenhaltens eines künstlerischen Corpus geht.

Aber Du bist voll in schöpferische Prozesse involviert, initiierst auch…
Im Optimalfall schon, mein Alltag sieht leider selten so aus. Mein Job hat auch viel mit Verwaltung zu tun: Eine Ausstellung besteht nicht nur aus inhaltlichen Fragen, sondern man muss sich auch um Geld, Partnerschaften, Öffentlichkeitsarbeit oder das Nachleben einer Ausstellung Gedanken machen. Jetzt mache ich mir um die Baustelle viele Gedanken: Wo kommt das Café hin, wo der Aufzug, wie sollen die Ausstellungswände strukturiert sein?

Fotograf: Massimo Rodari

Freilegung der originalen Bausubstanz im einstigen Amerika Haus; Foto: Massimo Rodari

Dennoch erzählst Du so leidenschaftlich: Beruf – oder Berufung?
Wenn man sich mit diesem Haus und dieser Tätigkeit so stark identifiziert, ist es natürlich nie ein Beruf, sondern funktioniert nur über Leidenschaft. Und natürlich Wahnsinn! Als ich bei C/O Berlin angefangen habe, gab es den Beruf Kurator so noch nicht, sondern es gab etwas zu tun! Auch heute ist das noch so: Wenn beispielsweise eine Lampe kaputt und deshalb ein Raum im Halbdunkel ist, steige ich auf die Leiter – ich will ja, dass Besucher die Ausstellung sehen. Es gibt Kollegen, die das anders handhaben – mir macht das Spaß.

Beschreib’ uns doch mal einen Tagesablauf…
Heute früh von 9-13 Uhr war ich bei der Bausitzung, es ging um WC-Fliesen. Ja, so ist mein Alltag! (lacht) Dann bin ich zu einer hochkarätigen Wissenschaftlerin gefahren, mit der ich über einen Artikel über eine Fotografin aus den 30er Jahren gesprochen habe; sie soll einen Aufsatz für den Katalog schreiben. Ich hatte das Vintage-Material dabei und bin es mit ihr durchgegangen. Dann habe ich einen zeitgenössischen Fotografen getroffen, um zu sehen, wohin das Werk geht. Und jetzt haben wir unser Interview – so war mein Tag: Keine Mittagspause. 2,5 Zigaretten geraucht, ein Glas Wasser getrunken.

Und trotzdem fröhlich?
Ja, wenn ich jeden Tag wüsste, wo ich Mittag esse, wäre es auch langweilig.

Mal weg von der Prosa des Alltags, ein wenig zu Eurer Struktur: Wie teilt Ihr die Arbeit auf?
Die Entscheidungsstruktur und Organisationskultur sind horizontal. Es gibt nicht einen Direktor, der sagt: „Wenn ich das will, passiert es auch so…“ Es wird diskutiert, bis alle Entscheidungen mitgetragen werden. Aber es gibt eine Art Filter: Ann-Christin Bertrand und ich schlagen Ausstellungen vor, dann diskutieren wir und prüfen, wann und ob Projekte reinpassen. Totale Neuentdeckungen werden uns immer wichtiger, wie zum Beispiel die Ausstellung mit Arbeiten von Fred Herzog, einem Pionier der Farbfotografie, der in den 50er Jahren in Vancouver fotografierte. Oder wir nehmen junge Leute mit ins Programm, zum Beispiel den deutschen Fotografen Sascha Weidner. Aber auch historisch wichtige Positionen sind unverzichtbar wie Stephen Shore, dem wir 2016 eine große Retrospektive widmen, die in Europa nur an drei Orten zu sehen sein wird! Das geht nur eng vernetzt mit anderen Häusern, weil sonst so eine Ausstellung a) organisatorisch kaum möglich ist und b) man sich die Produktion gar nicht leisten kann. Beispielsweise müssen die frühen Farbfotografien von Shore aus den 70er Jahren, die im MoMA in New York liegen, komplett neu produziert werden!

Oft ist aber auch gar nicht die Ausstellung selbst so teuer, sondern die gesamte Logistik, oder?
Ja, allein die Transportkosten und Versicherungen! Das ist schon ein Riesenaufwand – und manchmal auch die Aufbereitung: Bei Robert Mapplethorpe hat die Rahmung alleine über 30.000 Euro gekostet. Dann musst du überlegen, ob du dir die Rahmung für so eine Ausstellung leisten kannst: Weil du nicht mit günstigen Rahmen arbeiten kannst, sondern der Estate von Mapplethorpe Farbe, Größe, Passepartout, einfach alles vorgibt.

Und dann hebst Du alles auf und sagst: „Mache ich zwei Jahre später eben den und den rein…?“
Hoffentlich! Man baut sich ein Rahmenlager auf und kann damit arbeiten. Was auch ganz wichtig ist für Ausstellungen, die man sich sonst nicht leisten könnte.

Was sehen wir als Erstes im neuen Haus im Westen?
Also in diesem Haus sehen wir als Erstes eine Ausstellung, die an den Ursprung von C/O Berlin zurück reicht, denn C/O Berlin wurde wegen einer großen Magnum-Retrospektive gegründet. Jetzt wird es eine erste Ausstellung geben, die um die Materialität von Fotografie und die Magnum-Kontaktbögen kreist. Auch deswegen, weil dieses Material im Verschwinden begriffen ist. Dadurch entstehen Fragen: Wie war diese Entwicklung vom Analogen zum Digitalen? Wie sind Bilder ikonisch geworden? Warum werden Bilder wichtig, wenn sie mit anderen Bildern kombiniert werden? Zum Teil sind ganze Serien auf einem einzigen Kontaktbogen zu sehen.

Dieser Beitrag ist eine Gemeinschaftsproduktion von Alena Siamionava und Annette Streicher.

In Teil II verrät der Hauptkurator, wie C/O Berlin Kontaktbögen verwandelt, was ein Bild zu Kunst macht und was ihn selbst im Museumsbetrieb bewegt.