OKS-lab fragt …

In der Serie «OKS-lab fragt …» beantworten Dozenten, Fotografen, Macher und Absolventen der Ostkreuzschule Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie, zur Lebensart.

Das Ausstellungshaus für Fotografie C/O Berlin ist künftig im Westen, direkt am Zoo beheimatet. Die erste Ausstellung dort rückt Magnum-Kontaktbögen in den Mittelpunkt und fragt nach der Materialität von Fotografie – vom Analogen zum Digitalen. Die Bildredakteurinnen Alena Siamionava und Annette Streicher sprechen mit Chefkurator Felix Hoffmann über die Funktion von Museen, öffentlichen Diskurs und die Regeln des Kunstmarkts.

Fotograf: Massimo Rodari

Hauptkurator Felix Hoffmann zwischen Bauplanen und Zukunftsplänen; Foto: Massimo Rodari

OKS: Diese Kontaktbögen – die werden dann ganz groß gezeigt?
So ist es gedacht. Wir drucken sie zum Teil auf Plakate, dass die Besucher sie auch mitnehmen können, oder vergrößern sie als Foto-Tapeten. Es ist wichtig, dass die Bilder groß sind, damit man wirklich einsteigen kann in den Kontaktbogen.

Ihr werdet also interaktiver, auch in einer weiteren Ausstellung…
Ja, wir arbeiten an einer Ausstellung, in der man sich in Fotoautomaten fotografieren lassen kann, im Stil eines berühmten Magnum-Fotografen. Dann kann man sich zum Beispiel mit einem Hund oder einem anderen Tier im Stil von Elliott Erwitt fotografieren lassen. Die Kamera ist hier auf Wadenhöhe montiert.

Wow, klingt nach einem Publikums-Renner!
Mal sehen. Mir geht es hier um Interaktion mit den Besuchern: Mann kann sich sein Porträt aufs iPhone schicken lassen – oder es physisch ausgedruckt mitnehmen.

Du befasst Dich mit vielen großartigen Fotografen – was macht ein Werk meisterlich?
Das Auge des Betrachters. Wenn du es toll findest, dann ist es toll, auch wenn die Anderen nicht dieser Meinung sind!

Wenn ich aber einen schlechten Geschmack habe?
Dann ist das eben so!

Das macht ein Bild aber noch nicht zu Kunst…
Es gibt unterschiedliche Wege und Fragen, wie Kunst zu Kunst wird. Eine Form ist die Kunstkritik, sind die Museen. Diese Zirkulationswege werden dann auf einen einfachen Nenner gebracht, wenn sie auf dem Kunstmarkt landen: Wenn viele Leute Kunst gut finden, steigt der Preis, weil die Nachfrage steigt. Das ist das Prinzip des Kunstmarktes. Und wenn ein Werk auf dem Kunstmarkt nicht bestehen kann, ist es vielleicht keine Kunst?
Ich bin mir da nicht immer sicher.

Gibt es vielleicht allgemeingültige Kriterien, auf die Leute reagieren, die einfach in den Bann ziehen?
Nein – vermutlich gibt es so viele Kriterien, wie es Menschen gibt. Während ich ein Bild von Nan Goldin viel aufregender finde, gibt es unendlich viele Sonnenuntergänge in Wohnzimmern. Entscheidend ist aber, wo wir uns gerade gesellschaftlich bewegen, wenn wir Bilder verbieten oder sie zensieren. Beispielsweise hat das Folkwang-Museum in Essen gerade eine Ausstellung mit Polaroid-Studien des französischen Künstlers Balthus abgesagt. Als Vorstudien für seine Gemälde hatte er junge Mädchen nackt fotografiert. Diese Ausstellung wurde abgesagt wegen eines Verdachts auf Pädophilie. Was mich an dieser Absage aufgeregt hat: Ich bin der tiefen Überzeugung, dass das Museum einer der letzten Orte ist, an dem man sich mit visuellen Fragen auseinandersetzen kann, die man im privaten, also nicht öffentlichen Kontext nur schwer diskutieren kann. Pädophilie ist so ein Thema. Und ich glaube, dass Museen oder Ausstellungorte es ermöglichen müssen, sich überhaupt mit diesen Themen auseinander zu setzen: Was ist Pädophilie? Was darf man zeigen, wie darf man es zeigen, warum darf man es zeigen? All diese Fragen, die daran hängen… Wir hatten das gleiche Thema bei Robert Mapplethorpe, bei Nan Goldin, bei Larry Clark… Und ich habe noch nie erlebt, dass jemand ein Kind in einer Ausstellung missbraucht hat oder angefangen hat, in der Ausstellung zu onanieren! Und ich verstehe immer noch nicht, wie man so eine Ausstellung präventiv, um so einer Diskussion zu entgehen, absagen kann! Ich glaube, dass es die Aufgabe von Museen und solchen Orten wie C/O Berlin ist, solche Diskussionen auszulösen: Auch, wenn es weh tut, wenn Leute einen als Kurator angehen. Mich haben Leute bei der Mapplethorpe-Ausstellung angegriffen und gesagt: „Da ist ein nacktes Kind!“ Und ich habe gesagt: „Ja, da ist ein nacktes Kind! Aber in einer barocken Kirche sind die Engel, die vergoldeten Putten, alle nackt!“

Fotograf: Massimo Rodari

Architektonische und künstlerische Standpunkte; Foto: Massimo Rodari

Wann würdest Du ein fotografisches Bild als künstlerisches Bild bezeichnen?
Ein Foto wird zu Kunst, wenn es als Kunst intendiert ist. Wenn ein Foto als Werbefoto intendiert ist, ist es ein Werbefoto. Wenn ein Foto als Modefoto intendiert ist, ist es ein Modefoto, und wenn es eins ist, das eine Geschichte erzählen soll, dann ist es ein fotojournalistisches Bild in einer Geschichte. Dass diese Fotos aus diesen Kontexten auf dem Kunstmarkt landen und als Kunst verhandelt werden, ist etwas ganz Anderes! Ich war neulich auf einer Tagung, da war jemand, der über Edward Steichen gesprochen hat – auf dem Kunstmarkt ein hochetablierter Künstler. Die gezeigten Fotos waren Modefotos aus den 30er Jahren, die für Condé Nast entstanden sind. Bloß wurde überhaupt nicht erwähnt, dass diese Fotos einmal Modefotos waren! Es gibt auch Leute wie Ute und Werner Mahler, die aus dem Dokumentarischen kommen, aber Projekte machen wie ihr Projekt Monalisen der Vorstädte: Wenn sich Fotografie als Kunst begreift – dann ist sie auch Kunst. Es gibt auch Prints von Irving Penn, die 90.000 Euro auf dem Kunstmarkt kosten, einst Modefotos für Vogue. Und der Kontext spielt gar keine Rolle, wenn jemand sagt: „Es ist so schön, ich lege dafür 90.000 Euro auf den Tisch.“

Gibt es ein Werk oder einen Künstler, den Du total überbewertet findest? 
Vielmehr finde ich das genaue Gegenteil interessant: Von Danny Lyon gibt es zum Beispiel phantastische Serien zur Rassen-Problematik in Amerika, die kennt hier niemand. Ebenso Serien zu Motorrad-Gangs. Das muss man ausstellen. Überschätzt ist, glaube ich, der ganze deutsche Diskurs über die Becher-Schule. Da gibt es durchaus gleichwertige künstlerische oder ästhetische Strategien – sowohl mittlerweile in Deutschland als auch in anderen Ländern.

Ihr fördert auch junge Talente: Heutzutage erlebt man oft eine Art Déjà-vu: Viele Fotos ähneln sich. Wie schwierig ist es, neue Talente zu finden?
Unser Talent-Programm besteht darin, dass sich weltweit Leute, die unter 35 Jahre alt sind, bewerben können und mit einer Einzelausstellung und Publikation gefördert werden. Es gibt jedes Jahr ein Thema. Eine Jury wählt aus den eingesandten Arbeiten (zwischen 300 und 400) vier Leute aus. Die Jury wechselt jährlich. Beispielsweise war Anton Corbijn dabei, der eher aus der Musik kommt – der sucht etwas Anderes als der Becher-Schüler Jörg Sasse. Manchmal müssen wir dann auch Entscheidungen mittragen, die wir nicht gewählt hätten. Das erweitert aber auch den Blick. Man muss nicht immer nur im eigenen Saft schwimmen.

Zum Schluss noch eine Prognose: Wie wird sich die zeitgenössische Fotografie weiterentwickeln?
Wir werden immer mehr Bilder machen, und zwar alle. Und es geht beim Fotografieren nicht darum, dass man Bilder macht, sondern darum, dass man sich als Fotograf darüber klar werden muss: Was passiert davor? Ein Konzept, das man entwickelt, bevor man irgendwo drauf drückt. Und dass man sich darüber klar wird: Was passiert mit den Bildern danach! Es geht um diesen Dreiklang – und nicht nur darum, mit der Kamera irgendwo zu stehen.

OKS: Vielen Dank für das Gespräch!

Felix Hoffmann hat Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften studiert. 
Im Rahmen des Programms „Museumskuratoren für Fotografie“ der Krupp-Stiftung hat er am Fotomuseum in München, dem 
Kupferstich-Kabinett Dresden und dem Museum Folkwang in Essen gearbeitet. Er hat zahlreiche internationale Ausstellungen kuratiert sowie Bücher herausgegeben und Texte verfasst. 
Seit 2005 ist er Hauptkurator der C/O Berlin Foundation.

Dieser Beitrag ist eine Gemeinschaftsproduktion von Alena Siamionava und Annette Streicher.

In Teil I erzählt Felix Hoffmann von C/O Berlin zwischen Bauplanen und Ausstellungsplänen, was einen guten Kurator ausmacht.