Shooting Day Weißensee: „How long is now? 2,7 sec. in Weißensee“

Der Shooting Day Weißensee fand im Oktober 2023 zum zwölften Mal statt. OKS-lab zeigt in ausgewählten Arbeiten unterschiedliche Sichtweisen auf einen facettenreichen Bezirk. Dieses Mal präsentieren wir die Arbeit von Theresa Wißmanndie „How long is now? 2,7 sec. in Weißensee“ umgesetzt hat und von Julia Otto als Bildredakteurin betreut wurde. Das Kooperationsprojekt zwischen Fotografiestudent*innen der Fachklasse und Student*innen der Bildredaktionsklasse nimmt mittlerweile einen festen Platz im Ausbildungsprogramm an der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) ein und bildet für beide Seiten einen professionellen Rahmen für spätere berufliche Alltagssituationen.

Ein Augenblick dauert 2,7 Sekunden. Diesen Zeitraum wähle ich als Belichtungszeit – ich zähle „einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig“, auf die Exaktheit einer Stoppuhr verzichte ich, lasse mich von meinem inneren Zeitgefühl leiten. Bei meiner Lochkamera ist die Blende nicht veränderbar, die Filmempfindlichkeit habe ich am Morgen festgelegt und mich für ISO 200 entschieden. Damit sind die technischen Voraussetzungen vorbestimmt und mir bleibt beim einzelnen Bild wenig Flexibilität. Ob eine Belichtung gelingt, ob also etwas sichtbar wird auf dem Film, kann ich nur grob beeinflussen, indem ich mir Situationen aussuche, an denen die Lichtverhältnisse günstig sind. Mittels App checke ich von Ort zu Ort die theoretisch benötigte Belichtungszeit. Meine Bilderserie entsteht innerhalb von zwölf Stunden, in denen ich 31 Belichtungen mache. Abends und in Innenräumen wird es schon ziemlich knapp mit dem Licht. Manchmal entscheide ich mich gegen eine Aufnahme, wenn es viel zu dunkel ist. Ein andermal ist mir das Festhalten des Augenblicks wichtiger als das Bildergebnis und ich nehme die Unterbelichtung in Kauf. 

Im Boxclub ist die Beleuchtung schlecht, trotzdem will ich den Moment des Trainings einfangen. Timing spielt beim Boxen schließlich eine große Rolle, passt also zum Thema. Zeitlichkeit und Vergänglichkeit werden auch greifbar, als ich mit dem Fahrrad am Friedhof vorbeifahre. Ich bitte den Steinmetz beim Grabsteinhandel um ein Portrait zwischen Steinen, die zum Verkauf stehen. Später sehe ich, dass auf dem Bild sein Kopf abgeschnitten ist. Zwar steht mir zur Wahl des Bildausschnitts kein Sucher zur Verfügung – ich halte mir die Kamera vor die Brust und hoffe, dass die Richtung grob stimmt. Der schwarze Streifen, der oben jedes Bild beschneidet, hat allerdings einen anderen Grund. Er zeigt an, dass sich ein Bauteil im Inneren der Kamera gelöst hat. Die Pappfussel verraten die Abreißmarkierungen des Selbstbausatzes. Durch diesen Bildfehler macht sich das Medium selbst sichtbar. Das Bild zeigt nicht nur den Augenblick, es zeigt auch das Aufnehmen des Augenblicks. 

Theresa Wißmann studiert Fotografie an der OKS (Bilder und Text).

Julia Otto ist Studierende der Bildredaktionsklasse der OKS (Konzept und Edit).

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