Nahaufnahme: Nico Knoll

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotograf*innen und Dozent*innen der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. Lennart Hölscher – aus der Bildredaktionsklasse 2022/2023 – bat den Fotografen und OKS-Studenten Nico Knoll, uns einen Einblick in die Entstehung einer seiner Arbeiten zu geben.

Als ich vor einiger Zeit das erste Mal von Lützerath und der Besetzung dort hörte, war ich gerade auf der Suche. Ich war auf der Suche nach einer Alternative und einem Fluchtweg aus meiner mich total überfordernden Lebenssituation. Zu erfahren, dass es einen Ort wie Lützerath gibt, an dem Menschen selbstverwaltet leben und gegen die Ungerechtigkeit unserer Klimapolitik kämpfen, begeisterte mich.

Es dauerte nicht lange, bis ich meine Sachen packte und aufbrach. Dort angekommen verbrachte ich anfangs viel Zeit an der Abbruchkante und wurde immer betroffener. Die riesigen Maschinen zu sehen und diese unglaubliche Zerstörung wahrzunehmen war überwältigend: Die Bagger arbeiteten pausenlos. Ihre Geräusche und das schrille Kreischen, wenn sie mit der Schaufel an einem Stein vorbeischrammten, waren hunderte Meter bis ins Innere von Lützerath zu hören. Ich kam mir vor wie in einem Endzeitfilm. Leider war es die Realität. 

Von Tag zu Tag kam ich immer mehr an und lernte ständig neue Menschen kennen. Ich wusste schnell, dass auch ich mich einbringen will, denn an diesem Ort kam so vieles zusammen: der Kampf für eine Utopie, in der Menschen frei leben können. Die Chance, über sich selbst und die Umwelt zu lernen sowie der Widerstand gegen die Ausbeutung und Zerstörung unseres Planeten zugunsten von Profitinteressen. Ich begann immer mehr zu fotografieren. Meine Traurigkeit und das Gefühl von Fassungslosigkeit wollte ich in Bildern festhalten. Ich wollte das Gefühl vermitteln, das ich spürte, wenn ich an der Abbruchkante stand und dadurch Menschen motivieren, aktiv zu werden. Zurück nach Berlin zu fahren fiel mir immer schwerer. Der Alltag und die Probleme der Menschen dort erschienen mir banal.

Kurz nach Neujahr hörte ich, dass die Polizei bereits großen Druck auf die Besetzung von Lützerath aufbaute. Ich fuhr sofort hin. Dieses Mal aber war alles anders. Ich brauchte lange, um anzukommen und zu verstehen, dass es jetzt wohl wirklich vorbei sein könnte mit Lützerath. Die Ereignisse überschlugen sich und die Einsatzkräfte überrollten das Dorf innerhalb weniger Tage. Von da an versuchte ich einfach nur diese unfassbare Zerstörung einzufangen. Mit meinem Status als beobachtender Pressevertreter wollte ich den Menschen außerdem etwas Sicherheit vor der oft willkürlichen Polizeigewalt bieten. 

Das aufgenommene Bild entstand früh am Tag der Großdemonstration am 14. Januar 2023. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei bereits die Bodenfläche innerhalb des Dorfes geräumt und unter ihrer Kontrolle. Bei der Großdemonstration kamen etwa 35.000 Menschen für den Erhalt von Lützerath zusammen. Als der Demozug aus dem Nachbarort Richtung Lützerath aufbrach, sah ich die ersten Einheiten der Bundespolizei ohne jegliche dienstliche Kennzeichnungsnummern. Mir wurde klar, dass der Auftrag war, Lützerath mit allen Mitteln zu verteidigen. Die Polizei schien komplett überfordert mit der riesigen Menschenmenge. Immer wieder stoppten die Demonstrierenden vor den Einsatzkräften. Sie sangen und waren zwar entschlossen, strahlten aber keine Gewaltbereitschaft aus. Die Polizei versuchte die Menschen immer wieder zurück und auseinander zu drängen, reagierte auf die missglückten Versuche schließlich mit Gewalt. In diesen Momenten versuchte ich, so nah wie möglich in der Szene zu sein, um das Gefühl dieses absoluten Chaos einzufangen. 

Ich habe bereits einige Demonstrationen begleitet und Gewalt zwischen Demonstrant*innen und der Polizei erlebt. Die weitestgehend einseitige und auch stumpfe Brutalität der Polizei an jenem Tag hat mich aber jedoch sehr erschrocken. 

Nico Knoll, 1996 geboren, ist ein Fotograf aus Berlin. Er studiert derzeit im Orientierungssemster in der Klasse von Irina Ruppert an der Ostkreuzschule für Fotografie. In seinen Projekten widmet er sich Lebewesen und Ereignissen, die sonst kaum Beachtung finden. Mit seiner Fotografie möchte er auf Missstände aufmerksam machen. Sein Interesse für Tier- und Klimaschutz brachte ihn zu Langzeitprojekten über Stierkämpfe und Zoos in Europa, illegalen Fischfang in Westafrika sowie zuletzt seine Auseinandersetzung mit den Klimaprotesten in Lützerath.