Nahaufnahme: Nils Böddingmeier

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotograf*innen und Dozent*innen der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. Valentina Crosato – aus der Bildredaktionsklasse 2022/2023 – bat den Fotografen Nils Böddingmeier aus der Orientierungsklasse bei Göran Gnaudschun, uns einen Einblick in die Entstehung seiner Fotos zu geben.

Ich bin dankbar dafür, dass ich die Fotografie habe, die mich motiviert, fremde Menschen anzusprechen. Diese Begegnungen schätze ich sehr.

Ich bin unterwegs, um für meine Serie „Rückzug“ zu fotografieren. Dabei suche ich nach Orten, an denen man sich in Berlin zurückziehen kann. Zu den Menschen, die ich dort zufällig antreffe, spüre ich eine Verbindung. Wie ich, brauchen sie Inseln der Ruhe im lauten Wirrwarr. Es ist Mitte Januar. Ich spaziere um die Krumme Lanke. Es ist kalt und feucht, riecht nach Erde und nassem Laub. Ab und zu nieselt es einen dünnen Vorhang. Die Menschen, die mir entgegen kommen, sind dick eingepackt. Wir alle tragen Mäntel, Schals und Mützen. Am Ufer, auf einem Handtuch sitzt ein älterer Herr. Er trägt einen Pullover und eine Badehose. Gerade wechselt er aus seinen Neopren-Socken in schwarze Baumwollstrümpfe. Ich gehe an ihm vorbei und weiß eigentlich schon, dass ich umkehren werde, um ihn um ein Portrait zu bitten. Nach hundert Metern endlich, habe ich mir ein Herz gefasst und drehe um. Wolf wird dieses Jahr 80 und schnorchelt fast täglich in der Krummen Lanke. Er erzählt mir von seinen sechs Enkeln und dass er im Sommer mit ihnen schwimmen geht.

Um der Gefahr des Ertrinkens seiner Enkel vorzubeugen, möchte er fähig sein bis auf den Grund zu tauchen, was er bei sechseinhalb Metern maximal Tiefe der Krummen Lanke auch schafft. Dann entschuldigt er sich für den Knoblauchgeruch, den ich erst gar nicht wahrnehme. Zusätzlich zur Impfung isst Wolf regelmäßig rohen Knoblauch einer ganzen Knolle. Das sind durchschnittlich zwölf Zehen. Er erzählt von einem wissenschaftlichen Paper eines Forschungsteams in Harvard, die einzig beim Knoblauch eine bei Viren wachstumshemmende Wirkung feststellen konnten. Ein paar Tage später schicke ich ihm die Bilder. Wolf antwortet mir mit einer Email, die er an seine Enkelkinder geschickt hat: „Ihr Lieben, vielleicht habt euch schon gefragt, was der Opa immer an der Krummen Lanke macht. Ein sehr netter Fotograf, mit dem ich ins Gespräch kam, gibt einen Teil der Antwort. Ein Beweis, dass ich tatsächlich im Wasser war, ist das natürlich nicht. Das müsst ihr glauben, wie die Geschichten vom Ungeheuer von Loch Ness.“

Nils Böddingmeier wurde 1988 in Bad Kreuznach, Rheinland-Pfalz geboren. Während seines Studiums der Forstwissenschaften war die Fotografie sein kreatives Ventil. Nach seinem Master in Freiburg und zwei Jahren des Arbeitens, entschließt er sich, an der Ostkreuzschule Fotografie zu studieren. Aktuell ist er in der Orientierungsklasse bei Göran Gnaudschun und lebt und arbeitet als freier Fotograf in Berlin und Freiburg. Mit dem Fokus auf Portrait- und Dokumentarfotografie beobachtet er Interaktionen von Menschen mit ihrer Umgebung.