OKS Intern

„Die bleibt bei uns“

In der ehemaligen Fischräucherei des Berliner Bezirks Weißensee zwischen den Gebäuden der Ostkreuzschule für Fotografie und der Agentur Ostkreuz befindet sich das Galerie-Café Nino mit hausgemachten Kuchen, georgischen Köstlichkeiten und heißem Orangenpunsch. Unter Bäumen im sonnigen Innenhof treffe ich die Inhaberin Nino Hasan zu einem Gespräch über ihre Kindheit in Tiflis, ihre neue Heimat Berlin und wie ihr Gott und Gernot Mahler zu einem eigenen Café an der OKS verhalfen.

Café Nino

Café Nino, Foto: Friederike Göckeler

OKS-lab: „Täglich frische hausgemachte Speisen (süß und herzhaft)“ steht auf einer großen Fensterscheibe, in der sich die roten Klinker der St. Josef Kirche spiegeln. Wann bist du auf die Idee gekommen hier ein Café zu eröffnen?
Nino Hasan: Das ist Gernots Schuld, dass ich hier gelandet bin! (lacht) Denn ich bin eigentlich gelernte Bühnenmalerin und habe hier im Hinterhof im Kollegium der Restauratoren bei Gernot, dem Bruder von Werner Mahler, eine dreijährige Weiterbildung zur Restauratorin gemacht. Das war im Jahr 1995. Danach habe ich dort bis ins Jahr 2000 mit Marita Reincke viele Gemälde und Altäre restauriert. Im Dom Fürstenwalde, im Schloss Meseberg und den Barockaltar der Kirche Hohen Luckow. Aber auch unzählige Möbel gebeizt, retuschiert und gekittet. In unseren Mittagspausen wussten wir dann nie, wohin mit unserem Hunger. Es gab nicht viel in der Umgebung und da habe ich angefangen, mein georgisches Essen vom Vortag mitzubringen oder wir haben zusammen gekocht. Das war eine sehr schöne Zeit! Als die Arbeit im Kollegium knapp wurde, kam eine Freundin auf mich zu und fragte: „Nino, bei mir in Charlottenburg, da gibt es ein kleines Café. Die Besitzerin ist erkrankt und sucht jemanden wie dich: einen herzlichen Menschen mit kulinarischem Gespür.“ Das Café hat mir gleich gefallen und obwohl ich vorher nie etwas mit Gastronomie zu tun hatte, habe ich zum ersten Mal ernsthaft darüber nachgedacht. Ich habe Marita von der Idee erzählt und dann wusste natürlich auch Gernot sofort Bescheid, der nur sagte: „Die bleibt bei uns!“ Und dann ging alles ganz schnell. Gernot, der vor Jahren den Hof hier gekaufte hatte, baute die ehemaligen Räume der Fischräucherei nach meinen Vorstellungen um. Das war dann von Anfang an mein ganz eigenes Café.

Ist für dich damit ein Traum in Erfüllung gegangen oder gab es Momente des Zweifelns?
Ich bin da einfach reingerutscht. Ich habe mir das nicht bewusst ausgesucht. Manchmal denke ich, Gott wollte das so. Aber ich male und restauriere eben auch sehr gerne und so habe ich lange gezweifelt. Letztendlich habe ich hier für die Lüftungsanlage und die ganze Einrichtung 30.000 Euro reingesteckt. Das war schon hart für mich wegen der Schulden. Ich bekam dann Tinnitus, auch weil es am Anfang nicht so gut lief. Aber Gott sei Dank kamen dann die Student/-innen der OKS und die Bude war voll. Vor allem waren sie sehr geduldig mit mir, da ich hier ja alles allein mache. Manche haben sogar mit angepackt und mir beim Geschirr geholfen. Jetzt bin ich hier irgendwie angekommen, bin mein eigener Chef und kann entscheiden was und wie ich es tue. Es ist wie eine große Familie, die kommt, zufrieden ist, mich lobt und alles isst, was ich ihr vorsetze. (schmunzelt)

Du bist 1967 in Georgien geboren. Seit der staatlichen Unabhängigkeit 1991 sind rund eine Million Menschen aufgebrochen, um fernab ihrer Heimat Arbeit in Westeuropa und den USA zu finden. Krieg und die Diskriminierung nationaler Minderheiten haben diese Tendenz zusätzlich verstärkt. Wann fiel bei dir die Entscheidung, dein Heimatland zu verlassen?
Mein erster Mann kommt aus dem Nordirak und hatte politisches Asyl hier in Berlin. Ich bin dann hochschwanger 1991 mit ihm mitgegangen. Zu der Zeit, Anfang der 1990er Jahre, spürte man schon den aufkommenden Abchasien-Krieg, es gab viele Demonstrationen auf den Straßen. Aber ich hatte eigentlich nie vorgehabt von Georgien wegzugehen. Mein damaliger Mann hat immer gesagt: „Wir kaufen hier ein kleines Haus“, die zu dem Zeitpunkt noch recht günstig waren. Aber das hat dann nie stattgefunden.

Wie habt ihr euch kennengelernt?
Xamos’ ist Dichter und wollte die russische Sprache lernen. Darum hat er in der Ukraine studiert und dort den Cousin meiner Schwägerin kennengelernt, der ihn zu einer Hochzeit nach Georgien eingeladen hat und ich war eben auch da. Zuerst hab ich ihn gar nicht wahrgenommen, zwar gesehen, aber das war es dann. Anscheinend hat er sich verliebt und wollte mich kurze Zeit darauf wiedersehen. Meine Schwägerin hat dann hinter meinem Rücken dieses Treffen organisiert – eine Art geheime Verkupplung. (lacht)

Wie hat dich Berlin empfangen? Würdest du sagen, dass du hier angekommen bist?
Als ich nach Berlin kam, war es November. Das war eine Katastrophe für mich, weil alles so grau, groß und chaotisch war. Wir haben zunächst bei einem Freund gewohnt, da gab es diese teuren Elektroboiler im Bad und ich war schockiert, dass die Leute auf den Straßen einfach so Alkohol getrunken haben. In Georgien ist das verpönt, das macht man nicht. Genauso selbstverständlich ist es, dass junge Leute in Bus und Bahn alten Menschen ihren Platz anbieten. Hier war das plötzlich anders. Andererseits habe ich gedacht: Endlich bin ich allein, ich kann ungeschminkt im Bademantel in meiner unaufgeräumten Wohnung rumlaufen. Ich habe das am Anfang sehr genossen, dieses Stückchen Freiheit. Aber dann, nach und nach, habe ich gedacht, wo sind denn alle? Und dann bin ich aufgrund meines georgisch-orthodoxen Glaubens in eine kurdische Kirchengemeinde eingeladen worden in der Nähe des Tiergartens, wo Deutsche plötzlich Kurdisch sprechen und Kurdisch tanzen konnten. Ich habe in dieser Gemeinschaft sogar mehr Kurden kennengelernt als in Georgien. Mittlerweile bin ich angekommen im multikulturellen Berlin. Mein erster Mann und ich, wir haben uns getrennt. Danach habe ich nochmal eine Tochter bekommen von einem deutschen Mann. Meine kleine Maya, die ist jetzt schon Zehn geworden. Ohne meine Familie und meine Freunde wäre ich nie hier geblieben.

Eine Kindheit im multiethnischen Georgien der 80er, mediterranes Klima zwischen Steppe und faszinierenden Landschaften, uralten Kirchen und geheimnisvollen Höhlenklöstern. Wie müssen wir uns dieses kaukasische Kindheitsmärchen unter sowjetischer Regierung wirklich vorstellen? Was vermisst du?
Ich bin 1965 im Zentrum von Tiflis geboren. Meine Kindheit habe ich im Bezirk Rustaveli verbracht – ein Treffpunkt vieler Künstler mit unzähligen Cafés, Kinos und Theatern. Meine Straße in der ich lebte war multikulti. In meiner Schulklasse waren neun verschiedene Nationalitäten: Griechen, Russen, Georgier, Armenier, Juden, Ukrainer, Polen etc. Ich selbst bin Kurdin, spreche vier Sprachen und habe einen russischen Schulabschluss. Wir haben nie Probleme miteinander gehabt. Meine Kindheit in der Sowjetunion war sehr schön. Es gab kein Arm und Reich. Die, die wirklich Geld hatten, haben das nicht so raushängen lassen. In der Schule hatten wir alle die gleiche Uniform, da spielte Geld keine Rolle, da waren wir alle gleich. Die Türen standen immer offen für alle und man war nie wirklich allein. Nach der Schule habe mal ich bei meiner Freundin zu Mittag gegessen, mal kam sie mit zu mir. Da haben wir einfach den Kühlschrank aufgemacht und uns bedient. Das war alles sehr locker. Unser Leben fand draußen auf den Straßen statt. Wir haben Gummitwist und Federball gespielt und die Pflastersteine mit Kreide bemalt. Kinder durften Kind sein und die Nachbarn trafen sich zum Quatschen auf der Straße, tranken Kaffee und erst als es dunkel wurde sind alle wieder zurück in ihre Wohnungen gegangen. Und im Winter sind wir mit der Seilbahn auf den heiligen Mtazminda gefahren, denn dort gab es den meisten Schnee. Das alles vermisse ich sehr!

Die Konflikte mit Georgien und Russland sind keine sechs Jahre her. Welche Auswirkungen der Krise gab es in deinem Heimatland?
Ganz ehrlich, ich war traurig, dass Georgien von Russland weg wollte. Wir sind nun mal Nachbarn und durch die Trennung sind sehr viele Familien zerstört worden. Der Mann meiner griechischen Freundin musste nach Russland zurück. Sie konnte wegen ihrer kranken Mutter und den vier Kindern nicht weg aus Georgien. Ganz viele meiner Freunde mussten gehen, das war sehr traurig!

Für viele Migrant/-innen ist Heimat nicht mehr geographisch verortet, sondern zu einem Platz geworden, an dem man sich wohlfühlt. Wie schaffst du dir dieses Stück Heimat?
Die Georgier geben ganz viel Liebe, haben keine Angst vor Berührungen oder ihre Kontrolle zu verlieren und machen einfach, ohne Hintergedanken. Meinen Freunden in Georgien habe ich mal geschrieben: „Ich komme mir hier wie im Gefrierschrank vor.“ Jeder Mensch braucht doch Zuneigung! Am Anfang war das sehr schwierig für mich. Ich kannte niemanden und konnte die Sprache noch nicht. Das hat ungefähr zwei Jahre gedauert und dann, nach und nach, wurde es besser. Ich habe immer auf Georgisch nachgedacht und dann auf Deutsch geantwortet und das war manchmal sehr lustig, denn ich spreche, wie ich es höre oder fühle, auch wenn ich noch viel falsch mache. Ich überlege da nicht viel. Das einzige Deutsch, das ich sprechen konnte, habe ich aus alten georgischen Filmen aufgenommen, wie „Hitler kaputt!“ und „Hände hoch!“.

Im Café Nino gibt es Borschtsch, Quiche, Käsekuchen und georgische Spezialitäten wie Chatschapuri und das jeden Tag frisch zubereitet. In Georgien besitzt das Kochen mit frischen Kräutern, intensiven Gewürzen und Gemüse einen wichtigen kulturellen Stellenwert. Wie kommen die traditionellen Gerichte deiner Heimat hier im Kiez an?
Mein deutscher Exfreund sagte immer: „Nino, du darfst nicht deine georgische Küche machen mit zu viel Scharf und Knoblauch. Die Deutschen essen so was nicht!“ Am Anfang war ich da sehr vorsichtig, aber dann habe ich mir gesagt: „Ne, das bin ich einfach nicht! Ich koche das, was ich selber gerne esse. Entweder die Leute mögen das oder eben nicht.“ Und zum Glück mochten sie es! Heute koche ich, wie ich immer koche, ohne Extrawurst! Typisch georgisch ist das Chatschapuri, Teig mit Käsefüllung, da steckt sehr viel Arbeit dahinter, genauso wie in den gefüllten Auberginen mit Walnüssen. Die Rucola-Sellerie-Cremesuppe habe ich mir ausgedacht.

Nino Hasan, Foto: Friederike Göckeler

Nino Hasan, Foto: Friederike Göckeler

Café Nino ist für mich wie bei Mama zu Hause“, sagt OKS Student Felix. Woher stammt deine kulinarische Leidenschaft? Gibt es Gerichte, die in eurer Familie Tradition haben?
Meine Mutter ist Köchin und hat damals sehr viel gearbeitet. Sie hat im Ministerium das Frühstück zubereitet und für Offiziere in einer Gastwirtschaft gekocht. Bei uns heißt das Stalowaja. Und dann hat sie noch an drei verschiedenen Stellen geputzt. Früher konnte ich nicht kochen und hatte nur Augen fürs Zeichnen und Nähen, weil ich unbedingt Modedesignerin werden wollte. Heute freut sich meine Mutter, dass ich in ihre Fußstapfen getreten bin. Als ich schwanger war, habe ich ihr Essen sehr vermisst. Sie ist Kurdin und hat immer international gekocht, nie nur georgisch oder russisch oder kurdisch. Sie hat alles gekocht, ein Mischmasch mit viel Phantasie. Heute lebt sie in England bei meiner Schwester.

Und dein Vater?
Mein Vater ist früh gestorben. Er war ein sehr hübscher und toller Mann und der erste Taxifahrer in Tiflis, der diesen neuen Wolga M24 gefahren ist, so einen wie Honecker ihn hatte. Über gute Kontakte zum Ministerium wurde er der persönliche Fahrer vom damaligen Verkehrsminister.

Café Nino liegt genau zwischen der OKS und der Agentur Ostkreuz. Ein Standort, der vor allem für die Fotografie-Studierenden ein zu Hause ist. Hauptsächlich mittags bildet sich eine lange Schlange vor dem Tresen, um die letzten heißbegehrten Käsekuchen abzustauben. Gibt es da ein geheimes Familienrezept?
1993 sind mein erster Mann und ich nach Siemensstadt gezogen und da gab es diese nette Nachbarin Barbara, die uns Gardinen für unsere Fenster und Kinderbücher für unseren Sohn Rega mitgab. Ihr Sohn wollte unbedingt Gitarre lernen und da sie wusste, dass ich dieses Instrument spiele, hat sie mich gefragt, ob ich ihm das beibringen kann. Sie wollte mich dafür bezahlen, aber ich habe Nein gesagt und stattdessen hat sie mich zu Kaffee und Kuchen zu sich nach Hause eingeladen. Und da saß ich dann am Küchentisch und habe ihren selbstgebackenen Käsekuchen probiert, erst ein Stück, dann zwei, dann drei. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu essen. Bei uns in Georgien gibt es nur diese ziemlich heftig süßen Kuchen, wie den Napoleon- und Mischkakuchen. Weil wir uns so mochten, hat sie mir ihr geheimes Familienrezept verraten. Und nun gibt es ihn hier in meinem Café.

Café Nino ist ein Galerie-Café, in dem wechselnde Bilderausstellungen stattfinden. Welche Berührungspunkte gibt es zur Kunst? Hast du ein Vorbild?
Ich war früher viel auf Ausstellungen, habe im Theater Kote Marjanishvili gearbeitet und dort im Atelier viele Künstler kennengelernt, die später sogar in der DDR ausgestellt haben. Aber mein Vorbild war immer Luisa, die hat mir das Zeichnen und Malen beigebracht, ganze zwei Jahre lang. Sie hat meine Bilder gesehen und zu meiner Mutter gesagt „Nino hat Talent.“ Sie wollte 150 Rubel damals im Monat haben, was für uns viel Geld war. Dann haben sie einen Deal gemacht: Zeichenunterricht gegen einmal in der Woche Putzen und Kochen. Luisa ist Georgierin und besaß einen kleinen Künstlerladen auf der Rustaveli, in dem sie für Touristen kleine Bilder verkauft. Sie war eine außergewöhnliche Künstlerin und malte vorwiegend georgische Frauenporträts mit ganz verrückten Farben. Ich habe unglaublich viel von ihr gelernt, sie war eine sehr strenge Lehrerin. Ihre Wohnung war das reinste Chaos, mit vielen schönen Sachen, Teetischchen und alten Möbeln. Sie trug immer ein buntes Tuch auf dem Kopf und viel Schmuck. Luisa lebte eben in ihrer ganz eigenen Welt. Als ich vor fünf Jahren nochmal in Tiflis war, wollte ich sie besuchen, fuhr in ihre alte Wohnstraße, aber sie war nicht mehr da. Alle sagten, sie sei nach Amerika gegangen und nie wieder hier gewesen. Jetzt müsste sie längst verstorben sein.

Was wünscht du dir für deine Zukunft?
Ich denke immer: Alles was passiert, hat einen Grund und geschieht zum Besten. Deswegen sollte man nichts bereuen. Gott zeigt uns schon, wo es langgeht, manchmal dann eben doch mit ’ner Extrawurst.

Café Nino | Behaimstraße 32 | Berlin Weißensee | Öffnungszeiten: täglich von 7:30 bis 16:30 Uhr | Telefon: 030 92794434 | www.cafe-nino.de