Ausstellungsankündigung: Stadt Land Hund Fotografien 1966-2010

Die Berlinische Galerie zeigt in einer Retrospektive die Arbeiten von Sibylle Bergemann, Mitbegründerin der Ostkreuz Agentur für Fotografie. Die Ausstellung „Stadt Land Hund Fotografien 1966-2010“ wurde von Katia Reich, Leiterin der Fotografischen Sammlung des Hauses, kuratiert und ist eine Kooperation mit dem Estate Sibylle Bergemann.

Sibylle Bergemann, Birgit, Berlin 1984 (Ausschnitt)
© Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin

Meine allererste Begegnung mit Sibylle Bergemann war 2006 in ihrer Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin. Es war eine Aufnahme von einer weißlichen Figur, mit dem Rücken zum Betrachter, die mich in den Bann zog und mich im Laufe meiner Besichtigung noch ein paar Mal extra zu ihm zurückkommen ließ. Ich habe eine vage Erinnerung an das Foto. Die Porträtierte stand nicht ganz rücklings, sondern man konnte ein leichtes Profil von ihr und von ihrem Gesicht ansehen. Wahrscheinlich ein Farbabzug, klein, vielleicht ein Polaroid? Ich bin mir nicht sicher. Es ist im Endeffekt egal: Das Wichtigste war der Eindruck in mir. Wie konnte man so viel von einer Person aus dieser Perspektive erahnen? Wie konnte man mit einer Leichtigkeit das Wesentliche eines Mensches betonen? Vor kurzem versuchte ich dieses Bild wieder zu finden, erfolglos, obwohl ich ungefähr ahnte, wo es zu entdecken wäre. Vielleicht bin ich geprägt von einer Erinnerung, die ich nicht opfern will, falls ich mich noch mal mit dem wirklichen Bild konfrontieren müsste. Jeder speichert seine für ihn wichtigsten Fotografien im Kopf, und von da aus können sie uns am besten begleiten und neu belebt werden. Leider – oder doch nicht – hängt dieses eine Bild nicht in der aktuellen Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Selbstverständlich werden die repräsentativsten Serien und bekanntesten Bilder von Sibylle Bergemann gezeigt. Von den Arbeiten zu DDR-Zeiten, wie ihre vielleicht berühmteste Reihe, die langjährige Begleitung der Skulpturen von Marx und Engels, oder die Reportage über das Clärchens Ballhaus bis hin zu ihren späteren Reisen weltweit im Auftrag für GEO.

Sibylle Bergemann, Das Denkmal, Gummlin, Usedom, Mai 1984
© Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin

Parallel kann man sich eine Idee von der Person hinter der Kamera und ihrer Biografie machen und gelangt damit zum Mythos Sibylle. Wichtig ist die Künstlerin auch als Mensch, u.a. weil von kaum jemand anderen die Selbstportraits so viel Kraft und Gewicht besitzen. Woran liegt das? An ihrem melancholischen Blick? An der Zerbrechlichkeit, die man in ihr spürt? An der gewissen Entschlossenheit, die sie ausstrahlt? Ihre Augen bleiben auf jedem Fall hängen.

Betty Fink, ehemalige Leiterin der Agentur Ostkreuz und enge Mitwirkende von Bergemann: „Sibylle [ist] ein faszinierend seltsamer Mensch, wie von der Welt entrückt, also einem anderen Stern, […] sie hatte so was ganz Zerbrechliches, aber wenn sie am Arbeiten war, wusste sie so genau, was sie wollte und dann hörte sie nicht mehr auf. Sie vergass dann auch die Zeit, weil sie immer in der Dunkelkammer war oder immer am Fotografieren. ‚Sie musste fotografieren‘, hat sie gesagt.“

Wie sie sich als Fotografin selbst erschaffen hat, ist in ihrer Biografie ganz klar festzustellen. Aus einer sehr intimen aber auch eindeutigen Berufung in ihrer Zeit als Sekretärin, durch ihre Rolle als freie Studentin und Autodidaktin bis zu ihrer Verwirklichung und Etablierung als Modefotografin beim Magazin Sibylle. Von der Prägung durch Arno Fischer, erst als Professor, später Mentor und anschließend als lebenslanger Partner bis zu ihrer Unabhängigkeit und Selbstbehauptung als Künstlerin. Sie wollte werden, was aus ihr geworden ist. Mit all der Besessenheit, der Arbeit, der Zeit, der gesamten Energie.

Betty Fink: „Sie hat immer geschaut, ob sie Momente sieht.“ Vielleicht sind deswegen die hängen gebliebenen Augen, immer auf der Suche, immer klinisch, immer kritisch, ruhelos.

Sibylle Bergemann, Selbstporträt, Schiffbauerdamm, Berlin 1986
© Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin

Die Dringlichkeit, die eigene Suche mit anderen zu teilen, mit Kollegen, Schülern und Künstlern. Sich von allen umgeben zu lassen. Ihre verschiedenen Wohnorte (in Ostberlin und auf dem brandenburgischen Land) waren Zentren der lokalen fotografischen Gesellschaft zu Zeiten der DDR und später im wiedervereinigten Deutschland, inzwischen auch Bühne für Begegnungen mit Prominenten der internationalen Szene. Immer offen für alle. Dann trat sie auf als Sibylle, als herausragende Gastgeberin, exzellente Köchin, stille Lehrerin, lustige Komplizin. Aber was vor allem geblieben ist, ist ihr Werk. Ihr wahrer Wert als Fotografin ist ihr Verständnis des Fotografischen. Ihre Fähigkeit das Medium Fotografie zu verstehen und zu interpretieren. Die Schaffung ihres eigenen fotografischen Universums: Die Sublimation der Fotografie als wahre bildende Kunst. Eine Eigenschaft.

Sibylle Bergemann, Meret Becker, Berlin 1998
© Estate Sibylle Bergemann/OSTKREUZ. Courtesy Loock Galerie, Berlin

Laufzeit der Ausstellung
24.06.2022 – 10.10.2022

Berlinische Galerie
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin

Öffnungszeiten
Mi-Mo 10:00 – 18:00 Uhr
Dienstags geschlossen