OKS-lab fragt… Natalia Kepesz

Die polnische Fotografin Natalia Kepesz lebt und arbeitet in Berlin. Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin studierte sie Fotografie an der Ostkreuzschule Berlin. Sie benutzt Fotografie als Mittel zur Selbstdarstellung – sie macht Bilder für sich selbst, um sich mit verborgenen Eigenschaften ihres Charakters zu identifizieren, ihre Realität besser zu verstehen und ihre Interpretation der Welt um sie herum auszudrücken. Für das Interview traf sich Sina Opalka aus der Bildredaktionsklasse 2021/22 mit Natalia Kepesz im Juli 2021.

Hallo liebe Natalia, schön, dass du dir heute etwas Zeit genommen hast, um mir ein paar Fragen zu beantworten. Nachdem du dieses Jahr, unter sovielen anderen tollen Awards, auch den dritten Preis des renommierten World Press Awards in der Kategorie Portrait für deine Serie „Niewybuch“ erhalten hast, ist deine fotografische Arbeit in aller Munde. Wie bist du denn eigentlich zur Fotografie gekommen? 

Ich habe schon immer gerne fotografiert und früh erste Experimente mit der Analogfotografie gemacht, jedoch immer nur nebenbei und nie gedacht, dass ich es einmal hauptberuflich machen würde. Ich war schon immer sehr an Kunstgeschichte und Theater interessiert. Ursprünglich wollte ich an einer Schauspielschule in Polen studieren. Das hat dann aber nicht geklappt. Dann bin ich über eine Zwischenstation in Köln, nach Berlin gegangen. Dort habe ich Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft studiert. Fotografie lief so nebenbei. Irgendwann während meines Masterstudiums wurde ich dann immer mal wieder angesprochen, ob ich nicht etwas im Auftrag fotografieren könnte. Das wurde dann immer mehr und immer öfter, sodass ich relativ schnell merkte, dass ich am liebstens eigene Sachen fotografieren wollte. Daraufhin habe ich bei Sybille Fendt ein Jahresseminar besucht. Ich hatte schon damals die Idee für die Serie „Gosposia“, die sich um eine Gruppe von Frauen dreht, die in einem Jugendhaftanstalt das Essen kochen … Mutter und Köchin zugleich sind. Schon vor Beginn der Klasse fuhr ich dorthin, um zu fotografieren. Ich konnte meine Fotografie zwar schon projektbasiert denken, hatte aber all diese Fragen wie: „Wie baue ich eine Strecke“ und „was mache ich dann überhaupt damit“. Nachdem das Jahr rum war, hatten wir eine Ausstellung und mir war klar, dass es das ist was ich in meinem Leben machen möchte. Eigene Ideen und Projekte fotografisch umsetzen. Ich war damals 34 und nicht sicher, ob es ratsam wäre in dem Alter nochmal mit einem Studium zu beginnen, habe es auf anraten hin von Sybille Fendt, mich doch direkt für das zweite Studienjahr zu bewerben, dann dennoch getan. 2020 habe ich dann meinen Abschluss an der OKS gemacht. 

Natalia, einige Deiner Fotoserien spielen in Polen. Man bekommt den Eindruck, dass sich Dein fotografischer Schwerpunkt in Polen bewegt, stimmt das?

Tatsächlich habe ich auch eine Fotoserie in Berlin Marzahn produziert, allerdings war damals der Ort vorgegeben. Für meine Serien muss ich mit Menschen sprechen, Orte suchen und erstmal recherchieren. Die Inspiration für Themen und Ideen kommt meistens aus meiner Kindheit und bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich in Polen gelebt. Dann bin ich erst nach Deutschland gegangen und diese Erinnerungen verbinde ich eben mit Polen. Das ändert sich vielleicht auch noch irgendwann. Und ich glaube, ich habe jetzt eine gewisse Distanz zu Polen, weil ich dort nicht mehr lebe. Gleichzeitig habe ich aber auch eine Verbindung zu Polen und das finde ich sehr interessant, mit genau dieser Distanz auf Polen zu schauen und dort zu fotografieren. Ich recherchiere immer sehr viel für meine Themen, lese zum Beispiel viel. Dabei spielt die Sprache eine große Rolle. Frankreich interessiert mich auch sehr, jedoch gibt es da zum Beispiel einfach eine Sprachbarriere. Ich lasse mich auch immer gern überraschen. Ich fahre los und suche, manches beginnt und manchmal komme ich nicht weiter. Dann lasse ich eine Arbeit auch einfach mal liegen und plötzlich ergibt sich aus einem ursprünglichen Thema ein ganz neues Thema. 

Bist du denn so auch auf die Militärcamps gestoßen? Oder besser: Was hat dich zu diesem Thema geführt? 

Ich war vor ein paar Jahren mit meinen Eltern an einem See in der Nähe von Poznan und da habe ich diese Kinder in Militäruniformen gesehen und beobachtet wie dort ein Kampf simuliert wurde. Ab dann hatte ich dieses Bild im Kopf, habe es jedoch erstmal nicht weiter verfolgt. Als ich damals für meine Serie „Goldberg“ fotografiert habe, besuchte ich ihm Rahmen der Recherche ein altes Kloster. Dort wurde ein Teil des Klosters zum Internat umgebaut und zwar eines für ein Militärgymnasium. Als ich mit den Leuten im Dorf darüber gesprochen habe, waren alle ganz stolz auf dieses Militärgymnasium und erzählten, dass aus ganz Polen Leute zu ihnen kämen deshalb. Es wäre so gut und bekannt. Dann habe ich erfahren, dass sich in Goldberg noch eine Schule dem Militärzweig zugewendet hat. Da wurde mir klar, dass sich eine deutliche Bewegung abzeichnet und dieses Thema immer populärer wird. Daraufhin begann ich mit meinen Recherchen und im Internet ganz viele Kurse, Camps und Clubs zu finden. Es folgten Telefonate. Damals fing ich an solche Orte zu suchen. Aufgrund des Lockdowns war jedoch unklar wie viele Militärcamps tatsächlich stattfinden würden. Letztendlich bekam ich dann jedoch die Möglichkeit zu fotografieren, auch wenn viele Camps nicht so stark gebucht waren wie sonst. Und dann bin ich auch noch im Oktober ziemlich lange unterwegs gewesen. Im Sommer habe ich die Camps besucht und im Herbst die Schulen. Ich wollte noch weiter machen, doch dann kam der erneute Lockdown. Ich wusste damals nicht was ich tun sollte und entschied mich trotz der kurzen Zeit mein Material schon zu editieren und rumzuschicken.

Wie viele Camps hast du denn besucht?

Im Sommer habe ich eine Woche in einem Camp verbracht, allerdings waren es zehn unterschiedliche Gruppen, pro Gruppe um die 20 Kinder und das alles auf einem sehr großen Areal. Dort konnte ich ganz viele Sachen sehen, weil jede Gruppe etwas anderes gemacht hat. Die einen waren auf schießen spezialisiert, andere auf Erste Hilfe und den „Überlebenskampf“. Durch all die verschiedenen Stationen habe ich vielseitigen Einblick in die Thematik erfahren. 

Ist das Militär in den polnischen Schulen denn generell ein Thema oder Lehrinhalt?

Es sind schon spezielle Schulen, die sich damit beschäftigen. Zum Beispiel Militär- und Polizeischulen. Doch auf normalen Gesamt- und Weiterführenden Schulen beschäftigt man sich ebenfalls mit dem Patriotismus und der Verteidigung des Landes. Selbst ich hatte dies schon im Unterricht. Gleichzeitig wächst die Nachfrage nach Militärschulen und -camps. Ich glaube das fängt tatsächlich in der Schule an, indem man das Programm anpasst, das zum Beispiel patriotische Werte vermitteln soll. Es gibt sehr viel Unterricht über Polen und Krieg und Patriotismus. Ich habe mich in letzter Zeit noch mehr damit beschäftigt und es gibt zum Beispiel viele patriotische Lieder, die in der Schule gesungen werden. Es gibt sogar Schulveranstaltungen auf denen nachgespielt wird, wie Staatsfeinde umgebracht werden. All diese Jugendlichen stehen da und inszenieren wie sie z.B. jemanden erschießen. Das ist wirklich unglaublich. Gleichzeitig gab es diese Idealisierung vom Krieg immer schon auf eine gewisse Art. Ich weiß noch wie man damals über die Kinder gesprochen hat, die beim Warschauer Aufstand gekämpft haben. Man war stolz auf sie. Es wurde sogar ein Denkmal für einen kleinen Soldaten in Warschau errichtet, welches bis heute dort steht. Das patriotische Fundament war schon immer da, doch nun erfährt dies nochmal neuen Zuwachs. 

Sind Militärcamps denn Staatlich oder privat?

Militärschulen sind staatliche Institutionen und Militärcamps sind von privaten Trägern organisiert. Die Militärcamps sind ziemlich teuer. Zwei Wochen kosten umgerechnet fast 500 € und für Polen ist das sehr teuer. Sie sind sehr populär und es gibt viele Firmen, die diese Camps anbieten. Es gibt aber auch Klassenfahrten, die von den Militärschulen organisiert werden und genauso aussehen, wie die privat organisierten Militärcamps. Es gibt auch Militärclubs, die sich jedes Wochenende treffen und die Kinder spielen Krieg im Wald. Der ist zwar privat, wird aber von jemandem, geführt, der mit dem Militär zu tun hat. Ein häufiges Argument ist, dass es doch nur ein Spiel sei und es besser wäre, als wenn die Kinder zu Hause vor dem Computer sitzen würden. Man kann mit vielen vor Ort tatsächlich nicht kritisch darüber reden. Es gibt solche, die sagen, dass es doch überhaupt nicht schlimm sei, dass da doch nur gespielt wird und wichtiges fürs Leben vermittelt wird und es gibt die anderen, die sagen, dass sie von sowas noch nie gehört hätten und es deshalb ja gar nicht so populär sein kann. Das ist auch ein Symptom für das Phänomen, dass Menschen sich nicht interessieren oder kümmern, wenn es sie nicht direkt betrifft. 

Welche Reaktionen gab es nach der World Press Preisverleihung aus Polen?

Ungefähr zehn Minuten danach, schrieben schon soviele polnische Zeitungen Glückwünsche an mich, dass es mich sehr überrascht hat. Klar, ich bin Polin, aber ich lebe schon so lange in Deutschland, dass es mir doch gezeigt hat wie irritierend es sein kann, als „die polnische Fotografin“ wahrgenommen zu werden. Erstmal hat es mich sogar genervt, aber mittlerweile sehe ich das etwas anders. Ich würde sagen, dass ich mich halb halb fühle. Meine Kindheit habe ich in Polen verbracht, dort bin ich aufgewachsen, doch hier lebe ich seit ich erwachsen bin. Es ist einfach beides in mir drin. 

Ich wurde sogar in Fernsehsendungen eingeladen, was ich wirklich witzig fand. Was mich sehr gefreut hat ist die Verbindung zu der polnischen Fotografieszene, die sich dadurch mehr für mich erschlossen hat. Ich habe viele spannende Gespräche geführt über Fotografie und an Talks teilgenommen. Allerdings habe ich den Eindruck gewonnen, dass zumindest der überwiegende Teil der polnischen Medienlandschaft sich die Arbeit nicht richtig angeschaut hat. Drucken wollte sie auch keiner, so richtig getraut hat man sich dann doch nicht, denn in Polen bewegt sich das Abbilden von kritischen Bildinhalten doch immer noch in einer Grauzone. 

Gab es einen bestimmten Moment in welchem die klar wurde, dass deine Fotoserie „Niewybuch“ von besonderer Wichtigkeit ist?

Die Abschlussklassen der OKS fahren immer für ein paar Tage zu Ute Mahler und Werner Mahler ins Haus in Werben. Und als wir uns dort getroffen haben, dachte ich noch „Goldberg“ würde meine Abschlussarbeit sein. Zu dem Treffen habe ich Fotos aus den Camps mitgebracht und alle fingen an mich darin zu bestärken, unbedingt an der Serie dran zu bleiben und das „Niewybuch“ eigentlich eine super Abschlussarbeit wäre. Ich hatte schon im Gefühl, dass die Serie gute Bilder enthielt, weil ich von Anfang an hinter der Serie stehen konnte. Da ich analog fotografiere, dauert es ja immer ein bisschen, bis ich die Fotos betrachten kann, aber trotzdem, wenn ich das Foto gemacht habe und dann über mehrere Tage immer wieder an dieses eine Bild denken muss, dann sind das später fast immer die Fotos, die in die Serie kommen. Und bei der Serie hatte ich schon direkt als ich da war im Gefühl „das ist jetzt wirklich was Wichtiges, was hier passiert, und was ich hier sehe und mache“. Trotzdem war ich unsicher, denn ich war nur einmal da und eine Abschlussarbeit fühlt sich eigentlich nach etwas an, was man über einen viel längeren Zeitraum erarbeitet. Für mich war da aber schon klar, dass ich noch mehr Zeit in die Serie stecken will. Sehr geholfen hat mir dabei auch der Portfolio-Review des f³ – freiraum geholfen, bei dem ich mich damals mit beiden Arbeiten, „Goldberg“ und „Niewybuch“, beworben hatte. Es war unglaublich wertvoll, soviel Feedback von Menschen aus den verschiedensten Bereichen zu erhalten. Und da konnte ich auch schon raushören und spüren: „Du kannst was mit dieser Arbeit machen und erreichen und solltest sie rumschicken“. Das hat mich sehr bestärkt. Ende Oktober kam dann jedoch der Lockdown und das fotografieren in Polen wurde unmöglich. Diese Zeit hat mir jedoch die Möglichkeit gegeben mich auf das Material zu konzentrieren, welches ich schon hatte und mit aller Aufmerksamkeit die Auswahl zu treffen und zu editieren. Komischerweise fiel es mir bei „Niewybuch“, anders als bei „Goldberg“, gar nicht schwer. Als dann alles fertig war, fing ich im November mit der Recherche zu verschiedenen Einsendungen an.

Wow, das klingt toll und sehr aufregend … nun hast du ja mittlerweile auch viele Auszeichnungen erhalten …

Wenn du einmal alles vorbereitet hast, dann musst du nur noch Kleinigkeiten anpassen, je nachdem wo du es hinschickst. Als ich dann nach und nach mehrere Auszeichnungen erhielt wurde ich zuversichtlicher darin und mutiger. 

Um noch einmal zurück zu kommen auf deine Erfahrung in dem Militärcamp … die Jugendlichen blicken in die Kamera, der Blick scheint aber der ihrer Rolle zu sein, sie haben ihre Aufgabe scheinbar sehr ernst genommen. Was denkst du? 

Was den Blick in die Kamera betrifft, der war von mir gewollt. Ich wollte das mich die Kinder und Jugendlichen bemerken und sie nicht einfach nur beobachten. Natürlich war ich auch da als Beobachterin, aber es war mir wichtig wahrgenommen zu werden, gerade um sie für einen Moment aus dem Geschehen herauszureißen. Ich habe auch oft ganz konkret gesagt „Schau mich an“ oder „bleib kurz hier stehen und schaue bitte in die Kamera“. Genau das hat eben für die Irritation gesorgt, die sie für einen Moment aus ihrer Rolle gerissen hat. Daher glaube ich das dieser Blick in die Kamera die Rolle sogar unterbricht. Analog zu fotografieren bedeutet, im Schaffensprozess tendenziell etwas langsamer zu sein. D. h. das es immer einen Moment gedauert hat, wenn ich ein Portrait schießen wollte und die Person, nicht mal eben schnell gehetzt in die Kamera schaute, sondern einen Moment lang in sich ruhen konnte, während ich Eintellungen an der Kamera vorgenommen habe. Klar ist da eine gewisse Distanz und ganz bricht die Rolle nicht auf, aber ich denke schon, dass dieser Moment des zu Ruhe kommens etwas von ihrer Person offenbart. Dadurch das sie in die Kamera schauen, fühlt sich auch der*die Betrachter*in beobachtet. Ein Trick aus der Malerei. Das hat mich schon immer fasziniert, wenn mich Menschen aus Gemälden heraus anschauen.

Vielen Dank, liebe Natalia!

Natalia Kepesz ist Gewinnerin des Residency Prize beim PORTRAITS – Hellerau Photography Award 2021 sowie beim Belfast Photo Festival (Ausstellung und Fotobuch). Sie ist Finalistin von Les Boutographies – Rencontres Photographiques de Montpellier 2021 und wurde mit dem dritten Preis beim Münzenberg Forum Art Competition 2020 ausgezeichnet. Ausserdem beim World Press Photo Contest 2021 mit dem 3. Platz für Portraits (Serie) ausgezeichnet.

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