OKS-lab fragt… Nadja Masri: Zehn Jahre, zehn Fragen

Nadja Masri, Leiterin der Klasse Bildredaktion, unterrichtet gerade ihren zehnten Jahrgang an der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS). Den Studierenden der aktuellen Klasse stand sie Rede und Antwort.

Nadja Masri
Foto: Caroline Scharff

1. Was hast Du für Erwartungen an Teilnehmer*innen einer Klasse Bildredaktion bevor es losgeht?

NM: Ich erwarte von den Teilnehmenden, neben der Leidenschaft für Fotografie, die Bereitschaft, auch zwischen den Unterrichtswochen Aufgaben zu erledigen und an den Projekten zu arbeiten. Natürlich erhalten die Teilnehmenden viel Input, aber der Kurs hat dennoch weniger einen Vorlesungscharakter, sondern ist sehr praxisorientiert und partizipatorisch angelegt. 

Dass sich die Teilnehmenden je nach Zeit und Interesse unterschiedlich stark engagieren, ist normal – die einen beispielsweise mehr für das oks-lab.de, unseren Schulblog, die anderen mehr beim Fotobuch. Wichtig ist, gemeinsam die Verantwortung für die Projekte zu übernehmen und da ist jede*r Einzelne*r gefragt. Je mehr man rein gibt und macht, umso mehr holt man aus dem Jahr auch für sich persönlich raus.

2. Welchen Tipp hättest Du gern zu Anfang Deiner Berufslaufbahn als Bildredakteurin bekommen?

NM: Ich habe zwei Tipps bekommen, an die ich mich noch sehr gut erinnere: Studiere etwas „anständiges“, sagte Giovanni di Lorenzo, damals Reporter bei der Süddeutschen Zeitung. Den Tipp habe ich quasi ignoriert und Kommunikationswissenschaft, Neuere Geschichte und Kunstgeschichte an der FH in Berlin studiert – ich habe es nicht bereut. Der andere Tipp kam von seiner Kollegin, mit der er mir netterweise einen Termin organisiert hatte, Eva Fischer, damals Bildredakteurin beim Süddeutschen Magazin: Ausstellungen, Magazine und Fotobücher ansehen und Fotograf*innen merken. Den Tipp habe ich zuerst in London, dann in Berlin mit Leidenschaft verfolgt.
Mein Tipp heute: Talent alleine reicht selten, deswegen ist es wichtig, fleißig und umtriebig zu sein, Wissen zu strukturieren und sich zu vernetzen.

3. Die Stellen der Bildredakteur*innen werden eher ab- als aufgebaut. Warum rätst Du dennoch dazu, Bildredakteur*in zu sein?

NM: Rate ich jemandem dazu, Bildredakteur*in zu werden? Ich würde es anders formulieren. Die, die ihre Kompetenzen vertiefen wollen, um als visuelle Expert*innen nicht nur bei Publikationen, sondern auch in Agenturen, im Ausstellungsbereich, bei Profit- und Non-Profit-Unternehmen, in der Bildung, in der Wissenschaft zu arbeiten, die möchte ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung unterstützen, mit denen möchte ich meine Leidenschaft für Fotografie teilen, denen möchte ich mitgeben, wie wichtig Qualität und Haltung ist.
Es erfüllt mich mit großer Freude und auch ein wenig Stolz zu sehen, wie die Absolvent*innen sich untereinander vernetzen und wo sie tätig sind. Die Weiterbildung an der OKS ist definitiv ein Türöffner, aber natürlich muss man auch engagiert und aktiv sein und braucht ein bisschen Glück.

4. Inwiefern hat sich in den letzten zehn Jahren die Arbeit von Bildredakteur*innen verändert?

NM: Die Bilderflut scheint immer größer zu werden, und somit wächst auch die Herausforderung, oft, nicht immer, in kurzer Zeit, die besten Bilder zu finden. Je vielfältiger die Quellen für Bildmaterial, je schneller das Tempo, desto wichtiger sind visuelle Expert*innen, denen es gelingt aus dieser großen Schatzkiste das Beste herauszuziehen.
Es haben sich neue Beschäftigungsfelder aufgetan. Durch die Sozialen Medien wird das Bild in den Kommunikationsabteilungen immer wichtiger. Außerdem stellen qualitativ hochwertige Magazine von Stiftungen, Kulturstätten und auch Unternehmen, manche Publikumszeitschriften regelrecht in den Schatten.

5. Welches Thema, welches Projekt unterrichtest Du am liebsten?

NM: Das kann ich so gar nicht beantworten. Mir gefällt die Vielfalt an Themen und Methoden – der Input, der Austausch, die Diskussionen und natürlich die Arbeit an den zahlreichen Projekten: Fiktion, da bekommen die Basisklassen ein Gedicht und ein Lied, das sie visuell interpretieren sollen, der Shooting Day Weißensee mit den OKS Fachklassen, die Bespielung des oks-lab.de, das Fotobuch-Dummy-Projekt mit der Agentur laif, die Zusammenarbeit mit dem Magazin Das UND und das Fotobuch in Kooperation mit dem ICP (International Center of Photography) in New York.
Letzteres ist sicherlich das Highlight. Wir wählen die Geschichten für das Buch aus, überlegen uns, wie es aussehen soll, gestalten es zusammen mit einem/einer Grafiker*in, redigieren die Texte. Es steckt sehr viel Arbeit drin, aber es macht natürlich auch unglaublich Spaß, alles selbst zu bestimmen und ein komplettes Fotobuch zu produzieren.
Mir war es von Anfang an wichtig, dass die Bildredakteur*innen die Schule am Ende des Jahres nicht nur mit dem Wissen im Kopf verlassen, sondern auch mit etwas analogem, einem Abschlussprojekt, so wie die Fotograf*innen auch.

6. Was ist Dir wichtig, was deine Student*innen aus ihrem Jahr mitnehmen?

NM: Neben dem vermittelten Wissen und den Projekten, eine Haltung, Zuversicht und Selbstsicherheit. Das Jahr ist zu Ende, aber das Netzwerk bleibt und auch ich als Ansprechpartnerin.

7. Gibt es ein musikalisches, literarisches etc. Werk, das du nicht ohne ein bestimmtes Bild denken kannst?

NM: Interessante Frage. Es sind eher Stimmungen, Erinnerungen, Farbbilder als bestimmte Bilder, die gerade durch Musik bei mir ausgelöst werden. Wenn ich zum Beispiel Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms höre, dann denke ich an einen verstorbenen Freund – die Musik hat etwas sehr trauriges und tröstliches zugleich. Wenn ich hingegen einen guten Party-Song höre, möchte ich vielleicht tanzen und tue das manchmal auch allein oder mit meiner Tochter im Wohnzimmer.
Als es mir nach einer OP vor ein paar Jahren nicht gut ging, bekam ich den Rat, an ein Bild zu denken, mit dem ich etwas Positives verbinde. Es war / ist ein Bild aus den Bergen. Am Gipfel angekommen, sah ich gegen den blauen Himmel Gräser im Wind wehen. Dieses „bewegte“ Bild habe ich immer dabei und kann es bei Bedarf abrufen. 

8. Welches Bild aus 2020 bleibt Dir besonders in Erinnerung und warum?

NM: Oh, es ist so unglaublich viel passiert dieses Jahr: Black Lives Matters, Corona, weltweite Proteste, U.S. Wahlen und vieles mehr. Aber es gibt natürlich auch starke Bilder von Themen, die sich nicht ständig in den Schlagzeilen befinden… Mir sind einige Bilder und Serien besonders in Erinnerung geblieben, beispielsweise ein Bild, das Julius Stiebert von Belal Khaled zeigte: junge Asylsuchenden in Griechenland, die nur noch in Unterhose bekleidet, frierend um ein Feuer stehen. Das hat mich inhaltlich zutiefst bewegt. Covid-Patient*innen allein und isoliert in den Krankenhäusern, die Massengräber, Portraits von Krankenhauspersonal, denen die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben ist und die starken Portraits ganz unterschiedlicher Menschen, die Tamara Eckhardt in einem Hostel in Berlin fotografiert hat, das zum vorübergehenden Zuhause für 200 Menschen wurde, deren Existenz durch die Pandemie bedroht ist.

Aber auch Bilder von Florian Jänicke, die den Alltag mit seinem schwerstbehinderten Sohn Friedrich zeigen. Die Bilder wurden ein Jahr lang als Fotokolumne im ZEITmagazin veröffentlicht und brachten auf eindrückliche, bewegende Weise ein wichtiges Thema an eine breitere Öffentlichkeit. Und so ist es auch mit den Serien von Vivian Rutsch und Sina Niemeyer, die sich beide auf sehr persönliche Weise mit dem Thema Missbrauch beschäftigen. 

Aber wenn ich mich für ein einziges Bild entscheiden müsste, würde ich spontan sagen ein Bild aus Sébastien Leban’s Climate Refugee Projekt, von dem ein paar Bilder in DER ZEIT veröffentlicht wurden Eins hat Inka Recke für den Blog als „Ein schönes Bild“ (Veröffentlichung Anfang 2021) ausgewählt. Es zeigt zwei junge Frauen, eine im Schwimmring, aber nicht etwa im Pool, sondern an einer überfluteten Straße in Atlantis auf der Insel Tangier. Warum ist das Bild einprägsam? Abgesehen davon, dass es gut komponiert ist, muss man mehrmals hinsehen, weil man nicht gleich versteht, was man sieht. Das macht das Bild spannend und hinterlässt mich mit dem Wunsch, mehr wissen zu wollen. Es zeigt den Klimawandel, der immer mehr Teil unseres alltäglichen Lebens wird und einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen darstellt, nicht laut, bedrohlich oder spektakulär, sondern auf leise, subtile und dennoch wirkungsvolle Weise. 

9. Was nimmst Du aus dem Jahr Zusammenarbeit mit Teilnehmer*innen der Klasse Bildredaktion für dich mit?

NM: Das tolle an der Klasse Bildredaktion ist die Heterogenität der Gruppe. Die Teilnehmenden sind in der Regel zwischen Anfang 20 und Ende 40 Jahre alt. Sie bringen unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen mit. Das ist einfach großartig. Ich lerne jedes Jahr eine Menge. In diesem Jahr habe ich vor allem viel über digitale Tools gelernt und dass sich eine Gruppe auch virtuell kennenlernen und zusammenwachsen kann, dass man auch beim Online-Stammtisch wunderbar digital Portfolio-Kritik machen kann, fast so toll wie vor Ort. 
Ich bin sehr dankbar für die Offenheit, das Interesse, den Input und das unglaublich große Engagement gerade auch wieder dieses aktuellen Jahrgangs. Die Klasse hat etwa den Instagram-Account übernommen und die ersten Podcasts erstellt. Lehren ist ein Geben und Nehmen und wenn man so viel bekommt, dann will man auch ganz viel geben.

10. Was ist Dein Résumé aus zehn Jahren als Dozentin der Bildredaktionsklasse?

NM: Ich liebe das Unterrichten. Ich denke, das ist das Beste, was ich bisher gemacht habe. Die Basis dafür, wie und was ich unterrichte, ist vor allem geprägt von meiner Arbeit bei der Agentur Ostkreuz am Anfang meiner Berufslaufbahn und später von meinen fast zehn Jahren in einer unglaublich offenen, lebendigen Photo-Community in New York: dort war ich Büroleiterin und Senior Photo Edior der Zeitschrift GEO und habe am ICP unterrichtet.
Das Unterrichten ist so anstrengend, dass ich zwei Mal am Tag warm essen kann (oder muss), aber es ist gleichzeitig unglaublich erfüllend und „absolut rewarding“.
Ich bin überzeugter denn je, dass wir visuelle Expert*innen brauchen und schätze mich glücklich, diese mit einem tollen, erfahrenen Team von Dozent*innen und Praktiker*innen an der OKS auszubilden.

Nadja Masri ist studierte Kommunikationswissenschaftlerin M.A. (FU Berlin) und seit 2011 die Leiterin der Klasse „Bildredaktion“ an der Ostkreuzschule für Fotografie. Seit 2010 arbeitet sie auch als Beraterin und freie Bildredakteurin (Philosophie Magazin, GEO, Das Magazin, Mare), hat seit 2019 einen Lehrauftrag an der FH Dortmund und ist als Mentorin und Dozentin auch wieder für das International Center of Photography (ICP) tätig. Von 2001 bis 2010 war sie Büroleiterin und Senior Photo Editor des Korrespondentenbüros der Zeitschrift GEO in New York und arbeitete seit 2005 parallel als Dozentin im „Documentary Photography and Photojournalism Program“ (heute: Documentary Practice and Visual Journalism) am ICP in New York.
Vorher war sie als Bildredakteurin bei verschiedenen Magazinen und Agenturen wie stern, GEO, Bizz und der Agentur Ostkreuz tätig. 

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