OKS-lab fragt…

Es ist bereits spät am Abend des vierten Festivaltages, auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Hannover sammeln sich die Besucher des 5. Lumix Festival für jungen Fotojournalismus. Fotografen, Redakteure und Bildredakteure, Mitglieder verschiedener Institutionen, Fotografie interessierte und unter ihnen die Fotostudenten der Hochschule Hannover, die das Festival unter der Leitung von Isabel Winarsch und Rolf Nobel überhaupt erst möglich gemacht haben.

Das Festival bietet nicht nur eine große Auswahl an herausragenden Fotoreportagen und Multimedia Stories, sondern auch die Gelegenheit, sich mit allen Anwesenden auszutauschen und natürlich auch persönlich über die ausgestellten Arbeiten und das Lumix Festival zu reden. An diesem Abend war unter den ausstellenden Fotografen auch Jonas Ludwig Walter anzutreffen. Der Fotograf und Absolvent der Ostkreuzschule für Fotografie interessiert sich besonders für persönliche Geschichten, mit denen er dem Betrachter das Leben näher bringen will, welches sich abseits bestehender Vorurteile in unserer Gesellschaft abspielt. Beim Lumix Festival wurde seine Arbeit Landarzt ausgestellt. Sie zeigt einen Einblick in das Leben des im Libanon geborenen Amin Ballouz, der jahrelang auf der Suche nach einer Heimat war und sie letztendlich in der ostdeutschen Provinz gefunden hat. 

In der Serie «OKS-lab fragt … » beantworten Dozenten, Fotografen, Macher und Absolventen der Ostkreuzschule Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie und Lebensart.

Ein Gespräch mit Jonas Ludwig Walter, Fotograf.

OKS-lab: Jonas, wie bist du auf Amin Ballouz, den Landarzt aus der Uckermark, aufmerksam geworden?

Jonas Walter: Das war ein ganz klassischer Auftrag von chrismon. Aber die Idee der Geschichte gefiel mir sofort. Ich fühle mich auf dem Land und in der ostdeutschen Provinz ausgesprochen wohl und den Leuten sehr verbunden. Und Heimat ist immer ein Thema von mir, das in meiner Arbeit meistens mitschwingt.

OKS-lab: Hast du dich dann sofort auf den Weg gemacht und angefangen zu fotografieren oder wie ging es weiter?

Jonas Walter: Mareike Fallet, die Schreiberin, und ich sind dann hingefahren. So saßen wir da in der schnöden Praxis und ich habe gehofft, möglichst bald auf Hausbesuche zu fahren. Mit den Patienten hatte ich dann sehr wenig Zeit. Die wussten ja auch nicht, dass wir bzw. ich komme. Im Gegenteil: Ich da rein, „Hallo, ich bin Fotograf, darf ich… “ und bevor Amin Blut abgenommen hatte, mussten die Patienten unterschrieben haben, dass ich die Bilder verwenden darf. Dann wieder raus und zum Trabbi. Nur mit Amin hatte ich länger zu tun und wir sind bis heute in Kontakt. Das passiert ja auch nicht oft.

Aus der Arbeit Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Aus der Arbeit Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Aus der Arbeit Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

 Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

OKS-lab: Was genau hat dich an Amin Ballouz interessiert?

Jonas Walter: Es waren sowohl Amin Ballouz selbst als eben auch seine Patienten, die mich interessiert haben. Amin hat ja eine sehr bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Er ist als Jugendlicher aus dem Libanon geflohen, übers Rote Meer und immer weiter bis er 1976 endlich in Deutschland ankam und – so erzählt er es gerne – sich wunderte, wo die Mercedesse sind. Aber da waren Trabbis. In Halle machte er sein Medizinstudium und dann hat er in Düsseldorf gelebt, in London, Paris und als Katastrophenhelfer gearbeitet. 2010 wollte er wieder nach Berlin, aber die Behörden haben ihn aufs Land geschickt wegen des gravierenden Ärztemangels. Und im Gegensatz zu vielen anderen ist er eben hingefahren und hat sich in die Uckermark verliebt. Zum ersten Mal hat er wieder das Gefühl von Heimat und einer Familie: Seine Patienten. Für mich war es also vor allem die Beziehung zu seinen Patienten, die mich interessierte, weil es da um sehr grundsätzlich menschliche Dinge geht.

Aus der Serie Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Landarzt

Aus der Serie Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

 OKS-lab: Was willst du also den Menschen mit deiner Geschichte erzählen?

Jonas Walter: Es geht darum, dass es Dinge gibt, die Menschen verbinden, unabhängig davon, aus welchen Lebensumständen sie kommen. Und sicher auch um das Hinterfragen von Vorurteilen. Ich bin da ja wirklich in die Wohnzimmer gekommen und habe fotografiert, wo das Mütterchen mit der Kittelschürze sitzt, wie in den 80er Jahren. Viele Leute verbinden damit ja so eine Verschlossenheit und sehr große Intoleranz. Die Brandenburger auf dem Dorf gelten ja oft als nicht zugänglich, unflexibel, als konservativ und provinziell oder unfreundlich auch. Und gerade das erlebe ich aber sehr oft anders. Darum ging es mir auch. Es war faszinierend, dass da jemand wie Amin Ballouz von außen und ganz unvoreingenommen in die Uckermark kommt und dort seine Familie – seine Heimat – findet. Das sagt er ja auch immer wieder.

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

OKS-lab: In deiner Landarztgeschichte sticht die Bildsprache sehr heraus. Einerseits wirken deine Bilder sehr filmisch, so als wolltest du Szenen fotografieren. Andererseits sind sie sehr still, wobei letztendlich alle Fotos sehr viel Lebensfreude versprühen.Was ist das Spezielle an deiner Arbeit? Wie kam diese besondere Bildästhetik zustande?

Jonas Walter: …jetzt willst du auf mein Studium hinaus. Genau. Ich studiere ja auch Filmregie und das merkt man meinen Arbeiten natürlich an. Beide Medien beeinflussen sich sehr. Von Filmern höre ich immer wieder, meinen Filmen würde man anmerken, dass ich Fotograf bin. Und andersherum ist die Fotografie durch das Regiestudium auch ein bisschen filmischer geworden. Und meine Geschichte über den Landarzt wird ja von A nach B erzählt und man sollte das Gefühl bekommen, mit dem Landarzt über das Land zu fahren, insofern ist eine filmische Erzählweise in dem Fall nicht von der Hand zu weisen. Einerseits wollte ich die Ruhe des Landlebens haben (die auch im Gegensatz zur Arbeitsweise stand), andererseits wollte ich seine Eile, dieses ewige Fahren zeigen, das Voranrollen des Tages sozusagen. Und was die Lebensfreude angeht: Ich war, als ich ankam, selber überrascht, wie sehr es eine Positivgeschichte wurde. Am Ende ging es sehr viel um Lebensfreude. Nicht nur weil Amin mit seiner roten Krawatte so lustig ist, sondern weil sich die Leute und ihr Doktor so viel Freude bereiten. Das wurde genau der Punkt.

Aus der Arbeit Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Aus der Arbeit Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

Landarzt, Foto: Jonas Ludwig Walter

 

OKS-lab: Deine Arbeit wurde beim Lumix Festival ausgestellt. Wie hast du als ausstellender Fotograf das Festival erlebt? Was nimmst du als Erfahrung mit?

Jonas Walter: In erster Linie ist es schön, auf die eigene Arbeit ein Feedback von interessiertem Publikum und so vielen Kolleginnen und Kollegen zu bekommen. Das hat man ja eigentlich nicht, wenn deine Arbeit gedruckt im Wartezimmer des Zahnarztes liegt.

Es ist aber auch irre, so direkt  zu sehen, wie sich so viele junge Fotografinnen und Fotografen da in die Schleudertrommel stürzen, auf ein Gespräch mit den Bildredakteuren, die während des Festivals vor Ort sind. Das hat mich schon sehr beschäftigt, weil es natürlich das Missverhältnis deutlich macht: von dem, was einerseits an Arbeiten da ist oder an Willen, etwas zu machen, und dem, was letztendlich gedruckt werden kann. Jeder weiß, dass man davon allein nicht leben kann. Gerade wenn man daran denkt, dass Leute in die Krisengebiete dieser Welt fahren und sich da Belastungen aussetzen, sowohl körperlichen und finanziellen als auch psychischen, um am Ende unter Umständen die Antwort zu hören: „Wir hatten gerade eine Geschichte, die so ähnlich ist.“ Das ist jetzt zugespitzt formuliert, aber mit welchem Elan viele da rein rennen, finde ich sehr bemerkenswert.

OKS-lab: Meinst du damit also auch, dass die Zeitschriftenlandschaft nicht flexibel oder vielleicht auch nicht mutig genug ist, um bestimmte oder neue Geschichten zu zeigen?

Jonas Walter: Nun ja, es gibt natürlich Blätter mit sehr wiedererkennbarer Bildsprache und bestimmten Schemata. Aber es gibt ja auch viele, die sich eben in der Fülle der Regale und auch anderer Medien durchaus Neues einfallen lassen. Ich habe das Gefühl, dass sich schon neue Sachen entwickelt haben. Es gibt so viele „Gruppen“ von Zeitschriften, wo sich die Magazine einordnen. Aber letztlich wird überall geguckt, was die anderen machen, und daran wird sich orientiert. Und für Fotografen, die einen gewissen erzählerischen Anspruch an ihre Arbeit haben, sind ja auch nicht alle Hefte interessant.

OKS-lab: Welche Chancen bietet das Festival für junge Fotojournalisten?

Jonas Walter: Das Tolle ist, dass man Leute trifft, die eine ähnliche Leidenschaft haben, die im selben Boot sitzen, und man hat vor allem mal die Menschen, die hinter den Geschichten sind, vor sich stehen. Eine Dichte von Dokumentarfotografie- und Fotojournalismusinteressierten, die es sonst selten gibt. Jedenfalls nach dem Studium. Das betrifft natürlich auch die andere Seite, also die Redaktionen und Macher. Man trifft eben auf die Menschen.

Nicht zuletzt ist die Atmosphäre toll, weil es so studentisch ist. Man kommt nicht in eine wahnsinnig professionelle, also auch geschlossene Infrastruktur, sondern trifft auf lauter Fotostudenten, die dieses Festival auf die Beine gestellt haben. Und die alle selber bewegt sind davon. Hannover hat ja auch eine sehr klare Ausrichtung, was den Fotojournalismus betrifft. Und alle, die das Festival machen oder besuchen, können etwas damit anfangen und sich darüber austauschen. Auch wenn man nicht ausschließlich in dieser Richtung unterwegs ist.

OKS-lab: Hast du dir auch einen der Vorträge angehört?

Jonas Walter: Bei Hans-Jürgen Burkhart bin ich rausgegangen, weil ein beeindruckendes retrospektives Sonnen für mich einfach der Überschrift des Festivals entgegen steht. Dort, auf dem Festival, haben mich eher die aktuellen Tendenzen und Arbeitsumstände interessiert, denn durch das umfangreiche Programm sind die Tage schon sehr voll. Umso mehr hat mich Mads Nissen in seinem Vortrag mit seiner unprätentiösen Art und den akuten Fragen zum Arbeiten heutzutage gefreut.

OKS-lab: Eine gelungene Arbeit aus deiner Sicht?

Jonas Walter: Bei der Auswahl von 60 Arbeiten gibt es natürlich solche, die mich weniger berührt haben und andere wiederum mehr. Und es gab wirklich großartige Bilder dort! Die Kriegsdokumentation aus der Ukraine This is War beispielsweise, der Fotograf Maxim Dondyuk ist selbst von dort.

Eine Geschichte, die gar nicht meine Lieblingsbilder hat, die aber unheimlich innovativ fotografiert war, ist die Arbeit Concrete Roots über die Urban Gardener von Mario Wezel. Obwohl das Thema auf den ersten Blick relativ unspektakulär wirkt, zwischen den ganzen Gewehrkolben und unfassbar leidenden Leuten, die teilweise um ihr Leben kämpfen oder aber ihr Leben oder sehr nahe Angehörige durch brutalste Gewalt verloren haben, ist mir die Arbeit im Gedächtnis geblieben. Weil sie so präzise fotografiert ist. Da steht irgendwo im roten Licht einer Leuchtreklame ein Typ mit Imkeranzug nachts auf einem Hochhausdach. Daneben hängt dann ein Still von Biomüll und bald ein rothaariges Kind mit Licht im Gesicht und Blick in die Kamera, am Tisch zwischen den Schultern der Eltern hindurch fotografiert, die beide Strohhüte tragen. Die Bilder spielen toll zusammen. Man merkt der Arbeit an, dass da viel Zeit und ein sehr wachsamer Blick dahinter steht.

Vielen Dank, Jonas Walter für das Gespräch.

 

Jonas Ludwig Walter machte 2010 seinen Abschluss in der Fotografie an der Ostkreuzschule für Fotografie bei Ute Mahler. Seitdem arbeitet er freischaffend als Fotograf für Magazine und Zeitungen wie Stern, Zeit, NZZ, Freitag, Süddeutsche Zeitung oder chrismon. Gerade lebte er einige Zeit auf Kuba, wo er fotografierte und einen Dokumentarfilm gedreht hat. Seit 2013 studiert Jonas Walter Regie an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

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