Nahaufnahme

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotografen und Dozenten der Ostkreuzschule über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. In diesem Teil berichtet Linn Schröder über ihr Selbstportrait mit Zwillingen und einer Brust, das in Zusammenarbeit mit Elke Rüss entstanden ist.

Linn Schröder, Selbstportrait mit Zwillingen und einer Brust, 2012

„Das Foto entstand als mein Beitrag für die Ausstellung Über Grenzen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Darin wollte ich zwei Grenzerfahrungen sichtbar machen; die Krebserkrankung und die Geburt. In beiden Fällen wächst etwas. Das eine zerstört den Körper, das andere ist das Leben selbst. Beide rufen ähnliche körperliche Reaktionen hervor, wie Müdigkeit, physische Schwäche und Übelkeit. Die eine Situation kann mit dem Tod enden, die andere mit der Verdoppelung des Lebens.

Auf August Sanders Bild My Wife in Joy and Sorrow von 1911 hält seine Frau Zwillinge im Arm – das eine lebend, das andere tot. Auch mein Bild hat mit Leben und Tod zu tun. Es soll nicht mein eigenes Schicksal zeigen, sondern Anfang und Ende, Leben und Tod in einem Bild vereinen. Es sind zwei archaische, existenzielle Momente, die jeden betreffen und immer wiederkehren.

Für das Bild arbeitete ich mit der Kostümbildnerin Elke Rüss zusammen. Mit ihr hatte ich schon während der Schwangerschaft das Konzept und die Idee mit den Strumpfhosen entwickelt. Ich wollte nicht nackt sein, damit die Nacktheit für den Betrachter nicht im Mittelpunkt steht. Aber die Narbe, die für den Tod steht, für den unvollständigen Körper, sollte sichtbar sein. In Antoine de Saint-Exupérys Erzählung Der kleine Prinz kommt die Schlange vor, die einen Elefanten verdaut und dadurch von den Erwachsenen mit einem Hut verwechselt wird. Dieses Bild hatte ich bei meinen Überlegungen im Kopf. Entstanden sind die Strumpfhosenkostüme, die den Körper verdecken. Die Narbe bleibt durch die Netzstrumpfhose sichtbar, der Rest des Körpers nur in seiner Form. Die Windeln der Kinder werden von denselben Strumpfhosen verdeckt. Die orientalisch wirkende Decke als Untergrund macht den Ort undefinierbar.

Die Inszenierung des Körpers ohne mein Gesicht und mit Bezügen zur religiösen Kunst, der unbestimmte Ort und die Zeitlosigkeit wie auch die Zeichen von Leben und Tod machen das Bild zu einem Symbol.“

 
Linn Schröder wurde 1977 geboren. Sie studierte Kommunikationsdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und Fotografie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. Seit 2004 ist sie Mitglied der Berliner Fotoagentur Ostkreuz. Sie hatte Lehraufträge für Fotografie in Hamburg und Berlin und unterrichtet zurzeit an der Ostkreuzschule für Fotografie. Linn Schröder lebt und arbeitet in Berlin.

www.linnschroeder.de