Ateliergespräch: Ausnahme-Fotograf Gerd Ludwig

Gerd Ludwig zu Besuch in der OKS, im Hintergrund Moderator Enno Kaufhold, Foto: Stefan Hähnel

Gerd Ludwig zu Besuch in der OKS, im Hintergrund Moderator Enno Kaufhold, Foto: Stefan Hähnel

Er ist einer der wenigen deutschen Fotojournalisten mit Weltgeltung: Gerade erst teilte die Deutsche Gesellschaft für Photographie mit, dass Gerd Ludwig in diesem Jahr mit dem Erich-Salomon-Preis ausgezeichnet wird. Im Frühling hat der in den USA lebende Ausnahme-Fotoreporter die Ostkreuzschule besucht.

Ludwigs Arbeiten drehen sich vor allem um Umwelt-Themen und Veränderungen in den Ländern der früheren Sowjetunion. Immer wieder hat er seit der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl die vom radioaktiven Niederschlag betroffenen Gebiete um den Atom-Meiler in der Ukraine und Belarus bereist. Er durfte als erster westlicher Dokumentarfotograf mit Aufräum-Arbeitern bis tief in den verstrahlten Reaktor vordringen – nicht ohne persönliches Risiko, wie er im Ateliergespräch erzählte: „In einige Räume durfte ich sogar nur fünf Sekunden rein, weil der Geigerzähler dort so stark ausschlug.“

Rückblick: Es ist der 26. April 1986, 01.23 Uhr nachts, als Mitarbeitern im Kontrollraum in Tschernobyl bei einem Routine-Sicherheitscheck ein fataler Fehler unterläuft: Einer von vier Reaktoren explodiert, erzeugt einen gewaltigen Feuerball; zehn Tage lang brennt es. Mehr als 100.000 Quadratkilometer Land werden dauerhaft radioaktiv verseucht, eine Viertelmillion Menschen verliert ihr Zuhause.

Einen Überblick über Ludwigs Arbeit gibt die Foto-Rubrik ‚Proof‘ bei National Geographic.

Bilder aus dem tiefsten Inneren des explodierten Reaktors, verlassene Ortschaften in der Sperrzone, gespenstisch stille Landschaft, die gesundheitlichen Spätfolgen für Anwohner: „Und die ersten illegalen Rückkehrer, die lieber wieder auf ihrer eigenen Scholle leben wollen statt in der Großstadt mit gebrochenem Herzen.“ – Jahrelang hat der Fotograf alle Aspekte der größten Nuklearkatastrophe der Welt bis Fukushima dokumentiert; Mitte Mai nun erscheint sein dreisprachiger Bildband „Der lange Schatten von Tschernobyl“ in der Edition Lammerhuber in Österreich – eine visuelle Bilanz nach 28 Jahren. Zugleich gedenkt das Naturhistorische Museum Wien in einer Retrospektive bis Anfang September der Tragödie.

Während Ludwig den OKS-Studenten im Atelier eine Portrait-Serie von Strahlenopfern zeigt, erläutert er sichtlich bewegt, dass den meisten der Porträtierten klar sei, dass die Fotos ihr eigenes Leben nicht mehr veränderten: „Aber die meisten Menschen wollen dazu beitragen, dass so etwas jemand Anderem nicht passiert. Ich verleihe ihnen eine Stimme.“

Beim gut besuchten Ateliergespräch gibt Gerd Ludwig offen Auskunft; Foto: Stefan Hähnel

Beim gut besuchten Ateliergespräch gibt Gerd Ludwig offen Auskunft; Foto: Stefan Hähnel

Ob er in solchen Situationen Geld gebe, wird gefragt: „Manchmal“, antwortet der Fotograf, dafür gebe es keine Regeln: „Ich bin der Meinung, dass ich jemandem, der einen Tag mit mir verbringt, durchaus hinterher etwas geben kann. Wenn ich allerdings vorher etwas gebe, dann ist es eine Beeinflussung.“ Ganz wichtig sei ihm in jedem Fall, „dass ich nichts verspreche, was ich hinterher nicht halte“.

Seinen eigenen Weg geht Ludwig auch, was Finanzierung und Publikation seiner Projekte betrifft: Schon mehrfach hat der Fotojournalist mit Crowdfunding experimentiert. Sehr erfolgreich hat er damit zum Beispiel eine Reise in die Reaktor-Sperrzone finanziert, die in eine multimediale App mündete: Bilderbuch digital. Er wolle solche Formate nicht nur den Jungen überlassen, erklärt er mit Augenzwinkern.

Auf der Plattform ‚Kickstarter‘ ist ein Crowdfunding-Video mit vielen Bildern zu sehen.

Gerd Ludwig gibt angehenden Fotoreportern Tipps mit auf den Weg: „Vor dreißig Jahren hat es gereicht, wenn Du als Fotograf losgezogen bist und gute Bilder gemacht hast. Heute ist es wahnsinnig wichtig, dass Du Dich selbst vermarkten kannst, weil es nicht mehr nur eine Schiene gibt.“ ‚Diversifikation’ habe an Bedeutung gewonnen: „Ich mache einen Auftrag und dann entwickele ich Ideen, wie daraus ein zweiter werden kann, zum selben Thema!“ Dazu gehörten Angebote an Magazine, aber auch, sich um Ausstellungen, Förderungen und Präsenz auf Blogs zu kümmern. „Storytelling, die Prozesshaftigkeit, kreatives Denken sind heute wichtiger denn je“, resümiert er.

Dass er selbst auch heitere Themen umsetzen kann, zeigte der Fotograf zum Abschluss des Ateliergesprächs mit einer Serie aus seiner Wahlheimat Los Angeles: „Ich wollte Autos fotografieren, aber anders: Autos, die schlafen!“ In den USA finde man viele Autos, die mit Planen abgedeckt seien, erzählt Ludwig. Und zeigt auf ein Gruppenbild zugedeckter Wagen: „Ein paar Glückliche – die schlafen gemeinsam!“

Seine jahrzehntelange Erfahrung als Fotojournalist für das National Geographic Magazine wird Gerd Ludwig in diesem Jahr auch beim Lumix Festival für jungen Fotojournalismus in Hannover teilen, mit einem Vortrag am Samstag, 21. Juni.

Gerd Ludwig: Ausgebildet bei Otto Steinert in Essen und Mitbegründer der ersten deutschen Autorenagentur Visum ging er in den 1980er Jahren in die USA und zählt heute zu den weltweit bekanntesten Fotografen, die für National Geographic und andere Printmedien arbeiten. Seine sozial engagierten Reportagen aus der Sowjetunion, insbesondere aus Tschernobyl, haben ihn bekannt gemacht. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 2009 den Lucie Award for International Photographer of the Year.

www.gerdludwig.com