„Das Bild hat mich nicht mehr losgelassen“

Im Gespräch: Birte Kaufmann, die für Ihre Abschlussarbeit „The Travellers“ dieses Jahr einen Förderpreis Dokumentarfotografie der Wüstenrot Stiftung erhielt.

Pamela is hanging clothes on the dryer and Jimmy is sitting untop of the caravan.

Pamela is hanging clothes on the dryer and Jimmy is sitting untop of the caravan.

OKS: Für Deine preisgekrönte Fotostrecke The Travellers hast Du eine Großfamilie der Pavee in Irland fotografiert. Wie bist Du auf das Thema aufmerksam geworden?
Birte Kaufmann: Irland ist nach Deutschland meine zweite Heimat. Als ich im Sommer vor drei Jahren in Irland war, habe ich einige Travellers am Straßenrand gesehen. Dort standen zwei Wohnwagen, dazwischen Pferde, Hunde und Kinder. Dieses Bild hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe dann angefangen, über die Travellers zu recherchieren, aber egal, wen oder wo ich gefragt habe, kamen mir nur Vorurteile entgegen. Eigentlich wollte ich die Arbeit erst nach meinem Abschluss machen. Aber ich war mit meinen anderen Abschlussprojekten nicht so richtig zufrieden, und dann habe ich Hals über Kopf entschieden, dass ich es probiere.

Wie hast Du Zugang zu der Gruppe bekommen?
Am Anfang habe ich mir das so vorgestellt: Ich fahre mit meinem Bus auf einen der „Haltingsites“ und ziehe von Zeit zu Zeit mit denen umher und übernachte in meinem Auto. Ganz so war es dann nicht. Ich durfte erst in einer der letzten Nächte bei ihnen bleiben. Als ich sie das erste Mal besuchte, brauchte ich mehrere Wochen, um das Vertrauen aufzubauen. Das war sehr schwer, weil ich sie am Anfang auch kaum verstanden habe. Die sprechen schon Englisch, mixen es mit ihrer eigenen Sprache und reden unglaublich schnell, so dass selbst Iren sie größtenteils nicht verstehen. Ich habe einen Familienclan der Travellers immer wieder besucht, zum Teil am Straßenrand oder auf verschiedenen „Haltingsites“, und so ihre Sprache nach und nach gelernt. Als ich ihre Sprachstruktur verstanden habe, habe ich auch unglaublich viel über sie gelernt, über ihre Art und wie sie sich geben. Jetzt gehöre ich zu den wenigen Leuten, die ihre Art Geheimsprache verstehe. Die lachen sich ja heute noch kaputt, wenn sie von unserem ersten Treffen reden: „Birte, als du das erste Mal kamst, mussten wir ganz langsam reden. Aber jetzt bist du wie eine Irin.“ Eigentlich haben sie nie wirklich langsamer geredet, sondern nur lauter.

A dog with her puppies at the haltingsite.

A dog with her puppies at the haltingsite.

Du hast die Travellers nun schon über ein Jahr lang begleitet. Welchen Eindruck hast Du von ihnen bekommen?
Sie führen ein recht armes und einfaches Leben – oft am Straßenrand, ausgegrenzt von der Gesellschaft. Zwar liegt der Pferdehandel fast komplett in Travellerhand, dennoch haben sie die Funktion in der Gesellschaft fast komplett verloren, wie die meisten nomadischen Völker. In den TV-Dokumentationen, die es über die Travellers gibt, wird immer auf die spektakulären Ereignisse wie Hochzeiten Wert gelegt. Diese machen aber nur einen sehr kleinen Teil ihres Lebens aus. In „meinem“ Familienclan gab es beispielsweise seit zwei Jahren keine eigene Hochzeit. Ich will mit meinen Bildern das alltägliche Leben zeigen, das unglaublich traditionell ist, wie aus einem anderen Jahrhundert. Die Frauen kriegen Kinder, stehen am Herd und putzen. Die Männer gehen auf die Jagd und kümmern sich um die Pferde. Ich darf oft nur über einen kurzen Zeitraum bei den Männern dabei sein. Wenn sie sich treffen, dann gehen die Frauen in die Wohnwagen und die Männer ans Feuer. Dann habe ich oft den Satz gehört: „Birte, the women are over there.“

Wie hast Du das Fotoprojekt finanziert?
Mehr schlecht als recht. Den Bus, mit dem ich in Irland unterwegs war, habe ich geliehen bekommen. Eigentlich wollte ich im Zelt in Irland übernachten, aber ein guter Freund meiner Familie hat an mich und mein Projekt geglaubt und mir seinen Bus für diese Zeit geliehen. Die Finanzierung war wenig durchdacht und hat mich auch immer wieder überfordert. Deswegen wollte ich die Travellers ursprünglich nicht zu meiner Abschlussarbeit machen. Bevor ich das erste Mal nach Irland geflogen bin, um zu fotografieren, das war im Sommer 2011, habe ich bereits nach Förderungsmöglichkeiten gesucht, aber Minderheitsgruppierungen aus Nordeuropa stehen nicht unbedingt auf den Förderkatalogen. Die Strecke wurde später über die Crowdfundingplattform ‚Emphasis‘ erfolgreich gefördert – allerdings als student-talent Projekt. Das heißt, die Fördersumme war limitiert und entsprach nicht den wahren Kosten.

Pamela is lying in the caravan.

Pamela is lying in the caravan.

Wie geht es mit der Bildstrecke weiter?
Ich bleibe immer in Kontakt mit den Travellers, auch wenn ich hier in Deutschland bin. Die haben mich sogar schon auf meinem deutschen Handy angerufen und gefragt, wann ich wieder zu ihnen komme. Glücklicherweise habe ich den Wüstenrot-Dokumentarpreis bekommen, um das Projekt fertig zu fotografieren, denn die Bilder sollen auf jeden Fall noch in einem Buch erscheinen.

Hast Du direkte Auswirkungen gespürt, als Du die Serie auf der Abschlussausstellung oder auf ‚Emerge‘ veröffentlicht hast?
Vielleicht ein bisschen. Bei der Abschlussausstellung gab es schon Anfragen, die Bilder in einem Magazin zu veröffentlichen, aber dazu kam es dann nicht. Eigentlich erhielt ich die meisten Reaktionen, als die Bilder schon vor meinem Abschluss an der Ostkreuzschule auf der Website von ‚CNN Photos‘ online gingen. Aus Amerika schickten mir sehr viele Menschen E-Mails, in denen meine Arbeit gelobt wurde. Ganz anders in den Kommentaren, die unter den Fotos auf der Website zu lesen waren: Dort führten die Menschen eigentlich alle Vorurteile auf, die ich auch schon zuvor gehört hatte.

Wie war für Dich die Zeit nach der Ostkreuzschule?
Man hat ja keine ganz konkreten Vorstellungen, wie es nach dem Abschluss weiterläuft. Ich hatte das Glück, die VG Bild-Kunst-Förderung für das Fotoprojekt bekommen zu haben und konnte so direkt daran weiter arbeiten. Ich habe mich auch bei Redaktionen vorgestellt und die Arbeit bei Wettbewerben eingereicht. Dass ich dann auch noch gewonnen habe, hat mich unglaublich gefreut. Vor allem ist es eine Bestätigung, dass man das macht. Meine Fotografie ist ja nicht gerade die Art von Fotografie, die heutzutage an erster Stelle steht und man unbedingt sehen möchte.

Wie wichtig ist Werbung oder PR für einen Fotografen?
Wie oben erwähnt, habe ich mich und meine Arbeiten zwar schon in einigen Redaktionen oder Wettbewerben vorgestellt. Aber für mich selbst werben – damit tue ich mich sehr schwer. Das ist nicht meine Stärke. Eigenwerbung können die Amerikaner besser. Das habe ich schon gemerkt, als ich mein Projekt auf ‚Emphasis‘ eingestellt habe. Es ist etwas anderes, Bilder beim Wettbewerb einzureichen oder zu einem Portfolio Review zu gehen. Und über Ausstellungen habe ich versucht, auf mich aufmerksam zu machen.

Birte Kaufmann ist 1981 in Deutschland geboren. Sie lebt und arbeitet als freischaffende Fotografin in Berlin. Von 2003 bis 2006 studierte sie Sozialarbeit mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik an der Fachhochschule Köln. Von 2009 bis 2012 studierte sie Fotografie an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Ihren Abschluss macht sie bei Thomas Sandberg, der „The Travelers“ betreute. Soziale und gesellschaftsrelevante Themen sind Schwerpunkt ihrer fotografischen Arbeit. Nach dem Studium erhielt sie für ihre Arbeit „The Travellers“ das VG Bild-Kunst-Stipendium. Außerdem gewann sie mit ihrer Fotostrecke unter anderem beim ‚PDN Photo Annual 2013′-Wettbewerb, das Portfolio-Review des 5. Fotofestivals Mannheim – Ludwigsburg – Heidelberg, bei der 10. Ausgabe von ‚Gute Aussichten‘ und den Wüstenrot-Dokumentarpreis. Die Bilder waren zudem beim Fotofestival in Arles ausgestellt.