OKS-lab fragt … Émilie Delugeau

Ein Gespräch mit: Émilie Delugeau, Fotografin


Porträt von Émilie Delugeau. Foto: Markus Frehrking
Porträt von Émilie Delugeau. Foto: Markus Frehrking

OKS: Hallo liebe Émilie, schön, dass Du Dir Zeit genommen hast, um mir ein paar Fragen
zu beantworten.

Du hast Fotoarbeiten Deiner Serie „Zuhause“ im Rahmen des European Month of
Photography (EMOP) gezeigt, im Institut français. Diese Fotoserie hast Du 2017 begonnen – Ist die Serie abgeschlossen oder erweiterst du diese?

Émilie: Ja, die Serie ist abgeschlossen. Ausgangspunkt war meine Entscheidung mit meiner
Tochter umzuziehen. Ende 2017 habe ich mit der Serie angefangen, 2020 war sie abgeschlossen. Die Frage jedoch „Wo bin ich zuhause?“, also die Frage nach Identität, beschäftigt mich aber eigentlich immer in meiner fotografischen Arbeit, ob in eher intimen oder in inszenierten Motiven.

OKS: Was meinst Du genau mit „inszenierten Motiven“?

Émilie: Neben Serien wie „Zuhause”, fotografiere ich seit vielen Jahren Menschen, die ich an ungewöhnlichen Orten inszeniere. Das sind zum Beispiel Tänzer, Performer oder Musiker, mit denen ich gemeinsam ein Porträt erarbeite, also Kleidung, Make-Up und Location auswähle. Oft inszeniere ich sie in der Natur, im Park oder im Wald. Da spiele ich auch auf die Mythen des Waldes an, etwa als Rückzugs- und Sehnsuchtsort. Frauen, die mit der Natur kommunizieren, wurden früher als „Hexen” verschrien. Ich selber kommuniziere durch das Fotografieren mit der Natur, es ist wie ein meditativer Akt. Auch meine reinen Naturbilder sind intime Begegnungen mit einer Form von „Zuhause” – und auch die sind natürlich inszeniert.

2022 wurde ich vom Centre d’art contemporain photographique Villa Pérochon in meiner Heimatstadt Niort eingeladen, neben der Serie „Zuhause” eine Zusammenstellung meiner sonstigen Arbeit, den Porträts und Naturbildern zu zeigen. Ich habe diese Ausstellung „Cabaret” genannt. Im Grunde genommen dreht sich bei mir alles um das „Cabaret des Lebens”, wie in einem Fellini-Film. Und alles ist auch immer ein Selbstporträt.

OKS: Spannend. Das heißt, in den Menschen, die Du fotografierst und in der Art wie Du sie fotografierst, da siehst Du auch ein bisschen Dich selbst?

Émilie: Ja klar. Sowie in der Fotoserie „Zuhause”, da habe ich mit der Choreographin Lina Gómez gearbeitet, die hier als mein „alter Ego“ auftritt.

OKS: Unter diesen Fotos ist mir eines besonders aufgefallen, da liegt Lina auf einer Fläche, die einen sehr intensiven Grünton hat.

Émilie: Ja, sie liegt auf ihrem Boden, bei sich zu Hause. Das Grün lässt auch wieder eine Sehnsucht nach Natur anklingen… tatsächlich ist Lina in Brasilien aufgewachsen.

Untitled, aus der Serie „Zuhause“. Foto: Émilie Delugeau

OKS: Während deines Postgraduate-Studiums an der Ostkreuzschule hast Du ja unter der Leitung von Ute Mahler an einem Mode-Workshop an der Kunsthochschule in Burg Giebichtenstein Halle teilgenommen. Arbeitest Du derzeit im Bereich Modefotografie?

Émilie: Ich bin sehr an Mode interessiert – wie man sich präsentieren und inszenieren kann. Als Kind war die Bühne für mich faszinierend, mein Bruder und ich waren am Konservatorium, er lernte Theater, ich Ballet. Und Filme hatten schon immer einen großen Einfluss auf mich. Französische Schauspielerinnen waren für mich ein Vorbild bei der Suche nach Identität, viel mehr als mein direktes Umfeld. Fiktion ist ein wichtiger Teil von Identität.

OKS: Was war dann das Ausschlaggebende, dass Du Dich für Fotografie entschieden hast? Was hat Dich dazu motiviert?

Émilie: Ich beschäftigte mich in meiner Jugend viel mit Literatur, Gustave Flaubert und Marguerite Duras waren eine große Inspiration vor der Fotografie. Doch ich bin durch eine Begegnung mit Luc Delahaye zur Fotografie gekommen. Im Rahmen meines Bachelorstudiums habe ich dadurch zum ersten Mal an einer Ausstellung mitgemacht (Centre d’art photographique de Lectoure, 2000). Danach habe ich mein Masterstudium an der Fotoschule in Arles absolviert. Seit 2005 lebe ich als freie Fotografin in Berlin. Die Fotografie als Medium liegt mir, man braucht nur eine Kamera und los. Oft habe ich die Kamera als Türöffner benutzt, das hat mir immer sehr gut gefallen.

OKS: Ich möchte zu Deiner Serie „Zuhause“ zurückkommen. Gibt es da für Dich noch eine Erkenntnis über die Du uns berichten magst? Ist „Zuhause“ zum Beispiel immer ein Gefühl?

Émilie: Ich fragte mich „wo bin ich eigentlich zuhause?“ Und die Antwort ist nicht Deutschland oder Frankreich, sondern: mein Körper. Zuhause ist, wie man sich bewegt durch die Welt, durch die Realität. Du selbst bist dein Zuhause.

OKS: Für mich klingt das wie eine sehr tiefe Erkenntnis.

Émilie: Ich will aber nicht wie eine Yogalehrerin klingen. Zuhause ist, wo man ist.

OKS: Zuhause ist auch die Gegenwart, verstehe ich Dich da richtig?

Émilie: Eine verlorene Gegenwart, würde ich sagen. Mit meiner Fotografie erzähle ich immer Geschichten. Aber Geschichten, die nicht zwangsläufig zu Ende gehen. Ich hätte auch einen Roman ohne ein richtiges Ende schreiben können.

OKS: Vielleicht schreibst Du den noch eines Tages. Danke, dass Du deine Gedanken mit uns teilst.

Émilie Delugeau lebt und arbeitet in Berlin.