Résonances – Thomas Sandberg
Was macht man, wenn man ein Buch gelesen hat und einem davon die Gedanken nicht aufhören zu kreisen? Man macht sich auf den Weg – und fotografiert. Ausgehend von den Werken großer Schriftsteller reiste Thomas Sandberg über zehn Jahre durch verschiedene Orte Europas, um seinen imaginären Bildern Form zu geben. Sandberg selbst bezeichnet das Ergebnis seiner Reise als Resonanzfälle, was auch den Titel der Ausstellung erklärt – Résonances. Der in der Ausstellung zu sehende Werkzyklus trägt den Namen Bronze bei Gold. Er ist in verschiedene Kapitel gegliedert, deren Namen auf die Künstler Joyce, Casanova oder Bulgakov verweisen und gleichzeitig eine Hommage an die Erzählkunst dieser Schriftsteller sind. Unterwegs in Europa trifft Thomas Sandberg auf die von den Schriftstellern beschriebenen Orte. Er könnte sie genau dokumentieren, tut es aber nicht. Seine gefundenen Bilder sind keine schlichte Illustration des Gelesenen, vielmehr sind es Erinnerungen mit einer sehr persönlichen Sichtweise, die Thomas Sandberg dazu bringen, zur Kamera zu greifen und zu fotografieren. „Mein Europa ist ein literarischer Ort, er reicht von Brooklyn bis Jerusalem, von Moskau bis Casablanca.“ Sandberg baut mit seinen Bildern eine Brücke zwischen Fotografie und Literatur. Wenn Thomas Sandberg an diese Erzählungen aus Büchern denkt, ist der Ort des Geschehens in seinem Kopf. Er reist nach Lissabon. Im Zoo sieht er einen Affen, der einen anderen beobachtet. Sofort fühlt er sich in die Episode des Ulysses von James Joyce versetzt, ‚Leo Bloom watches Stephen Dedalus und sieht in ihm sich selbst‘ – ein retrospektiven Arrangement. „Mit der Kamera mache ich ein Bild, aber ich bin mir nicht sicher, in welche Richtung das Objektiv weist.“
In seinen Bildern stellt Sandberg u.a. Bezüge zu dem Werk Histoire de ma vie von Casanova her. Lässt man sich auf die Fotografien ein, findet man durch die Emotionen, die die Bilder auslösen, einen Zugang in die Welt der Literatur. Es geht um Venedig, um Tanz, um Vergnügen und Verführung, um das Hedonistische im Leben, um Essen, um Genuss. Manchmal wirken die Bilder mystisch, man weiß nicht mehr, wo man ist. Skurrile Elemente, erotische Anmutungen. Und auch geht es um Verfolgung, Flucht und Tod.
Was die einzelnen Tableaus interessant macht, ist, dass sie unterschiedlich erweiterbar sind. Die mit den Fotos verbundenen Emotionen lassen sich nicht nur in ein einziges Tableau oder Kapitel zwängen. „In Sandbergs Tableau ist jedes Bild eine Zeile, die, je nach Hängung, zum Teil eines neuen Gedichts werden kann“, sagt Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien. Eine stringente Bilderzählung verfolgt Sandberg nicht. Wenn es in Bronze by Gold aber etwas wie „einen roten Faden geben sollte, der alle Bilder Sandbergs verbindet, dann speist er sich vielleicht aus der Wirkmacht des Melancholischen und mündet in einen Sehnsuchtsort, der außerhalb der mit Kamerawinkel, Fokus und Licht interpretierten Welt liegt.“
Seine Reise tritt Sandberg mit wenig Gepäck an. Das Wichtigste, was er braucht, ist Zeit. An vielen Tagen gibt es keine Bilder. Resonanzfälle kann man nicht erzwingen. „Ich mache ein Foto und ich weiß, nichts von meinem Gefühl wird auf dem Foto sein. Die Musen entziehen sich dem Vorsatz, sie lieben die Absichtslosigkeit. So gehe ich weiter uns versuche, nicht zu suchen.“
Die Ausstellung „Thomas Sandberg – RÉSONANCES“ der Collection Regard im Rahmen des 7. Europäischen Monats der Fotografie Berlin läuft bis zum 16.12.2016 und kann jeden Freitag (außer an Feiertagen) von 14 bis 18 Uhr sowie nach Terminvereinbarung besichtigt werden. Während des Europäischen Monats der Fotografie (vom 1.10. bis zum 31.10.2016) ist die Ausstellung auch jeden Samstag von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation der Collection Regard mit einem Text von Thomas Sandberg und von Christoph Tannert, Künstlerhaus Bethanien Berlin. Wer mehr über die Arbeit und Thomas Sandberg erfahren möchte, der kann diesem Blog von Knut Skjærven folgen.
Thomas Sandberg (*1952) ist deutscher Fotograf, der durch seine Arbeit für Zeitschriften und Magazine bekannt wurde. Seine berufliche Laufbahn begann in Ostdeutschland, wo er für die Neue Berliner Illustrierte festangestellt arbeitete. Nach der Wende fotografierte er für deutsche und internationale Magazine, u.a. für den Stern, Spiegel, Zeit, Fortune Magazin, Business Week, New York Time Magazin, The Independent Magazin. Er ist Gründungsmitglied der Agentur Ostkreuz sowie Mitbegründer und -Eigentümer der Ostkreuzschule für Fotografie. Die Collection Regard ist eine Fotografische Sammlung, die ihren Schwerpunkt auf die deutsche Fotografie, insbesondere Fotografie aus Berlin, gelegt hat. 2005 begann Marc Barbey seine Sammlung deutscher Schwarz-Weiß-Fotografie von den Anfängen der Fotografie bis in die 1990er Jahre auszubauen.
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