World Press Photo Awards Days 2015

Eine angehende Bildredakteurin der Ostkreuzschule reist zu den World Press Photo Awards Days 2015 nach Amsterdam und findet dort die gleichen Diskussionen über Standards, Regeln und Werte wieder, die auch während der Ausbildung zur Bildredakteur/-in an der OKS geführt werden. Ein Einblick. 

Mads Nissen, diesjähriger Gewinner des World Press Photo Awards, sagt über sich selbst: „Ich gehöre einer neuen Generation Fotografen an“, und meint damit zum einen das Einsetzen neuester Technik, wie z.B. das Iphone, aber auch die sich stetig ändernde Rolle und Aufgaben des Fotografen als Journalist. Es geht nicht mehr nur darum, ‚gute‘ Bilder nach Auftrag zu produzieren und abzuliefern. Alleine die Arbeitsabläufe eines modernen Fotojournalisten haben sich in den letzten Jahren gravierend verändert und erweitert, heute ist er im Idealfall Texter, Reiseplaner, Kamera- und Tonmann und Editierer in einem, ist also quasi ein eigenes kleines Produktionsstudio. So die Theorie der Industrie.
Das bedeutet, der Fotojournalist von heute muss sich neben praktischen Herausforderungen, wie Equipment, Finanzierung und Zeit auch immer wieder mit dem sich ändernden theoretischen Überbau auseinandersetzen. Fragen nach Rolle und Definition des Fotojournalisten, der Abgrenzung zum Aktivisten, den Do’s and Dont’s der Bildbearbeitung, der Ethik im Journalismus sind nur einige.

Die World Press Photo Awards Days sind in diesem Kontext nicht nur Preisverleihung und Nabelschau, sondern dienen auch durch verschiedene Workshops als Diskussionsplattform für eben diese Themen. Teilnehmer/-innen sind neben namhaften Fotografen/-innen auch Bildredakteure/-innen großer Medien, Vertreter/-innen der wichtigsten Bildagenturen, Journalisten/-innen sowie der neu berufene Direktor der World Press Photo-Stiftung Lars Boering, um in kleinem Rahmen offen Ansichten und Erfahrungen auszutauschen.

© Amaury Miller / Hollandse Hoogte

Thomas Borberg, Pete Muller, Santiago Lyon, Francis Hodgson, Alessia Glaviano, Foto: Amaury Miller / Hollandse Hoogte

In den Workshops saßen die Teilnehmer/-innen dicht an dicht, das Interesse an dem Austausch unter Kollegen/-innen war sehr groß. Verständlich, denn die diskutierten Themen betreffen die Grundsätze des Fotojournalismus: Ist Stageing erlaubt innerhalb der Dokumentarfotografie und wenn ja, wann und unter welchen Voraussetzungen? Oder verlässt man bereits mit dem Griff zur Kamera und der Motivauswahl den Stand eines völlig objektiven Fotojournalisten? Was sind die Erwartungen des Publikums, der Medienindustrie, des Fotografen oder sogar des/der Fotografierten? Wo ist die Grenze zwischen dem Fotografen als Person, mit subjektiven Interessen und Standpunkten und dem Fotografen als Funktionsträger, d.h. Dokumentaristen und ’neutralen‘ Beobachter? Lassen sich diese beiden Positionen überhaupt trennen? Wie viel Postprocessing ist erlaubt? Gibt es globale ethische Standards für (Foto-)Journalisten/-innen, die verbindlich vorgeschrieben werden müssen?

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Zweiter Platz in der Kategorie Daily Life: Bangladesh, Foto: Sarker Protick. Zu viel Postprocessing oder nicht?

Ohne einen persönlichen ethischen Kompass und Regeln arbeitet kein professioneller Fotograf oder Journalist, jedoch sind diese bei manchen Fotografen/-innen flexibel und variieren je nach vorgefundener Situation, zu erzählender Geschichte und eigenen Möglichkeiten. Die Spannungsfelder zwischen Auftrag und Erwartung, eigenem Anspruch und real vorgefundener Situation zu überbrücken ist Aufgabe des Fotografen und immer ein Abwägen mit nicht immer befriedigendem Ausgang für alle beteiligten Interessen.

Einig war man sich immerhin in der Selbstverortung: Die Aufgabe des Fotojournalisten ist in erster Linie die der Dokumentation. In der Fotografie sozialer Missstände ist es darüber hinaus wichtig, den betroffenen Personen die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Situation zu verändern, ihnen eine Wahlmöglichkeit aufzuzeigen. Dies kann der Fotojournalist leisten, indem er weg von der strengen Dokumentation zusätzlich als Netzwerker fungiert und Kontakte zu Hilfsorganisationen, Regierungsvertretern o.ä. knüpft und so über die eigentliche Veröffentlichung seiner Bilder hinaus auf Missstände aufmerksam macht. Dies alles soll, im Idealfall, im Rahmen eines aktiven Journalismus möglich sein, ohne der Rolle als neutraler Berichterstatter nicht mehr gerecht zu werden.

Auch wenn der Wunsch nach verbindlichen Definitionen und Regeln während der Tage in Amsterdam immer wieder laut wurde, distanzierten sich alle Jury-Mitglieder inklusive Lars Boering von dieser Vorstellung. Denn abschließend zu klären ist wohl keine dieser Fragen. Es bleibt eine offene Diskussion zwischen den Experten/-innen, Grenzen müssen immer wieder neu ausgehandelt werden und Regeln flexibel auf neue Realitäten reagieren können. Das ist nur möglich, wenn es auch in Zukunft Räume für Auseinandersetzungen und Gespräche geben wird, so wie es die Awards Days geleistet haben.

Beitragsbild: Christine Hutzel