Zu Besuch beim 4. LUMIX Festival in Hannover

Zur Bildredakteursausbildung gehört auch, informiert zu sein: Mitten im Foto-Festivalsommer läuft so Einiges! Was macht der bildjournalistische Nachwuchs? Welche Themen und Trends beschäftigen Fotografen und Redaktionen? Mit diesen Fragen im Kopf und großer Neugier machten sich einige OKS-Studierende auf den Weg zum LUMIX Festival. Es bot ein reichhaltiges Programm, eine Technikschau, 60 Foto-Ausstellungen und 20 Multimedia-Stories, deren Autoren zum Teil vor Ort angetroffen werden konnten.

Ein Bericht von Anna Hofsäß, Maritta Iseler und Friederike Rother

4. LUMIX FESTIVAL 2014 - Ausstellung

Besucher vor den Foto-Ausstellungen in den Zwischenemporen des DesignCenters der Hochschule Hannover, Foto: Maximilian von Lachner / FH Hannover

 

Vorträge

Von Mittwoch bis Samstag waren im Auditorium des Design Centers der FH Hannover sieben Vorträge von renommierten Fotografen aus aller Welt zu hören. Justin Jin (Hong Kong) zeigte zum Auftakt am Mittwochabend in einem leidenschaftlichen Vortrag drei Projekte, unter anderem Another Great Leap Forward über die Umsiedlung chinesischer Bauern im Kontext der Urbanisierung in China und Zone of Absolute Discomfort über Gas- und Ölgewinnung im Lebensraum der Nenet-Nomaden in der russischen Arktis. Rob Hornstra (Niederlande) stellte seine Langzeitarbeit The Sochi Project vor. Gemeinsam mit dem Journalisten Arnold van Bruggen erarbeitete er mit großer Hartnäckigkeit und über bürokratische Hürden hinweg gut fünf Jahre lang Stories über Sochi jenseits der einseitigen Kampagnen um die Olympischen Winterspiele.

Am Donnerstag hätten die Vorträge unterschiedlicher kaum sein können: Ragnar Axelsson (Island) zeigte seine unter extremen klimatischen Bedingungen entstandene Arbeit The Hunters of Thule zu Jägern auf den Faröer Inseln, Island und Grönland und seine humorvollen Tierporträts. Maxim Dondyuk (Ukraine), der sich an schwierige Themen wie Tuberkuloseerkrankungen in der Ukraine heranwagt, zeigte auch seine Arbeiten über die Krim- und Maidan-Konflikte und wie er dabei versuchte, mit größtmöglicher Neutralität die Positionen der verschiedenen Akteure zu verstehen.

Am Freitagabend erzählte Alixandra Fazzina (Großbritannien), wie sie als Fotojournalistin in verschiedenen Projekten bis an die Grenzen ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit ging. Sie stellte ihre bekannteste Arbeit vor: Zwei Jahre lang begleitete sie in ihrer Arbeit A Million Shillings: Escape from Somalia somalische Flüchtlinge auf ihrem Weg zur arabischen Halbinsel. Weitere Vorträge gab es am Freitag von Michael von Graffenried (Schweiz) und am Samstag von Gerd Ludwig (Deutschland).

 

Crowdfunding

Am Freitagvormittag und -mittag (im Planet MID auf der Expo Plaza) drehte sich alles um Crowdfunding – ein Trend, der sich zur Finanzierung von Projekten im Journalismus- und Kunstbereich wachsender Beliebtheit erfreut. Ein Vorteil von Crowdfunding ist, dass man bereits in der Finanzierungsphase eines Vorhabens ein interessiertes Publikum für später anwerben kann. Ein Nachteil ist, dass so neue Abhängigkeiten entstehen.

Crowdfunding-Erprobte teilten ihre Erfahrungen: Rob Hornstra erklärte, wie er im Sochi Project mit verschiedenen Spenderkategorien haushaltete und dass sich kleine Druckauflagen als vorteilhaft für die Finanzierung seiner Fotobücher erwiesen. Claudius Schulze stellte sein Projekt Socotra vor. Sein Fotobuch ließ sich vor allem durch Crowdfunding aus dem Bekanntenkreis und familiären Umfeld ermöglichen. Der Verkauf von gerahmten und ungerahmten Fotodrucken hat sich in seinem Fall als gute, zusätzliche Einnahmequelle erwiesen. Sebastian Esser, Textjournalist vom Onlinemagazin Krautreporter, erklärte, wie durch Crowdfunding unabhängiger Journalismus möglich ist. Schließlich berichteten der Fotograf Kai Wiedenhöfer und die Filmemacherin Sarah Mabrouk von ihren Crowdfunding-Erfolgen mit der größten Crowdfunding-Plattform Kickstarter. Sie berichteten vor allem über den nicht zu unterschätzenden Zeit- und Kreativaufwand für eine erfolgreiche Kampagne und einige Probleme mit dem Online-Zahlungsweg.

4. LUMIX FESTIVAL 2014 - Thementag

Rob Hornstra präsentiert beim Thementag Crowdfunding seine Arbeit The Sochi Project, Foto: Maximilian von Lachner / FH Hannover

 

DGPh-Symposium: „Wie managen wir die Bilderflut?“

Am Freitag den 20. Juni lud die Deutsche Gesellschaft für Photographie e.V. zum Symposium in den Kino-Saal Planet MID, um mit Bildredakteuren, Fotografen und Software-Experten über die Bilderflut in Zeiten der digitalen Fotografie und ihre Auswirkungen für die Arbeitsprozesse von Fotografen, Postproduktion und Bildredaktionen zu sprechen.

Seit Ende der 1990er Jahre sieht sich die Medienbranche mit einer stetig wachsenden Anzahl an Bildern konfrontiert. Setzte der analoge Film noch ein gewisses physisches Limit, lassen sich heute hunderte digitale Fotos binnen Sekunden produzieren und verschicken. Sie zirkulieren durch die Netze als ein unsichtbarer globaler Datenstrom, dessen Ausmaß längst nicht mehr zu überblicken ist.

Wächst die Menge weiter, wird sie bald nicht mehr effizient zu bewältigen sein. Schon jetzt, so sagte Jörg Buschmann, Bildchef der Süddeutschen Zeitung, lieferten die Nachrichtenagenturen im Schnitt täglich 19.000 Fotos an die Bildredaktion der Münchner Tageszeitung, nach einem besonderen Ereignis auch mal das Dreifache. Bei der durchgehend gleichen und hohen Qualität der Bilder sei es eben diese schiere Quantität, welche die schnelle Sichtung des Materials und eine treffsichere Auswahl immer schwieriger mache. Die Reduzierung der Bildmenge durch eine prägnantere Auswahl seitens der Agenturen sei deshalb wünschenswert.

Ähnlich argumentierte auch Medienhaven Geschäftsführer Peer Rüdiger und forderte von den anwesenden Fotografen eine Rückbesinnung auf Qualität statt Quantität. Eine, bereits von den Fotografen erstellte, konsequente und sinnvolle Vorauswahl sowie eine klare und gegebenenfalls kundenorientierte Verschlagwortung der Bilder seien unverzichtbar bei der Anstrengung, den digitalen Workflow zu verschlanken und das eigene Archiv übersichtlich zu halten.

Einen Einblick in den Bereich aktueller Software-Entwicklung gab Bernhard Reinhardt vom Max-Planck-Institut für Informatik. Sein interessanter, wenn auch recht technischer, Vortrag drehte sich um die Möglichkeiten, die Suche nach ähnlichen Bildern, ob im Internet oder dem eigenen Archiv, mithilfe neuer lernfähiger Ähnlichkeitsanalyse-Software noch effizienter zu gestalten. Werden zur Zeit hauptsächlich in Farbe und Form ähnliche Bilder gefunden, solle in Zukunft auch das Motiv der gefunden Bilder übereinstimmen.

4.LUMIX FESTIVAL 2014 - Ausstellung, Foto: Philipp Sann / HS Hannover

Besucher auf dem Ausstellungsgelände Gärten im Wandel, Foto: Philipp Sann / HS Hannover

Wie also managen wir die Bilderflut? Am Ende des Tages hatte man einige Ansätze und Meinungen gehört, jedoch keine konkreten Antworten bekommen – man wird sich wohl bald wieder treffen.

Teilnehmer des Symposiums: Peer Rüdiger (Medienhaven, Bremen), Alexander Koch (Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive e. V., Berlin), Prof. Dr. Susanne Boll (Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg), Bernhard Reinert (Max Planck Institut für Informatik, Saarbrücken), Heinz Krimmer (freiberuflicher Journalist und Autor, Berlin), Jörg Buschmann (Süddeutsche Zeitung, München), Andreas Gebhard (Getty Images Inc., New York), Axel Kossel (c’t – Magazin für Computertechnik, Hannover)

 

Ausstellungen

Das 4. LUMIX Festival war vor allem eine enorme Fotoschau – die 60 gezeigten Reportagen und Essays der besten Nachwuchsfotografen aus der ganzen Welt wurden aus rund 1200 Bewerbungen von einer sechsköpfigen Jury ausgewählt. Zu sehen waren aktuelle Ereignisse wie die Auseinandersetzung auf dem Kiewer Majdan, Bildstrecken, die sich mit natürlichen Ressourcen beschäftigen, Straßenkinder in Berlin, private Geschichten von Großeltern, von einem Mädchen mit Down-Syndrom oder eine polnische Hochzeit. Auch eine Ostkreuz-Absolventin war vertreten: Birte Kaufmann mit ihrer Arbeit The Travellers.

Leider können wir nur ein paar Fotos von drei der Reportagen zeigen.

Die 26-jährige Finnin Meeri Koutaniemi präsentierte mit Taken einen Essay über Genitalverstümmelung in Kenia. Dort ist diese Tradition seit 2001 eigentlich illegal. Koutaniemi erzählt die Geschichte der Massai-Mädchen Isina und Naserian, die hier im Grunde für Millionen von Mädchen und Jungen in 29 Ländern stehen, wo das Ritual praktiziert wird. Die Reportage wurde mit dem Freelens-Award als beste Arbeit des Festivals ausgezeichnet. Alle vergebenen Preise hier: Freelens-Award.

Foto: Meeri Koutaniemi

Die Massai-Mädchen Isina und Naserian in der Hütte ihres Vaters am Tag vor der geplanten Beschneidung, Foto: Meeri Koutaniemi

Taken, Foto: Meeri Koutaniemi

Mädchen und Jungen werden vor der Beschneidung am ganzen Körper mit Rasierklingen und frischer Kuhmilch rasiert, Foto: Meeri Koutaniemi

Foto: Meeri Koutaniemi

Naserians Bruder Sankei wird ebenfalls von der Mutter beschnitten und vor dem Ritual rasiert, Foto: Meeri Koutaniemi

 

Eine der drei ehrenvollen Erwähnungen ging an Mads Nissen (34) aus Dänemark für die Reportage Homophobia in Russia. Homosexuelle werden in Russland per Gesetz und im Alltag diskriminiert, belästigt und Opfer gewaltsamer, hassmotivierter Angriffe seitens religiöser Gruppen und Neonazis. Nissen zeigt ein gesellschaftliches Bild, das den öffentlichen Diskurs über gleichgeschlechtliche Beziehungen weltweit angeregt hat.

Homophobia in Russia, Foto: Mads Nissen

Pawel Lebedew, 23 (rechts), mit seinem Freund Kirill Kalugin. Pawel wurde im letzten Jahr sechsmal gewaltsam angegriffen. Trotzdem pocht er auf sein Recht, zu wählen, wen er liebt und hält in der Öffentlichkeit Händchen, Foto: Mads Nissen

Homophobia in Russia, Foto: Mads Nissen

Kiriee Fedorov und drei Mädchen versuchen sich auf einer Veranstaltung der LGBT-Aktivisten (Lesbian, Gay, Bisesual und Transgender) vor fliegenden Steinen und Schlägen der anti-homosexuellen Natinalisten zu schützen, Foto: Mads Nissen

Homophobia in Russia, Foto: Mads Nissen

Der 27-jährige Ruslan ist Balletttänzer an der russischen Ballettakademie. Nachdem er fünf Jahre mit einer Frau verheiratet war, hatte er kürzlich sein Coming-out, Foto: Mads Nissen

 

Die Arbeit von Lærke Posselt zeigt den Alltag kleiner Schönheiten in Alabama, Georgia und South Carolina zwischen Laufgitter und Laufsteg. Die Popularität von Schönheitswettbewerben explodiert zur Zeit in den USA. Viele Mädchen werden bereits im Babyalter dafür geschminkt, frisiert und gebräunt, später täglich von ihren Eltern darin trainiert, sich zu präsentieren. Die Eltern behaupten, dass der Wettkampf und das Rampenlicht ihren Töchtern dabei helfen, den Charakter und die Selbstsicherheit aufzubauen.

Beautiful Child, Foto: Lærke Posselt

Evie, 2, spielt Laufsteg auf dem Esstisch. Ihre Lieblingsfarbe ist Pink und sie ist gerne draußen in der Natur, Adger, Birmingham, Alabama, USA, Foto: Lærke Posselt

Beautiful Child, Foto: Lærke Posselt

Sophia, 2, hat ihre Perücke auf und das Make-up ist gemacht, jetzt ist es Zeit für das teure Kleid. Viele Familien sind fast jedes Wochenende unterwegs und versuchen Preise zu gewinnen – die Eintrittspreis liegen zwischen 100 und 1.000 Dollar. Der Big Trophy-Wettbewerb, Vidalia, Georgia, USA, Foto: Lærke Posselt

Beautiful Child, Foto: Lærke Posselt

Eine Zweijährige vor ihrem Auftritt beim Big Trophy-Wettbewerb, Vidalia, Georgia, USA, Foto: Lærke Posselt

 

Das LUMIX Festival für jungen Fotojournalismus findet alle zwei Jahre statt – wir freuen uns auf das nächste Mal.

Mehr Infos und der Katalog unter:
4. LUMIX Festival für jungen Fotojournalismus