OKS-lab fragt…

In der Serie «OKS-lab fragt … » beantworten Dozenten, Fotografen und Macher der Ostkreuzschule Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie, zur Lebensart.

Im Gespräch: Michael Biedowicz – leitender Bildredakteur ZEITmagazin

VOLUME II: Über den Beruf des Bildredakteurs, Autorenfotografie, Juergen Teller und Lieblings-Blogs

Immer auf der Suche nach Bildern, die Bestand haben; Foto: Fay Nolan

Immer auf der Suche nach anspruchsvollen Bildern; Foto: Fay Nolan

OKS: Michael, nach jahrelanger Erfahrung im Magazin-Bereich: Was macht einen guten Bildredakteur aus?
Michael Biedowicz: Dass er auf der einen Seite die Idee des Magazins, des Objekts, für das er arbeitet, an den Fotografen weitergibt und umgedreht für die Fotografen auch derjenige ist, der etwas in das Medium Magazin transportiert. Also eine Schnittstelle zwischen dem Verlag und den Produzenten.

Was rätst Du angehenden Bildredakteuren, die den Einstieg in einen Job finden möchten, wie Du ihn beim ZEITmagazin machst?
Man sollte sich relativ früh über sein Gebiet klar werden. Es gibt Boulevard-Journalismus, wo man natürlich auch als Bildredakteur arbeitet kann und es gibt andere Segmente. Wenn man vom Boulevard kommt, kann man nicht einfach in eine andere Sparte wechseln. Ich würde immer raten, dahin zu gehen, wo man sich selber persönlich zuhause fühlt, diese Stärke mitzunehmen und darauf zu achten, dass eine starke inhaltliche Auseinandersetzung da ist: Dass man sich über die Texte, über die Inhalte klar wird und das versucht, in Bilder zu transportieren.

Was ist für Dich ein gutes Bild oder eine gute Strecke? Woran merkst Du das?
Wenn mich etwas sofort anspringt! Das ist eher ein Bauchgefühl. Also wenn ich sofort den Impuls verspüre: Interessiert mich! Das ist sozusagen die erste wichtige Hürde. Und dann gibt es Geschichten, die ein gewisses Einfühlungsvermögen erfordern, da muss man sich ein bisschen zwingen, diese näher anzugucken. Und die Arbeit sollte eine Handschrift haben, eine Eigenständigkeit. Es sollte nicht austauschbar sein. Das sind Eigenschaften, die gute Autorenfotografen mitbringen: Die arbeiten an ihrer eigenen Handschrift, perfektionieren diese, bis sie unverwechselbar wird.

Kannst Du ein Beispiel nennen für einen tollen Autorenfotografen, den Du magst? Wahrscheinlich gibt es viele…
Ganz viele! Aber Juergen Teller ist zum Beispiel ein ganz wunderbarer Fotograf, der seine eigene Handschrift hat, die unverwechselbar ist. Und auch einer der wenigen, der in mehreren Genres mitspielen kann. In der Kunst, in der Werbung und in Editorial-Fotografie ist Juergen Teller immer Juergen Teller: Er wird sich nie für die Werbung anders verhalten als für eine Editorial-Strecke. Das heißt, er hat so eine Kraft in seiner Handschrift, so eine Ausstrahlungskraft, dass es ihn nicht beschädigen kann, wenn er plötzlich in einer Anzeigenkampagne zu sehen ist, mit einem Label drauf.

Was macht ihn so besonders oder wie würdest Du seinen Stil beschreiben?
Natürlich hat er mit seiner Blitztechnik etwas gemacht, was lange Zeit tabu war. Man hat früher lieber gut ausgeleuchtet oder natürliches Licht genommen. Draufblitzen gehörte eine Zeit lang zu den bösen Boulevard-Journalisten, die einfach einen Stabblitz hatten und zack – geblitzt haben! Und das hat er mit einer eigenen Farbregie verbunden. Und auch diese Nähe, die er immer zu den Leuten hat, die er fotografiert: Dass er wirklich über die natürlichen Grenzen hinausgeht! Dass die Leute sich offenbaren, etwas zeigen, was sie vorher vielleicht gar nicht bereit waren, zu zeigen. Und diese Intimität und Nähe, die er bei seinen Porträt-Fotografien herstellt – das ist für mich ein großes, großes Beispiel für perfekte Autorenfotografie!

Lieblings-Bilder auf dem Cover des ZEITmagazins

Lieblings-Bilder auf dem Cover des ZEITmagazins

Und wie setzt man sich als Bildredakteur durch, wenn man von einer Arbeit überzeugt ist – auch im Team, etwa gegenüber einem Art Director?
Man sollte versuchen, wenn man von einer Strecke überzeugt ist, diese Überzeugung zu vermitteln. Also auch Begeisterung äußern, damit man die Chance hat, andere mitzuziehen! An einem visuellen Konzept arbeiten ja mehrere Leute, zum Beispiel auch jemand vom Layout, der eigene Sachen beachten muss. Leute einzubinden, ist immer von Vorteil. Und natürlich auch den anderen die Freiheit zu lassen, dass sie sagen: „Mit dem Aufmacher, den Du vorgeschlagen hast, kommen wir nicht klar, denn da fehlt der Platz für die Überschrift, wie wäre das hier?“

Es gibt so viele leicht verfügbare Fotos. Werden da Bildredakteure überhaupt noch gebraucht?
Gerade, weil es so viele Bilder gibt und die Bilderflut so unermesslich groß ist: Sich in diesem Wust zurechtzufinden und auch nach dem richtigen Bild zu suchen, dem anspruchsvollen Bild, was wirklich Bestand hat: Dafür braucht es natürlich unbedingt einen Bildredakteur! Also jemanden, der sich nicht mit dem ersten Bild zufrieden gibt.
Wenn zum Beispiel mehrere Nachrichtensender ähnliche Bilder haben, wird irgendeiner sagen, auch aus der Chefetage: „Leute, lasst uns doch mal was machen, was uns von den anderen unterscheidet. Gibt es da nicht noch was Besseres?“ Da können wir als Bildredakteure sagen: „Okay, wir haben nicht nur einen Zugang zu den normalen Archiven, sondern auch einen Zugang zu einem Spezialisten, der vielleicht scheu ist und seine Arbeit lieber im Museum sieht als in der Zeitung.“ Aber den kennen wir und versuchen, ihn für uns zu gewinnen!

Wie findest Du Bildstrecken? Suchst Du über die großen Bild-Agenturen oder schaust Du zum Beispiel einfach auf die Webseite von Fotografen, um zu sehen, was die gerade so machen?
Es kommt ganz auf die Geschichte an. Wenn es eine News-Geschichte ist, weiß ich vielleicht von zwei, drei Leuten, dass sie in einem Krisengebiet sind und dort arbeiten. Die frage ich dann: „Seid ihr frei? Produziert ihr im Auftrag? Ist da was für mich dabei?“ Man muss aber trotzdem immer wissen: Was läuft über die normalen Nachrichtenagenturen, was decken die schon ab und worin liegt jetzt meine Ausrichtung? Das heißt, obwohl ich ein Bild vielleicht gar nicht drucken will, muss ich mich informieren, was gerade auf dem Markt ist. Natürlich helfen auch immer Gespräche mit Fotografen oder Agenten.

Wird es immer schwieriger, wirklich tolle Bilder zu finden bei dem großen Angebot? Oder ist es auch spannend, dass man auf ‚Flickr‘ suchen kann?
Das ist erst einmal eine Bereicherung, aber ich merke, dass unser Beruf des Bildredakteurs inzwischen ein Wortredakteur geworden ist. Denn wir suchen ja mit Suchbegriffen, die Wörter sind. Das heißt, ich muss Umschreibungen kennen für einen Begriff, weil ich unter dem ersten Schlagwort nur fünf Treffer finde. Das heißt, der Bildermensch – ich bin ja auch Bildredakteur geworden, weil ich mich eher in Bildern ausdrücken kann als in der Sprache – ist inzwischen jemand, der nur mit der Sprache arbeitet, weil die Suchmaschinen mit Spracheingabe arbeiten.

Fotografierst Du eigentlich auch selbst?
Ich habe fotografiert und habe Ende der Achtziger damit aufgehört. Vor einem Jahr habe ich alte Bilder noch mal neu produziert. Ich fühle mich nicht mehr als Fotograf, aber ich kenne das Metier und bin auch froh, dass ich weiß, was ein Fotograf manchmal für eine Überwindung braucht, auf Menschen zuzugehen: Das zu machen, was man jenseits von Technik, was man sozusagen menschlich mitmachen muss, um von jemandem ein Abbild zu bekommen.

Merkt man das Bildern an? Sieht man, wie der Fotograf arbeitet?
Man kann es vermuten. Oftmals muss ja ein guter Porträtfotograf menschliche Fähigkeiten haben, um jemanden zu etwas zu nötigen, was der gar nicht wollte. Und das spielt sich oft in einer kurzen Zeit ab, zwischen Persönlichkeiten, die aufeinander prallen. Und zunächst muss man immer davon ausgehen: Wer fotografiert wird – es sei denn, er ist Schauspieler und Profi vor der Kamera – hat erst mal eine Scheu, etwas preiszugeben. Und das muss man sozusagen als Fotograf mit demjenigen zusammen überwinden.

Hast Du zum Schluss noch einen besonderen Tipp für Fotografen und Bildredakteure?
Ich habe gemerkt, dass mich in letzter Zeit immer interessiert, was in den Fotoblogs passiert. Die sind oftmals von Leuten oder Amateuren, die den ganzen Tag nur auf fotografischen Webseiten gucken: Was ist neu, was ist ungewöhnlich? – und das dann für ihren Blog zusammenfassen. Oder jede Ausstellung besuchen und darüber einen Bericht schreiben. Dieses Medium ist neu hinzugekommen und ist eine ganz wunderbare Informationsquelle!

OKS: Vielen Dank für das Gespräch!

P.S. Und hier exklusiv ein paar Lieblings-Blogs:
http://triangletriangle.com
http://georgegeorgiou-intransit.blogspot.de
www.ignant.de
http://cargocollective.com
www.aperture.org

Michael Biedowicz: Jahrgang 1955. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Theaterfotograf am Berliner Maxim Gorki Theater Arbeit als Bildredakteur (Redaktion »Bildende Kunst«, »die tageszeitung« und »Wochenpost«). Seit 1997 beschäftigt bei der Wochenzeitung DIE ZEIT, verantwortlich für das damalige Ressort LEBEN, seit 2007 Bildchef des ZEITmagazins. Desweiteren Arbeit als Kurator (40 Jahre ZEITmagazin, Marilyn backstage) und Mitarbeit in diversen Jurys (Deutscher Jugendfotopreis, PANL – Photographers Association of the Netherlands, Körber-Stiftung). Gastdozent u.a. an der OKS.

Im vorherigen VOLUME I mit Michael Biedowicz dreht sich alles um:
Die Kunst des Kuratierens, Acryl und Vinyl, Lieblings-Ausstellungen –
und Chancen für junge Fotografen