OKS-lab fragt …

In der Serie «OKS-lab fragt … » beantworten Dozenten, Fotografen und Macher der Ostkreuzschule Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie, zur Lebensart.

Im Gespräch: Michael Biedowicz – leitender Bildredakteur ZEITmagazin

VOLUME I: Über die Kunst des Kuratierens, Acryl und Vinyl, Lieblings-Ausstellungen –
und Chancen für junge Fotografen

Experimentieren mit einem neuen Inkjet-Druck in Museums-Qualität; Foto: Fay Nolan

Experimentieren mit einem neuen Druckverfahren: Michael Biedowicz und Partnerin Konstanze Schäfer; Foto: Fay Nolan

OKS: Michael, Du bist Bild-Chef beim ZEITmagazin, derzeit im Sabbatical. Was machst Du in Deiner Auszeit?
Michael Biedowicz: Ich arbeite sehr viel für die Galerie „pavlov’s dog“: Aber eine Arbeit, die man gerne macht. Wir bereiten Ausstellungen vor, wir schreiben Pressetexte, wir machen eine Website – und das kostet einfach viel Kraft und Energie. Die zweite wichtige Arbeit, die jetzt dazu gekommen ist, ist die Firmengründung: Wir haben jetzt eine Firma, die haltbare, ausstellungsfertige Prints in Museumsqualität herstellt. („A1A artprint“, gemeinsam gegründet mit seiner Lebensgefährtin, Anm. d. Red.)

Was ist das Konzept von „pavlov’s dog“, welche Idee steckt dahinter?
„pavlov’s dog“ ist ein Kollektiv: Wir sind fünf Kollegen, die sich die Arbeit teilen, auch die kuratorische. Wir haben immer mit Fotografie zu tun, ich als Bildredakteur, andere Kollegen, indem sie selber Fotografen oder Kunsthistoriker sind. Und wir wollten, dass die Galerie, die hier unter dem Namen „Berg19“ existierte, weiter besteht. Die ehemalige Inhaberin fragte: „Wollt ihr meine Galerie weiterführen?“, und da haben wir, ohne zu überlegen, „Ja“ gesagt. Über das Konzept waren wir uns relativ schnell einig: Sachen zu zeigen, die uns selbst begeistern, von denen wir glauben, dass sie ein großes Publikum verdienen.

Und was hat es mit diesen neuen Foto-Prints auf sich, denen Du den Rest Deiner Freizeit opferst?
Also wir haben ein Produkt entwickelt, was unter dem Namen ‚A1A‘ vertrieben wird: Ein Museums-Print, der nachweislich 200 Jahre Haltbarkeit hat, im Gegensatz zu den bisherigen Verfahren weit haltbarer ist und nach Aussage eines Kollegen den Kunstmarkt revolutionieren könnte.

Wie muss ich mir das genau vorstellen; was war die Problematik, die es zu lösen galt?
Die Technik, die zum Beispiel Andreas Gursky für seine Bilder anwendet, ist ein Diasec-Verfahren (hinter Acrylglas versiegelte Fotos, Anm. d. Red.). Sieht wunderbar aus. Die Probleme fangen im Laufe der Zeit an. Der größte Feind eines großen Bildes, das man ausstellt oder irgendwo hinhängt, ist das Sonnenlicht. Das verändert mit der Zeit die Farbe. Zweiter Punkt ist, dass Klebstoffe verarbeitet werden müssen, die sich negativ auf das Bild auswirken. Zehn Jahre ist ein Bild einigermaßen ansehnlich, dann fangen die Probleme an. Wenn man zum Beispiel zum „Hamburger Bahnhof“ geht: Thomas Struth ist ausgestellt. Sein Bild, würde ich sagen, müsste man sofort abhängen, weil es einen blauen Strich zeigt, der vom Künstler bestimmt nicht beabsichtigt war. Mitten im Bild ein breiter, blauer Strich.

Und wie genau funktioniert jetzt Euer Verfahren? Auf den ersten Blick sieht es aus wie Farbe oder Lack …
Erfunden hat es meine Freundin und Lebensgefährtin. Sie kommt aus dem wissenschaftlichen Bereich, hat das Know-how, den Hintergrund für diese Strukturen und Moleküle. Das Verfahren beruht nicht auf einem Ausdruck, der auf Papier erstellt wird, sondern auf einer Folie: Diese wird mit flüssigem Acryl eingestrichen und laminiert. Und nach einer Aushärtungsphase ist das Bild dann auf einem Bildträger. Man kann die Folie abziehen und sie hat keine Pigmente mehr – die wandern in diese Acrylschicht, hauchdünn. Deswegen hat man den Eindruck, man hält ein steifes Papierbild in der Hand, aber mit einer ganz anderen Haltbarkeit.

Wolltest Du im Sabbatical nicht ursprünglich ein bisschen Freizeit haben?
Richtig. Ich hatte zu Anfang gedacht, ich habe Zeit, meine Plattensammlung zu sortieren. Nach einem Jahr muss ich sagen, ich habe nicht eine einzige Platte sortiert. Im Gegenteil, es ist mehr Chaos entstanden. Die Zeit nutze ich für andere Aktivitäten. Und ich merke, es hat immer mit Fotografie zu tun, nur mein Blickwinkel ändert sich. Ich bin jetzt nicht mehr der Mensch, der überlegt, in welcher Geschichte eine Magazingeschichte steckt und wie man das publizieren kann, sondern ich habe mit dem Metier zu tun, aber blicke mit anderen Augen darauf. Sehr bereichernd.

Was für Platten gibt es denn in Deiner Sammlung und kann man die Liebe zu Platten mit analoger Fotografie vergleichen? Platten liegen ja wieder im Trend …
Na ja, es fing mit einer Sammlung Ende der 80er Jahre an, die sehr viel Punk enthält. Und es ist natürlich ein Medium wie analoge Fotografie: Man möchte etwas in der Hand halten und es hat wirklich einen wärmeren Klang. Eine Platte ist ein Objekt, was riecht, eine Aura hat und im Gegensatz zur CD viel mehr verströmt. Also jenseits von Musik schwingen da ganz andere Sachen mit. Dass die Pressplattenwerke heute nicht hinterher kommen, ist der Tatsache geschuldet, dass viele Musiker wieder sagen: Wir wollen eine LP produzieren. Ich habe zum Beispiel wochenlang auf eine Platte gewartet, die einfach nicht in den Laden kam. Ich bin jeden zweiten Tag in die Brunnenstraße gegangen und habe gefragt: „Ist endlich die neue ‚Fall‘-Platte da?“

Aufnahme von Sergey Chilikov auf dem Plattencover der Band "Beirut"

Aufnahme von Sergey Chilikov auf einem Plattencover der Band ‚Beirut‘

Und Platten haben Platz für Cover!
Kann man auf jeden Fall einen Vergleich ziehen. Bei der analogen Fotografie gibt es eben auch eine Farbstimmung, es gibt ein räumliches Empfinden. Und neben dem Vinyl das Format: Es ist groß, ein Mittelformat! Die Schallplatte hat ein quadratisches Bild!

Was war denn bisher Deine Lieblings-Ausstellung? Da spielte doch auch ein Cover eine Rolle …

Das ist natürlich eine gemeine Frage! Man hat eine Lieblingsausstellung und man hat andere, die man wichtig fand. Zwei fallen mir spontan ein: Die erste große Ausstellung, die ein Künstler nur für die Galerie gemacht hat, war eine Arbeit über „Pawlows“ – Leute, die den Namen Pawlow haben. Da fing unsere Arbeit schon mit der Recherche an: Leute zu finden, die überhaupt so heißen. Aber die größere Anstrengung war, sie zu überreden, sich fotografieren zu lassen! Das war eine Ausstellung von Michael Wesely zum Monat der Fotografie. Und dann kamen plötzlich lauter Leute, die Pawlow heißen und man hat gemerkt, es gibt eine russische Community!
Die zweite, die mich umgehauen hat, war Sergey Chilikov. Ein Künstler, den ich nicht kannte. Es gibt von ihm eigentlich keine Bilder, aber eines ist sehr bekannt – ein Plattencover der Band ‚Beirut‘: Zwei Frauen auf einer Motorhaube von so einem Moskwitsch. (Beirut, „Gulag Orkestar“, Anm. d. Red.)
Ich wusste erst nicht, dass es ein Chilikov-Bild ist. Und plötzlich haben wir das Angebot bekommen, viele Bilder einer Galerie aus London zu übernehmen. Als wir die ausgepackt haben, haben wir gemerkt, welche Verrücktheiten auf dem flachen Land zwischen Ural und Sibirien möglich sind! Schönheiten – halb bekleidete. Es war Chaos, es war ein verrücktes Konglomerat von Sachen, die ein westeuropäischer Blick nie zugelassen hätte!

Wonach wählst Du Arbeiten aus? Ist das Zufall oder immer Konzept?
Also, wir versuchen, bei der Auswahl immer daran zu denken: Wer hat es verdient? Oder: Wo ist eine Entdeckung, eine Besonderheit, die jetzt wichtig ist? Wir fischen sozusagen an den Rändern der Fotografie, verlassen den Mainstream und versuchen, Grenzbereiche zu finden. Wir hatten Filmemacher, die fotografieren, auch einen Künstler, der sich mit der spirituellen Fotografie beschäftigt hat. Ein Gebiet, von dem ich vorher nicht wusste, dass es das überhaupt gab! Man lernt …

Klingt ein bisschen verrückt …
Eindeutig verrückt! Aber es war eine Modewelle. Im frühen 20. Jahrhundert hat man spirituelle Sitzungen festgehalten. Und auch viele Künstler haben sich stark darauf eingelassen, Paul Klee war Mitglied dieser Zirkel. Ich hatte immer gedacht, die Moderne sei rational und eher nüchtern gewesen!

Einblicke in die Galerie "pavlov's dog" in der Bergstraße; Foto: Michael Biedowicz

Einblicke in die Galerie „pavlov’s dog“ in der Bergstraße; Foto: Michael Biedowicz

Dass heißt, ihr denkt Euch auch einfach mal was Abwegiges aus?
Richtig. Es freut mich immer, wenn es Künstler gibt, die speziell was für die Galerie anfertigen. Die Pawlow-Ausstellung funktionierte nur in dieser Galerie, weil sie eben „pavlov´s dog“ heißt. Und auch die Dame mit dem iPhone war eine Auftragsarbeit. (Ausstellung des Malers Edward B. Gordon, Betrachtungen eines Außenseiters, Anm. d. Red.)
Der Künstler hat gesagt: „Okay, ich stelle in einer Fotogalerie aus. Ich setze mich mit dem Medium auch fotografisch auseinander: Ich gucke mal durch ein Kameraobjektiv.“ Das sind Bilder, die eindeutig eine Teleobjektiv-Optik haben.

Wie unterscheidet sich Deine Arbeit als Kurator von der des Bildredakteurs?
Erstens ist man als Magazin- und Bildredakteur natürlich an den Text gebunden: Manchmal steht der Text als Beigabe zu einer Bilderstrecke, aber es gibt immer die Verbindung: Text/Bild. Die gibt es in der Galerie nicht. Und es gibt eine räumliche Begrenzung der Bilder. Das heißt: Größer als eine Doppelseite geht einfach nicht! Und es gibt eine Anzahl von Seiten, die man bekommen kann, maximal zehn, zwölf… Das heißt, es gibt mehr Grenzen als in der Galerie. Zwar gibt es auch hier räumliche Grenzen, aber man kann Bilder aufeinander prallen lassen: Man kann sich die Wirkung eines Bildes als Einzelstück überlegen und das Bild konfrontieren! Im Magazin-Journalismus hat man höchstens eine Seite mit links und rechts und dann hört es schon auf. Und man muss sich in der Ausstellung nicht unbedingt mit einem gesellschaftlich wichtigen Thema beschäftigen. Im Magazin würde man immer denken: Warum machen wir das gerade heute und jetzt?

Aber beim ZEITmagazin hast Du ja trotzdem relativ viele Freiheiten, was die Auswahl von Bildstrecken betrifft?
Freiheiten im Sinne von Platz auf jeden Fall! Freiheiten auch im Sinne von neu und ungewöhnlich: immer! Die Aufgabe des Magazins ist ja im Gegensatz zum Hauptblatt „Zeit“, gerade dieses Segment zu füllen. Magazin-Geschichten sind immer visuelle Geschichten und das unterscheidet sich streng von der Konstellation beim Hauptblatt, wo die Textvermittlung im Vordergrund steht und Geschichten bebildert werden. Bei uns ist es manchmal umgedreht: Wir nehmen eine Bildgeschichte, weil wir die toll und wichtig finden und im Nachhinein kommt eine kleine Text-Anmerkung dazu.

Wie findest Du diese Geschichten? Und wie hoch ist der Anteil an Strecken, die Du entdeckst, gegenüber Bildern, die Du in Auftrag gibst?
Das hält sich etwa die Waage. 40 Prozent sind Geschichten, die wir selber produzieren, und manches entdeckt man und sagt: „Ah, interessante, neue Handschrift“, sollte man mal vorstellen oder verfolgen. Es gibt auch jede Menge Angebote: Fotografen, die sagen, ich würde gern mal im Magazin was veröffentlichen, eine freie Arbeit…

Und solche Angebote guckst Du Dir auch an, auch von Nachwuchs-Fotografen?
Natürlich guckt man sich die Sachen an. Ich bin immer bei der Abschluss-Ausstellung (der Ostkreuzschule, Anm. d. Red.) dabei und gucke ganz gezielt und interessiert hin, was dieser Jahrgang jetzt sagt? Und ich bin von Jahr zu Jahr überrascht, wie hoch das Niveau ist. Ich gucke gerne neue Sachen an. Ich muss immer gleich dazu sagen: Es ist schwer, bei uns den Einstieg zu finden, weil das ZEITmagazin natürlich einen Pool von Fotografen hat, mit denen sich die Zusammenarbeit bewährt hat. Der Platz ist nicht unendlich. Trotzdem, ich gucke immer gerne hin! Und ich lasse mir auch ab und zu, bevor ich einen Termin mache, ein PDF schicken. Und wenn die Arbeit interessant ist, lädt man denjenigen ein. Die Neugierde auf neue Sachen ist bei mir groß.

OKS: Vielen Dank für das Gespräch!

Michael Biedowicz: Jahrgang 1955. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Theaterfotograf am Berliner Maxim Gorki Theater Arbeit als Bildredakteur (Redaktion »Bildende Kunst«, »die tageszeitung« und »Wochenpost«). Seit 1997 beschäftigt bei der Wochenzeitung DIE ZEIT, verantwortlich für das damalige Ressort LEBEN, seit 2007 Bildchef des ZEITmagazins. Desweiteren Arbeit als Kurator (40 Jahre ZEITmagazin, Marilyn backstage) und Mitarbeit in diversen Jurys (Deutscher Jugendfotopreis, PANL – Photographers Association of the Netherlands, Körber-Stiftung). Gastdozent u.a. an der OKS.

Mehr zu den laufenden Ausstellungen findet ihr auf der Webseite von pavlov’s dog.

Und im folgenden VOLUME II mit Michael Biedowicz dreht sich alles um:
Tipps für angehende Bildredakteure, Autorenfotografie, Juergen Teller und Lieblings-Blogs!