OKS-lab fragt Sibylle Fendt

„_:* Porträts von Künstler:innen“

Seit 2021 porträtiert die Fotografin Sibylle Fendt Künstler:innen, Schauspieler:innen, Autor:innen, Musiker:innen und Filmemacher:innen, die für ihre Haltung einstehen. Und dazu inspirieren, die eigene zu finden.

Foto: Kis‘ Keya, © Sibylle Fendt

Sibylle, wie ist deine Arbeit „_:* Porträts von Künstler:innen“ entstanden?

Im November 2020 habe ich eine Anfrage vom Museum Hofheim bekommen, ob ich mich mit der Arbeit der Bauhaus Künstlerin Martha Hoepffner auseinandersetzen und mit ihr in Dialog treten möchte. Ich habe dann sofort „ja“ gesagt und einen Tag später hatte ich mein Konzept. Es ging alles ganz schnell – eine Woche später hatte ich schon den ersten Fototermin.
Im Gegensatz zu Martha Hoepffner, die in den 30er bis 60er Jahren Künstler und Künstlerinnen Porträts gemacht hat, wollte ich mein Projekt eingrenzen. Ich wollte die feministische Haltung von Hoepffner auf zeitgenössische Künstler:innen übertragen, ohne geschlechterspezifisch zu sein. So habe ich mich ganz naiv und blauäugig auf die Suche nach Menschen gemacht, die ich spannend finde.

Wie hast du denn die Porträtierten getroffen und wie hast du sie ausgewählt? 

Ich hatte natürlich gleich so eine tolle Liste mit super Promis. Aber bevor ich an sie herantreten konnte, brauchte ich erst mal ein paar Bilder im Repertoire, um was vorzeigen zu können, damit die Personen eine Idee davon haben, wie ich arbeite. So habe ich im Kolleg:innen Kreis zu fotografieren begonnen. Eigentlich hatte ich den Traum mal so richtig planvoll in meine Termine zu gehen mit einem festen Konzept. Schon beim zweiten oder dritten Termin habe ich gemerkt, dass es überhaupt nicht funktioniert und dass ich eigentlich viel lieber spontan mit den Leuten eine Idee entwickeln will.
Und deswegen sind die Bilder auch so verschieden, wie sie sind. Mal sind sie eher künstlerisch abstrakt und mal ist es eher sowas Situatives. Was die Bilder vor allem zusammenhält, ist, dass bis auf zwei Ausnahmen alle Protagonist:innen in die Kamera blicken. Das war mir wichtig – ich wollte Porträts machen, auf denen die Personen „HERE I AM“ ausstrahlen.

So wirken deine Porträts auch auf mich. Sie strahlen eine gewisse Stärke aus und sind sehr individuell geworden. Man spürt in den Bildern, dass ihr euch aufeinander eingelassen habt und eine gute Zeit hattet.

Die hatten wir. Wenn man jemanden trifft, vor allem zum ersten Mal, da spürt man schon, ob man sich eher seriös verhalten muss oder vielleicht „albern“ sein kann. Zum Beispiel mit Lotte und ihrer Mutter: Das war einfach die totale Einladung, ein bisschen trashy zu sein und ein bisschen Spaß zu haben. Deswegen haben wir ein lustiges Bild nach dem anderen gemacht – einfach, weil die mir das erlaubt haben. Das Gleiche mit Emma Rönnebeck (Bild) mit ihrem Fuchs Kostüm, die schreit danach einfach Spaß haben zu wollen. Bei anderen ist es dann ganz klar, da ist eine andere Ernsthaftigkeit oder die sind halt anders drauf und deswegen kann ich da vielleicht auch nicht mein spaßiges Shooting durchziehen und das finde ich total schön.
Mit Annegret Soltau hatte ich von Anfang an die Idee, eine Doppelbelichtung auszuprobieren. Da sie selbst in ihrer eigenen Kunst mit Collagen arbeitet, dachte ich, das wäre ganz schön, das zu übertragen. Annegret deformiert Körperbilder, indem sie verschiedene Körperteile auseinanderreißt und sie wieder anders zusammensetzt. So fand auch bei mir durch die Doppelbelichtung eine Art Deformation statt.

Das heißt: es war dir wichtig die Persönlichkeit, also die Künstler:in selbst und ihre feministische Position in einem Bild zu vereinen?

Total. Für mich ist das auch so eine Art Liebeserklärung an jede einzelne Person, die ich fotografiert habe. Ich bewundere sie einfach dafür, was sie tun und wie sie sind. Themen, die ich wichtig finde, einfach in die Öffentlichkeit tragen und wie die Künstelr:innen dafür einstehen, wo ich vielleicht in der Vergangenheit das Gefühl hatte, ich mache in diesem Bereich viel zu wenig. Dafür bewundere ich sie und lerne auch von ihnen.

Was bedeutet Feminismus für dich?

Feminismus bedeutet für mich für Gleichberechtigung und gegen die Benachteiligung und Ausgrenzung von marginalisierten Gruppen einzutreten. Ich finde es gut, dass dieser Begriff mittlerweile anders verwendet wird und nicht nur als eine Bezeichnung für Frauenrecht steht.  

Glaubst du, dass FLINTA* Personen mehr feministische Arbeit leisten als Männer*?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe auch einige Männer fotografiert, die wollte ich auch gar nicht ausschließen. Ich glaube, es gibt echt viel weniger Männer und dann darunter auch nochmal cis-Männer, die sich für diese Themen einsetzen. Ich kenne ganz viele die sagen, ich bin doch Feminist! Tatsächlich ging es mir schon darum, Leute zu porträtieren, die wirklich auch aktiv in ihrer Kunst oder in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise und Sprache auf Marginalisierung aufmerksam machen.

Wie wunderbar diese feministischen Positionen hier im f3 – Freiraum für Fotografie jetzt zu sehen. Wie bist du an dein Ausstellungskonzept herangegangen? Hast du alles selbst kuratiert und den Edit der Bilder gemacht?

Im Prinzip habe ich alle, die ich porträtiert habe, ausgestellt und in meinen Publikationen abgebildet. Der Edit heißt einfach alle. 🙂 Es gab keinen einzigen Termin, der dann letzten Endes zu schwach war und deswegen rausgeflogen ist. Der Anspruch bei jedem Termin war, erst zu gehen, wenn ich weiß, dass ein gutes Bild dabei ist.
Vor anderthalb Monaten, als hier noch eine andere Ausstellung war, bin ich hier mal mit meinen ganzen Prints für zwei Vormittage gekommen. Dann habe ich alle Bilder auf dem Boden ausgelegt und nach und nach entschieden, wo was hängt und was welche Größe bekommt. Ich hatte mich ziemlich früh entschieden, dass ich an einer Wand gerne Petersburger Hängung machen möchte, die anderen Wände sind ja alle sehr streng gehängt. Die „Petersburger Wand“ ist jetzt gar nicht so voll geworden und ziemlich aufgeräumt, was mir sehr gefällt. Die Fotos zu kuratieren ist ein langwieriger Prozess, bis man weiß, wohin was kommt.

Du hast dich dazu entschlossen die Statements der Künstler:innen, nicht an der Wand anzubringen. Auch auf dem Boden unter dem Bild sind nur die Namen der Personen zu sehen, ohne einen Verweis auf Geschlecht, Beruf und Zugehörigkeit. Warum fiel die Entscheidung auf diese Art der Präsentation?

Ehrlich gesagt mag ich es wahnsinnig gerne die Bilder für sich stehen zu lassen. Sobald ein Text dazukommt, wird es ganz schnell didaktisch. Außerdem kenne ich das von mir selbst, wenn ich in eine Ausstellung gehe und Text an der Wand hängt, geh ich zuerst zum Text. Dann verbringe ich viel zu viel Zeit damit den Text zu lesen, und schaue mir die Bilder nur noch flüchtig und irgendwie voreingenommen an. Diese Kombination erschöpft mich nach einer Weile. Ich glaube, die Gefahr ist ganz groß, dass die Bilder nicht mehr die Bedeutung haben, die sie eigentlich haben sollten. Die Besucher:innen sollen sich einfach auf die Personen und das Bild einlassen. Hinzu kommt, dass die Interviews erst nach dem Shooting entstanden sind und somit nicht im Prozess des Fotografierens eingebunden waren.

Warum hast du dich bei deiner Publikation für den Schuber entschieden? Das Blättern im Buch aufgelöst und die Bildkarten für sich stehen lassen?

Ein bisschen habe ich das ja der Bildredaktionsklasse zu verdanken. Vor einem Jahr kamen vier Leute auf mich zu und hatten total Bock, was zusammen zu machen. Ein klassisches Buch zu realisieren, ergab zu dem Zeitpunkt überhaupt keinen Sinn. Das Projekt war noch nicht abgeschlossen und sollte auch ein offenes Format bleiben. So kamen wir relativ zügig zu dieser Idee des Schubers. Ein Schutzkarton mit Bildkarten drin, bei dem man das Gefühl hat, da können ja immer noch mehr werden. Gleich bei dem ersten Schuber steht tatsächlich eine Nr. 1 drauf. Wir haben schon damals damit kokettiert, dass es weitergeht, ob das dann wirklich passiert, war zu dem Zeitpunkt nicht hundertprozentig klar.
Was auch gut war, dass ich keinen Stress beim Edit hatte und mich nicht auf eine Reihenfolge festlegen musste. Das Format bleibt mit den Karten sehr offen. Auch in der Produktion war es viel günstiger als ein Buch, da du keine buchbinderische Arbeit hast, außer der Schuber selbst.

Foto: Schuber #2, © Sibylle Fendt

Ist die Serie mit 52 Porträts und einer Ausstellung abgeschlossen oder fotografierst du weiter?

Also eigentlich wollte ich jetzt erst mal ein Päuschen machen, aber vorgestern hat es mich dann doch schon wieder gepackt, und ich bin nach Hamburg gefahren, um die 3 Frauen Maria, Diana und Olga von Pussy Riot zu fotografieren. Und wenn doch jemand von den Leuten, die schon lange angefragt waren, sich zurückmelden, werde ich sie auf alle Fälle fotografieren. Aber ohne gleich sagen zu können, wann die nächste Publikation heraus kommt. Außerdem kann ich gar nicht mehr direkt im Anschluss weitermachen, wie vorher. Ich habe jetzt in einem Jahr 52 Menschen porträtiert, das ist schon krass und hat mich auch krass viel Geld gekostet. Ich meine, es war quasi meine Hauptbeschäftigung im letzten Jahr diese Porträts zu machen und daraus dann eine Ausstellung und 2 Publikationen zu machen.
Jetzt plane ich erstmal eine Zusammenarbeit mit Julia Zejn, eine Comic Künstlerin, die ich bei dem Porträts Projekt kennengelernt habe. Darauf freue ich mich schon sehr.

Danke Sibylle für das tolle Gespräch!


Sibylle Fendt (*1974 in Karlsruhe) studierte Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld und ist Mitglied von OSTKREUZ – Agentur der Fotografen. Sie arbeitet für Magazine und Unternehmen im Bereich Porträt- und sozialdokumentarische Fotografie, unterrichtet Fotografie an verschiedenen Hochschulen und arbeitet kontinuierlich an freien Langzeitprojekten, die international ausgestellt werden. Ihre Themen sind soziale Ausgrenzung, Genderstudies, psychische, soziale, krankheitsbedingte Krisen und einfach nur das ganz „normale“ Leben. Das Porträt steht dabei im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

Ausstellung „_:* Porträts von Künstler:innen“
6. Mai – 19. Juni 2022
f³ – freiraum für fotografie
Waldemarstraße 17 | 10179 Berlin
Öffnungszeiten: Mi – So, 13 – 19 Uhr