Nahaufnahme: Manu Gruber

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotograf*innen und Dozent*innen der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) über Bilder oder Fotoserien, die ihnen besonders am Herzen liegen. Marina Hoppmann aus der Bildredaktionsklasse 2021/22 bat die Fotografin und OKS-Studentin Manu Gruber darum, uns einen Einblick in die Entstehung ihrer Fotoserie zu geben:

Im Frühjahr letzten Jahres habe ich die Schwestern Karla und Romy fotografiert, die beiden hier gezeigten Portraits sind Teil der damals entstandenen Serie. Für mich haben die Bilder bis heute eine besondere Bedeutung: zum einen, weil es das erste Mal war, dass ich mich bewusst aus meiner fotografischen Komfortzone bewegt und keine mir zuvor schon gut bekannten und vertrauten Personen portraitiert habe, zum anderen, weil ich kurz vor meiner Bewerbung an der Ostkreuzschule stand und die fertige Serie „Kreuzbergschwestern“ Teil des Portfolios geworden ist.

Karla und Romy sind die Töchter einer guten Freundin, wir sind uns vor dem Fotografieren einige Male bei ihnen zu Hause in Kreuzberg begegnet. Was mir an den beiden neben ihrer Offenheit als erstes aufgefallen ist, war ihr inniger Umgang miteinander, eine Art Verschworenheit, die ich bis zu diesem Zeitpunkt eher in Freundschaften als unter Geschwistern beobachtet hatte. Was auch daran liegen mag, dass der Altersunterschied zu meiner eigenen Schwester mit fünf Jahren recht groß ist. Während des Fotografierens wollte ich zum einen diese besondere Bindung zwischen den beiden, als auch die ganz eigenen Persönlichkeiten der Schwestern herausarbeiten. Dabei hat mich vor allem die Frage beschäftigt, welche Referenz man den Menschen, die man porträtiert, geben kann oder möchte. Die schon oft gestellte Frage ‒ ist es überhaupt möglich, charakteristische Merkmale einer Person über eine Fotografie zu transportieren oder sagt das fertige Bild am Ende nicht mehr über uns Fotograf*innen und unsere Projektion als über den Menschen vor der Kamera aus? Schließlich bringen wir beim Betrachten immer auch unsere eigenen Gefühle und Befindlichkeiten mit, die in die subjektive Interpretation oder dem, was ein Bild in uns hervorruft, einfließen. Stand heute habe ich diese Frage für mich auf die Art beantwortet, dass ich versuche, Menschen so zu fotografieren, wie ich sie erlebe. Zwar soll am Ende eine Bildaussage erkennbar sein, jedoch ohne den Anspruch, eine Art von „Wahrheit“ wiedergeben zu können.

Zum Zeitpunkt der Aufnahmen waren Karla und Romy 17 und 15 Jahre alt. Die Bilder sind bei ihnen zu Hause entstanden, vom Stativ und mit natürlichem Licht in Romys Zimmer. Neben der persönlichen Beziehung der beiden war es auch das allgemeinere Thema der Jugend, das mich für die Serie interessiert hat ‒ als Lebensphase, in der die eigene Identität und Persönlichkeit eine große Rolle spielt und die oft geprägt sein kann von einem Wechsel zwischen Nachdenklichkeit, der Frage, wer und wie man sein möchte und dem als-Person-in-die-Welt-hinaustreten.

Ein herzlicher Dank geht an Karla und Romy, dass sie der Veröffentlichung ihrer Bilder zugestimmt haben und an Marina und die Bildredaktionsklasse. Ich freue mich, zwei Fotografien der Serie hier vorstellen zu können.

Manu Gruber wurde 1983 in Bremen geboren. Bevor sie 2019 ihr Studium an der Ostkreuzschule begann, studierte sie Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Romanistik an der Universität Osnabrück und der Università degli Studi di Firenze. Ihr fotografischer Fokus liegt auf der Porträtfotografie, dabei interessieren sie vor allem Themen wie Identität, zwischenmenschliche Beziehungen und Erinnerung.