Nahaufnahme: Schore Mehrdju

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotograf*innen und Dozent*innen der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. Diesmal haben wir die Fotografin und OKS-Absolventin Schore Mehrdju gebeten, uns einen Einblick in die Entstehung ihres Fotos zu geben.

Schore Mehrdju - The Second

Shahnaza* steht in ihrem frisch tapezierten Schlafzimmer und trägt eine neue Kurpa, das traditionelle tadschikische Kleid.
Sie ist eine von vielen Zweitfrauen, die ich für mein Projekt „The Second“ über den sozialen Status von Frauen in Tadschikistan getroffen habe.

Shahnaza ist 25 Jahre alt und hat drei Kinder. Mit 15 Jahren wurde sie von ihrer Familie verheiratet und bekam ihr erstes Kind. Zwei Jahre später wurde die Ehe gegen ihren Willen geschieden. Grund dafür war, dass ihr Onkel sich mit der Schwester ihres Ehemannes zerstritten hatte. So war sie im Alter von 17 Jahren bereits eine unfreiwillig geschiedene und alleinerziehende Frau. Sie zog wieder bei ihren Eltern ein, machte eine Ausbildung und begann zu arbeiten. Dort lernte sie ihren zweiten Ehemann kennen. Dieser war jedoch bereits verheiratet und hatte drei Kinder. Auf diese Weise wurde sie zu einer Zweitfrau.

Diese Biografie ist beispielhaft für das Leben vieler tadschikischer Frauen, die jung heiraten, geschieden werden und dann keine andere Wahl haben als eine Zweitfrau zu werden oder einen Witwer zu heiraten. Ein Leben ohne Heirat ist in dem zentralasiatischen Land keine oder nur die allerletzte Option.

Shahnaza überraschte mich mit ihrer lebensfrohen Art und ihrer positiven Einstellung zu Vielehen. Anders als andere Frauen, die ich zuvor traf, die häufig unter dem Leben als Zweitfrau litten, ist Shahnaza völlig zufrieden und glücklich mit ihrer Situation.

Sie habe einen guten Mann, der seine Zeit fair zwischen seinen beiden Frauen aufteile: „Ein Tag ist er bei mir, ein Tag bei ihr, zwei Tage bei mir, zwei Tage bei ihr. Kauft er etwas für die eine Familie, kauft er auch etwas für die andere.“ Niemand würde hier benachteiligt. Die Erstfrau kenne sie nur anhand von Fotos. Sie hätte gerne ein freundschaftliches Verhältnis zu ihr. Die Erstfrau wolle von einer Freundschaft jedoch nichts wissen und rufe nur ab und zu bei ihr an, um sie zu beschimpfen.

Die Vielehe gilt in Tadschikistan als illegal und wird lediglich durch die „Nikah“, die islamische Zeitehe, ermöglicht. Diese besagt, dass ein Mann eine Bindung mit einer Frau für eine begrenzte Zeitdauer von einer Stunde bis zu mehreren Jahren eingehen kann.

Als Shahnaza sich für das Foto in das neue, noch nach Farbe und Kleister riechende, Schlafzimmer stellte, erklärte ich ihr, dass das Foto irgendwann veröffentlicht werden würde. Sie müsse sich entscheiden, ob sie sich erkennbar zeigen oder lieber anonym bleiben möchte. Da warf sie sich die Haare vors Gesicht. Sie wolle lieber kein Risiko eingehen.

*Die Namen wurden in Absprache mit den Frauen geändert.


Schore Mehrdju ist 1983 in Teheran geboren und in Deutschland aufgewachsen. Sie studierte zunächst Rechtswissenschaften in Hannover und anschließend von 2014- 2017 an der Ostkreuzschule für Fotografie bei Ludwig Rauch. Schore lebt und arbeitet als freie Fotografin in Berlin.