Nahaufnahme: Natalia Kepesz

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotograf*innen und Dozent*innen der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. Diesmal haben wir die Fotografin und OKS-Studentin Natalia Kepesz darum gebeten, uns einen Einblick in die Entstehung ihres Fotos zu geben.

Ich bin in einer kleinen Stadt in Polen groß geworden, wo mein Vater der Kinderarzt war. Das hieß von morgens bis abends Hausvisiten, Krankenhausschichten oder Schuluntersuchungen. Da meine Eltern immer sehr viel gearbeitet haben, mussten sie mich oft zur Arbeit mitnehmen. Ich habe oft im Krankenhaus übernachtet, wenn mein Vater dort Notdienst hatte.

Er nahm mich auch immer mit, wenn er die Jugendlichen des Jugendgefängnisses in der Ortschaft untersuchen musste. Dort habe ich meistens bei den Köchinnen in der Küche gesessen und gewartet. Es gab leckeres Essen und ich habe mich sehr wohl gefühlt. Das Gefängnis befindet sich in einem alten deutschen Kurort. Ich mochte die Architektur, nur der Stacheldraht hat mich ein wenig gestört. Damals konnte ich noch nicht ganz verstehen, was das bedeutet – Gefängnis. Für mich war es ein Ort, wo die Köchinnen mit viel Liebe irgendwelchen „Bösen Jungs“ Essen zubereitet haben. Es ist kein Zufall, dass die Küche sprichwörtlich das Herz des Hauses ist.

Die Erinnerungen an diese Zeit haben mich noch Jahre später nicht losgelassen. Ich habe immer gerne und viel fotografiert, aber Gosposia war mein erstes Langzeitprojekt. In der Serie zeige ich den Alltag und das Zusammenspiel der Köchinnen in einem polnischen Jugendgefängnis. Ich bin über Monate hinweg alle paar Wochen hingefahren und habe die Tage mit den Frauen verbracht. Ich habe sehr intensive und spannende Gespräche geführt, die Frauen haben mir meistens ihre Familiengeschichten erzählt. Woher sie und ihre Eltern stammen und wie sie wiederum nach Goldberg kamen. Diese Geschichten haben mich inspiriert, mich noch mehr mit der Region auseinanderzusetzen und schließlich war das dann auch der Anfang von meiner nächsten Serie Goldberg….

Über die Jungs haben die Frauen nicht viel gesprochen, eher darüber, dass sie selbst von den Vorgesetzten sehr schlecht behandelt wurden, dass zum Beispiel Kürzungen immer in der Küche anfingen, weil dieser Bereich angeblich nicht so wichtig sei. Die Jungs konnte man am besten an den Sonntagen beobachten, da sie dann im Speisesaal ihre Familien empfangen durften. Manche von den Jungs hatten sogar Kinder (sechzehnjährige Jungs, die schon zweijährige Kinder haben!). Ich (und die Köchinnen) konnten alles nur durch das kleine Ausgabe-Fenster beobachten. Es gab wenig Kommunikation zwischen den Köchinnen und den Jungs und wenn, dann eher vertrauliche, familiäre Bemerkungen, meistens, um mehr Essen zu bekommen. Was mir auf jeden Fall aufgefallen ist – und deswegen heißt die Arbeit auch Gosposia –, dass die Jungs die Köchinnen immer mit dem Begriff „Gosposia“ angesprochen haben, was ungefähr sowas wie „Haushälterin“ heißt.

Website: nataliakepesz.de
Instagram: @nataliakepesz

Die polnische Fotografin Natalia Kepesz lebt und arbeitet in Berlin. Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin studierte sie Fotografie an der Ostkreuzschule Berlin.
Natalia Kepesz ist Finalistin des Portraits- Hellerau Photography Award 2021 sowie des Les Boutographies – recontres photographiques de Montpellier 2021. Sie wurde auf die Shortlist des Loucie Foundation, Photo Taken Scholarship 2020 sowie Athen Photo Festival 2020 aufgenommen. Sie belegte den dritten Platz beim Münzenberg Forum Kunstwettbewerb 2020.

Autor