OKS-lab fragt… Jana Sophia Nolle

Jana Sophia Nolle ist Absolventin der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) und mit ihrer Abschlussarbeit Living Room (2017/18) bis heute präsent und erfolgreich. Mittels einer konzeptuellen fotografischen Studie beleuchtet sie den soziopolitischen Zwiespalt zwischen Arm und Reich in San Francisco. Gillian Henn aus der aktuellen Bildredaktionsklasse sprach mit Jana darüber, was die Berliner Fortsetzung des Projekts erzählen wird, ob Preise und Wettbewerbe irgendwann von selbst laufen und was Zuhause für sie bedeutet.

#3 San Francisco 2017/2018, aus der Serie Living Room

Gillian Henn (GH): Liebe Jana, wie geht es Dir?

Jana Sophia Nolle (JSF): Mir geht es gut soweit, auch wenn die letzten Monate nicht einfach waren. Ich hatte das Stipendium vom Haus am Kleistpark bekommen. Es war geplant, im März 2021 die Soloausstellung zu eröffnen, das hat sich auf den August verschoben. Alles war zerstückelt, Termine wurden verschoben, Zusagen, Absagen, ein gefühltes Chaos. Jetzt bin ich aber eigentlich ganz froh, dass sich die Ausstellung verschiebt, sodass ich in den Monaten März und April noch Zeit habe, intensiver daran zu arbeiten und sie rund zu bekommen. Ich bin außerdem im sechsten Monat schwanger, mein Kind bekomme ich im Juni. Der Plan ist, diese Arbeit bis Mai abgeschlossen zu haben, bevor die Ausstellung Ende August eröffnet.

GH: Worum geht es inhaltlich beim Stipendium für das Haus am Kleistpark?

JSN: Ich arbeite unabhängig vom Stipendium an einer Berliner Fortsetzung von Living Room San Francisco. Der Fokus für das Stipendium lag auf dieser Fortsetzung, mit besonderem Augenmerk auf den Bezirken Tempelhof und Schöneberg. Jetzt werde ich aber noch ein paar Wohnzimmer in anderen Bezirken und Kiezen fotografieren – in der Ausstellung werden diese auch gezeigt.

GH: Was erzählt Berlin, das San Francisco nicht erzählen konnte?

JSN: Mein persönlicher Hintergrund spielt ganz stark in mein jeweilige Arbeit mit rein. Ich merke, dass Berlin nicht nur eine andere Stadt ist, mit einer anderen Kultur und politischen Situation, einem anderen Bild auch von Obdachlosigkeit und Kontrast zwischen Arm und Reich. Sondern auch ich selbst bin hier anders – auch als Künstlerin. Ich habe gemerkt, dass es für mich wichtig war, anderen Aspekten zu folgen. Zunächst aber habe ich mich stark auf das Fotografische konzentriert und eine ähnliche Methodik wie in San Francisco angewandt. Sowohl was die Herangehensweise betrifft wie ich die Wohnzimmer gefunden hab, als auch wie ich an die Unbehausten herangegangen bin.

GH: Kannst Du das konkreter beschreiben?

JSN: Ich beweg mich immer – was die Unbehausten betrifft – mit dem Fahrrad in der Stadt und spreche Menschen an. Ich zeige Beispielbilder, die ich aus San Francisco habe. So entsteht ein Kontakt. Wenn merke, dass sie offen sind, dann besuche ich die Menschen immer wieder. In San Francisco ist die Situation extrem sichtbar: Viele Obdachlose sind auf einem dichten Gebiet zusammengedrängt. Es gibt sehr unterschiedliche Konstruktionen von Behausungen, die auch nicht unbedingt wetterbeständig sind.

Aus dem Buch Living Room, Foto: Jana Sophia Nolle
Aus dem Buch Living Room, Foto: Jana Sophia Nolle

In Berlin ist es alles etwas versteckter. Ich hab immer wieder eine Art Kontaktperson gebraucht. Ich hatte einen Obdachlosen kennengelernt, der dann von anderen, permanenten Behausungen wusste. Manchmal sind diese sichtbar, weil sie an einer Straßenecke stehen. Aber es gibt hier auch viele Behausungen in Parks oder an Kanälen. In San Francisco brauchte ich keine Zwischenperson. In Berlin hab ich zwar tatsächlich mehr potenzielle unbehauste Teilnehmer*innen gefunden als ich realisieren konnte, aber nur, weil mir Wohnzimmer fehlen. In San Francisco war die Situation – und dadurch ist das Projekt eigentlich entstanden –, dass ich mich selber im Kontrast von Arm und Reich bewegt habe, da ich mit einem Millionär zusammen war. Seine Familie hat mir Zugang zu den ersten drei Wohnzimmern verschafft. Dadurch kam ich da so ran, wie ich als außenstehende Europäerin sonst nicht rangekommen wäre. In Berlin bin ich aber einfach nur Jana Sophia Nolle, die in Neukölln lebt und nicht vernetzt ist mit den Wohlhabenden. Hier hab ich quantitativ zwar mehr Kontakte, aber weniger in diesen Kreisen. Dennoch hab ich die ersten sieben bestätigt bekommen, die ein Spektrum der eher wohlhabenden Schicht abdecken. Menschen mit Geld in Deutschland oder Berlin haben aber auch eine andere Mentalität als in Amerika. Der Umgang mit Reichtum ist ein ganz anderer. Die Amerikaner, vor allem die liberalen Kalifornier, die sind da ganz locker, und auch stolz.

GH: Die Eigentümer der Wohnzimmer sind doch anonym geblieben in Deinem Buch, richtig?

JSN: Ja, trotzdem. Ich bin hier wirklich alle Kontakte angegangen. Bildredakteure, Professoren, alles. Ich hatte auch Gespräche und Besichtigungen. Dann kamen irgendwann doch Absagen. Es gab sogar eine Dame, die sich für ihren Reichtum entschuldigt hat. Sie wohnt in einer großen Villa in Grunewald, und rechtfertigte sich, dass das Geld ja nur von ihren Eltern käme, sie sei eigentlich ganz anders und möchte nicht falsch verstanden werden. Auch wenn ich den Menschen versichere, dass sie anonym bleiben und auch die Orte unerkannt bleiben, bleiben ihre Bedenken. Es bringt einfach die Auseinandersetzung mit Geld hoch.

GH: Und es bleibt ein bitterer Beigeschmack zurück.

Natürlich. Sie sind ja auch dabei, wenn der performative Teil ansteht und ich mit den Materialien ihre Wohnzimmer betrete. Dann treffen wirklich zwei Welten aufeinander. Ich erinnere mich an das letzte Bild das ich gemacht hatte, Ende Oktober, und den Seidenteppich auf den man nichts drauf stellen, oder den Marmortisch der nicht verschoben werden durfte. Diese Diskussion war allen Teilnehmer*innen sehr unangenehm. Das sind aber gleichzeitig auch die spannenden Momente. Ich nehme ja auch Materialien von der Straße, oder tausche welche mit den Obdachlosen, oder kaufe sie ihnen ab. Es sind dann oft Sachen die von draußen kommen, die gebraucht sind – Müll praktisch. Viele Teilnehmer*innen sagen zu, können aber noch nicht abschätzen, was auf sie zukommt. Das ist ein intensiver Moment, wenn dieser Kontrast sichtbar wird. Mir geht es ja nicht um die Darstellung von Gut und Böse, die Bilder sollen vielmehr das System repräsentieren. Es wird einem dann aber so vor Augen geführt, dass es problematisch werden kann.

GH: Eigentlich bestätigt das Deine Arbeit ja sehr. Denn ihr Kern scheint in dem Moment aufzugehen. Auch wenn sie schließlich abspringen.

Das stimmt. Es gibt aber auch ganz andere. Ein wohlhabender Berliner Unternehmer sagte, das Projekt sei spannend, er habe mit Kunst und Kultur aber nichts am Hut. Er hat es mich aber machen lassen. Dann ist lediglich die Putzfrau anwesend. Es gibt also sehr unterschiedliche Reaktionen.

GH: Nimmst Du das dann trotzdem mit, weil Du momentan die Wohnzimmer brauchst?

JSN: Eigentlich ist es schade. Wenn das bei einem von vielen so ist, dann nehme ich das mit. Aber eigentlich ist das wie so eine Art Bedingung, dass die Teilnehmer*innen integriert sind. Dieser partizipative Aspekt ist mir total wichtig. Sowohl mit den Wohlhabenden, als auch mit den Unbehausten bespreche ich ganz detailliert, welche Objekte mit rein sollen. Das erste Wohnzimmer war toll. Die Teilnehmerin wollte die Behausung so lang stehen lassen, bis ihre Kinder am nächsten Tag da sein konnten, um gemeinsam darüber zu sprechen. Das war total schön und ein sehr spannendes Gespräch – auch mit den Kindern.

Am Ende entstehen also erstmal nur die Fotografien, und es geht auf den ersten Blick weniger um die dreidimensionalen Rekonstruktionen. Diese tragen aber den Geist der Auseinandersetzung in sich.

#6 San Francisco 2017/2018
#14 San Francisco 2017/2018
#2 San Francisco 2017/2018
#4 San Francisco 2017/2018

GH: Was passiert eigentlich mit den Konstruktionen nach dem Abbau?

JSN: Ich habe sie alle in meinem Atelier gesammelt. Für die Ausstellung im Haus am Kleistpark werden wir beispielsweise auch mit einer Rekonstruktion arbeiten.

GH: Wird in der Ausstellung nur Berlin oder auch San Francisco gezeigt?

JSN: Das hängt ein bisschen davon ab, wie viel ich noch schaffe bis Mai, aber wahrscheinlich wird beides gezeigt. Es gibt drei Räume. Es steht noch ein weiterer Wettbewerb aus, über den ich noch nicht sprechen darf. Für dessen Ausstellung ein ähnliches Konzept geplant wäre.

The Shelf, Berlin, Abschlussausstellung Jahrgang Zwölf
Catherine Clark Gallery, San Francisco

GH: Apropos Wettbewerbe: Da ist bei Dir sehr viel passiert. Deine Abschlussarbeit hast Du 2018 beendet, jetzt haben wir 2021. Ist das etwas, das irgendwann von selbst läuft oder steckt doch viel eigene Arbeit dahinter?

JSN: Doch, da steckt schon viel Arbeit dahinter. 2019 hab ich mich für sehr viele Wettbewerbe und Stipendien beworben. Ich hatte auch einige Nominierungen. Aber davon klappt dann immer nur ein Bruchteil. Das aber bringt mich wiederum weiter. Für prestigereichere Wettbewerbe muss man allerdings durch eine andere Person nominiert werden. Meine Galerie, Catharine Clark Gallery, bei der ich noch in einer Art Probezeit bin, schickt mir auch regelmäßig residency proposals, open calls, Wettbewerbe etc. Da muss man ständig dranbleiben. Ich fand es auch herausfordernd, das Berlin-Projekt anzufangen, und all das Marketing, Ausstellungen, Jobs weiter zu betreiben. 2020 habe ich mich weniger beworben, merke aber dass es wichtig ist. Ich hab ja auch das Buch rausgebracht im Sommer, das muss eigentlich ständig beworben werden.

GH: Machst Du Dir viele Gedanken darüber, wie es sein wird, Mutter und Künstlerin zu sein?

JSN: Ich mach mir auf jeden Fall Gedanken. Ich erfahre unglaublich viel Unterstützung aus meinem Umfeld und den Zuspruch, dass es unbedingt vereinbar ist, Künstlerin und Mutter zu sein. Das ermutigt mich sehr. Ich plane auch direkt zwei Monate nach der Geburt eine Soloausstellungen und Arles. Ich weiß nicht genau was auf mich zukommt, aber ich denke, irgendwie wird das schon gehen! Ich plane jetzt schon mehrere Residencies für die nächsten Jahren. Klar, manchmal habe ich Momente und denke: Oh je, was kommt auf mich zu, inwiefern werde ich auch noch die Freiheit haben, spontan arbeiten zu können? Aber irgendwie bin ich total neugierig darauf zu erfahren, wie es wird, und wie sich vielleicht auch meine Arbeit verändert. Seit September habe ich ein neues großes Atelier, unterstützt vom BBK (Bund Berliner Künstler). Es beginnt also einfach ein neuer Lebensabschnitt. Ich habe ein Grundvertrauen und hoffe einfach, dass es mich nicht aus der Bahn wirft. Im August, wenn das Baby sechs Wochen alt ist, will ich eine Ausstellung aufbauen. Wir werden das hinkriegen!

GH: Living Room, das Buch – wie war der Weg dahin? Du hast es erst im Selbstverlag publiziert, letzten Sommer in einer weiteren Auflage bei Kerber.

JSN: Ich hatte einen Dummy, und war damit auf der Paris Photo. Dort habe ich Networking betrieben und die Verlage angesprochen. Ich hatte dann auch teils Portfolio-Viewing-Termine, direkt vor Ort auf den Treppen vom Grand Palais. Die die Interesse hatten, haben mir direkt ihren Kontakt gegeben, denen sollte ich nochmal ein PDF schicken und einen Termin vereinbaren. Dann hab ich mir Angebote eingeholt. Ich habe dann erstmal mit eigenen Mitteln vorfinanziert. Im Nachhinein muss ich sagen, dass es eine ganz schöne Abzocke von den Verlagen ist. Man muss einen Riesenteil selbst finanzieren, sie gehen kein Risiko ein, man macht selber einen Großteil der Pressearbeit und darf nur den Teil verkaufen, den man bekommt. Das heißt, man wird an den Verlagsexemplaren nicht beteiligt. Das wissen glaube ich normale Verbraucher*innen, die ein Buch kaufen, nicht. Dann bekomme ich E-Mails von Freunden, die sagen „Ach ich habe gerade Dein Buch bei Hugendubel gekauft!“. Da denke ich mir: „Hm, hättest Du es bei mir bestellt, hätte ich auch was davon“. Aber das wissen sie natürlich nicht, das ist schwierig. Man muss sich bewusst sein, dass wenn man ein Fotobuch rausbringt, glücklich sein kann, einen Teil der Produktionskosten wieder reinzubekommen, aber eigentlich ist es ein großes Marketingtool. Es ist aber natürlich toll, das Projekt als Buch zu haben und dass es weltweit verfügbar ist.

GH: Was ist Deine Konsequenz daraus? Was würdest Du beim nächsten Buch anders machen?

JSN: Im Vorfeld, also sobald ich den Dummy fertig hatte, habe ich mich für mehrere Förderungen beworben, aber es hat irgendwie nichts geklappt. Ich bin auch bei VG Bildkunst Mitglied. Dort war ich erst in der Kategorie der Fotograf*innen, mittlerweile haben sie mich als Bildende Künstlerin eingestuft. Ich bin da so hin und her gereicht worden, wodurch auch Fördereinreichungen nicht akzeptiert wurden. Ich glaube, beim nächsten Mal würde ich mir mehr Zeit nehmen, um einen Verlag zu suchen. Vielleicht auch einen kleineren, der eng mit einem zusammenarbeitet und versucht, gemeinsam Förderungen an Land zu ziehen. Bei den Großen ist man nur einer von sehr vielen. Ich hatte auch das Dilemma, dass mein Projekt schon viel veröffentlicht wurde: in den Medien, Magazinen, den Zeitungen und Blogs. Dadurch war es schon ein bisschen abgegessen. Das würde ich anders machen und da ganz strategisch vorgehen. Obwohl es auch gut ist, vorher Presse zu haben, um zu wissen, ob das Thema funktioniert. Das ist widersprüchlich. Außerdem war ein Faktor, dass das Buch auch in den USA verkauft werden sollte. Das war mir bei der Verlagswahl auch wichtig.

GH: Wenn eine Arbeit so erfolgreich ist, entsteht da ein enormer Druck bei der Fortsetzung?

JSN: Gute Frage. Es gab Momente, da hatte ich dieses Gefühl. Dadurch, dass es aber eine ganz andere Stadt ist und ich hier ganz anders bin und obwohl das Konzept und das Grundgerüst gleich ist, werden es andere Bilder. Das war mir auch wichtig. Von daher war ich auch neugierig, was den Vergleich angeht. Was wird mir hier begegnen, wie werden mir hier die Menschen begegnen? Was werde ich an Neuem mitnehmen und lernen. Es gab aber immer mal so Momente, wo ich das Gefühl hatte: Oh je, das erste Projekt war nun so erfolgreich, schaffe ich das nochmal? Ich sehe es aber auch nicht unbedingt als neues Projekt, sondern eher als ein weiteres Kapitel. Falls ich noch eine weitere Stadt mache, gibt es vielleicht irgendwann eine Art Katalog dieser drei Städte. Ich gehe da aber Schritt für Schritt vor. Ich merke, es muss auch immer ganz stark mit meinem eigenen Leben im Einklang stehen und das tut es derzeit. Die Neugierde ist noch total da. Es gibt bestimmt eine Gefahr, sich zu wiederholen, wenn man lange an einem Konzept, einem Thema bleibt. Aber im Berlin-Projekt setze ich mich viel mit anderen Künstler*innen und neuen Aspekten auseinander, die für mich aufgetaucht sind. Ein Aspekt ist zum Beispiel das Thema Bewegung. Das ständige Auf- und Abbauen der Materialien und die performative Videoarbeit. Es kommen andere Aspekte dazu, wie dieser Videoanteil.

GH: Es könnte danach also durchaus noch weiter gehen?

JSN: Ja schon. Ich bekomme jetzt zwar erst einmal mein Kind, und es müsste sich dafür eine gute Förderung oder Künstler*innen-Residenz finden, sodass es gut möglich ist. Städte die mich interessieren und in denen ich schon recherchiert habe, sind beispielsweise Paris und London. Einige Mentor*innen ermutigen mich auch und meinen, ich sollte dran bleiben. Auf der anderen Seite denke ich auch manchmal: uff, wie anstrengend. Trotzdem: Obwohl das Thema gerade mit Corona so mühsam ist, ist es gleichzeitig auch so relevant und bedeutsam wie nie.

GH: Zu Dir als Künstlerin: Was ist Deine Strategie, oder Deine Mission? Und wer inspiriert Dich?

JSN: Ich hab zwar vorher schon gearbeitet, das war aber viel dokumentarischer. Mein Interessengebiet hab ich jetzt mit der Arbeit erst richtig entdecken können – das Zusammenwirken von skulpturalen und performativen Arbeiten. Reinactments mit Fotografie, diese Verbindung interessiert mich. Ich beschäftige mich auch mit Künstler*innen, die genau das in ihren Arbeiten mit einbringen: Francis Alÿs, der ist sehr spannend. Er ist noch performativer und die Fotografien stehen qualitativ etwas mehr im Hintergrund, aber seine Arbeit interessiert mich sehr. Gordon Matta Clark ist ein anderer Künstler, den ich sehr spannend finde. Ich hab also was gefunden, das mich interessiert. Also arbeiten auch im öffentlichen Raum, aber ich bin noch auf der Suche. Das ist eine ständige Auseinandersetzung und das ist bei Künstler*innen ja ganz stark so, dass das Persönliche mit reinspielt. In San Francisco haben mich die Stadt und auch die Menschen beeinflusst. Jetzt in Berlin führe ich ein anderes Leben, und neue Einflüsse fließen in das Projekt. Dinge die in Verbindung gebracht werden, die mich inspirieren. Auch Recherche zu Beginn ist mir sehr wichtig, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen. Mein Anliegen klar herauszuarbeiten. Es muss sehr rund sein, von innen und außen.

GH: Können das dann alle Themen sein, oder gibt es ein Überthema?

JSN: Ich habe Politikwissenschaften studiert und als Wahlbeobachterin gearbeitet und mache das zum Teil heute noch. Im Studium habe ich mich sehr stark mit sozialpolitischen Themen und Transformationsprozessen auseinandergesetzt. Ich hab ja auch in Asien und Konfliktregionen gelebt, wo Demokratie und Wahlen, ja, Grundrechte eine besondere Rolle spielen. Das alles spielt sicher in meine Themen mit rein. Arm und Reich ist zwar das Oberthema in meinem Buch, aber letztendlich geht es um das Recht auf Wohnen, Schutz und Sicherheit. Also grundlegendere Rechte. Und dann interessiert mich aber auch mehr als das rein Dokumentarische und Journalistische.

GH: Wie bist Du eigentlich zur Ostkreuzschule gekommen?

JSN: Mein Vater ist Filmemacher, ich bin mit Film und Fotografie aufgewachsen. Durch ihn war ich auf dem Trip der Dokumentarfilmerei, habe einem Dokumentarfilmer assistiert und auch selber ein Projekt angefangen. Irgendwann hab ich aber angefangen, mich in der Fotografie mehr auszuprobieren und gemerkt, dass ich das richtig lernen will. Ich war gerade als Wahlbeobachterin in Nepal, als eine Freundin mir von der Ostkreuzschule berichtete. Sie hat bei  bei Arno Fischer bzw.  an der Ostkreuzschule studiert. Das analoge und handwerkliche Arbeiten hat mich sehr neugierig gemacht – so kam das. Ich hatte viele Freiheiten, und ich hatte das Gefühl, dass man sich in jede Richtung entwickeln kann. Meine Dozent*innen haben mich immer unterstützt und mir viele Freiheiten gelassen. Mit meiner Abschlussdozentin Linn Schröder habe ich während meiner Arbeit in Amerika viel geskyped und mich ausgetauscht, da gab es kontinuierliches Feedback – trotz der Distanz. Das fehlt mir jetzt sehr: Dieser Austausch und kritisch über Bilder und die Arbeit zu reflektieren ist so wichtig, um eine gute Arbeit zu machen. Und ich denke, da ist die Ostkreuzschule sehr gut.

GH: Der Austausch mit Deiner Galerie verfolgt wahrscheinlich andere Interessen?

JSF: Ja genau. Der Fokus liegt da auf Kunst, Bildende Kunst, auch Kunstmarkt, Messen. Da ist natürlich auch ein Druck den ich im Hintergrund hab, etwas abzuliefern.

GH: Wirst Du von Studierenden der OKS oft nach Rat für ihre Abschlussarbeiten gefragt?

JSN: Ich bin schon mit einigen in Kontakt, auch mit Studierenden, die jetzt noch an der Schule sind. Da werde ich weniger um Rat nach deren Abschlussarbeit gefragt, sondern eher um Fragen zu Veröffentlichungen, Honoraren, Festivals. Das ist so der Austausch.

GH: Eine letzte Frage: Was bedeutet für Dich Zuhause? Und, hat sich das durch Deine Arbeit verändert?

JSN: Es geht ganz viel darum, sich sicher zu fühlen. Vor allem auch, mich nicht bewegen zu müssen. Das habe ich von den Unbehausten gelernt, dass die Bewegung so belastend ist. Man darf sich zeitweise irgendwo aufhalten, aber nicht permanent. Genau das ist ja das Problem. Sich eine Hütte bauen zu dürfen, ist beispielsweise verboten. Sich zu Hause zurückziehen zu können, wo man eine Privatsphäre hat, die man auch gestalten darf, das sind Aspekte die mir wichtig sind. Mich erstaunt es immer wieder, wenn Menschen auf der Straße sagen, dass dort ihr Zuhause sei. Meine Ecke, hier wo ich die Menschen kenne. Ich bin auch sehr viel umgezogen: London, Kanada, Asien, USA. Ich kann mich zwar an vielen Orten zu Hause fühlen, aber dazu gehört die Möglichkeit, sich zurückziehen zu können, an einem Ort den ich abschließen kann. Meine Arbeit hat das Bewusstsein und die Wertschätzung dafür verstärkt. Wie toll es ist, einen sicheren Ort zu haben, auch gerade jetzt in diesem Jahr. Jetzt im Winter zum Beispiel, wird es immer extremer. Ich bringe den Obdachlosen Kleider, gehe dann aber zurück in meine Wohnung. Das ist in dem Projekt nicht einfach, ich merke das Kunst auch Grenzen hat. Wir sind keine Sozialarbeiter, ich bezeichne mich auch nicht als Aktivistin. Sondern mir ist dieses Thema ein Anliegen, das möchte ich sichtbar machen. Denn ich glaube, dass wir etwas als gegeben nehmen, was für viele nicht gegeben ist.

GH: Liebe Jana, vielen Dank für das Gespräch. Wir schauen gespannt mit Dir in die Zukunft und wünschen Dir alles Gute!

Hier könnt ihr das Buch direkt bei Jana Sophia Nolle bestellen.

Ausstellungen 2021

March 6 2021 – January 2022: The Way We Are 3.0 (Group Show),  Weserburg Museum Bremen

August  – October, 2021: Living Room, Berlin / San Francisco (Solo Show), Haus am Kleistpark, Berlin

Fall 2021: Living Room / (Un)Housed, Wignall Museum of Contemporary Art, (Group Show), Rancho Cucamonga, CA, USA

December 2021 – January 2022: Living Room, (Solo Show),  Blue Sky Gallery,  Portland, USA

Jana Sophia Nolle (*1986) lebt und arbeitet in Berlin. Sie erhielt ihren MSc von der SOAS University London und graduierte an der Ostkreuzschule für Fotografie, Berlin, in der Klasse von Prof. Linn Schröder. Ihr Ansatz ist multidisziplinär, sie arbeitet mit konzeptioneller Fotografie, Video und Installationen. Nolles Arbeiten wurden international in Einzel- und Gruppenausstellungen ausgestellt, zuletzt im Torrance Art Museum Los Angeles, Santo Tirso International Museum of Contemporary Sculpture, UNSEEN Amsterdam und in der Catharine Clark Galerie in San Francisco. Ihre Arbeit “Living Room, San Francisco 2017/2018” gewann diverse Auszeichnungen und Preise, u.a. den LensCulture Emerging Talent Award 2019, das Fotostipendium 2019 des Haus am Kleistpark Berlin, und den Neuköllner Kunstpreises 2020 (finalist). Seit 2019 wird Nolle durch die Catharine Clark Gallery in San Francisco repräsentiert. 

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