Shooting Day Weißensee „Blindenwohnstätte“

Ende September 2020 fand zum neunten Mal der alljährliche Shooting Day Weißensee statt. OKS-lab zeigt in ausgewählten Arbeiten unterschiedliche Sichtweisen auf den facettenreichen Bezirk. Dieses Mal präsentieren wir die Arbeit von Meret Eberl, die die Blindenwohnstätte in Weissensee besucht hat und von Anja Dinges als Bildredakteurin betreut wurde. Das Kooperationsprojekt zwischen Fotografiestudent*innen des zweiten Jahres und der Bildredaktionsklasse nimmt mittlerweile einen festen Platz im Ausbildungsprogramm an der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) ein und bildet für beide Seiten einen professionellen Rahmen für spätere berufliche Alltagssituationen.

Die Blindenwohnstätte in Weißensee ist ein Seniorenheim speziell für blinde und sehschwache Senior*innen. Meret Eberl begleitete am Shooting Day die Bewohnerin Barbara Weidemeier in ihrem Tagesablauf.

Barbara Weidemeier, 1933 geboren, aufgewachsen in Schwerin an der Warthe ist schon als Kind an den Augen erkrankt und trägt seit den 1980ern auf der rechten Seite eine Prothese. Ihr linkes Auge ist ebenfalls durch grünen Star eingeschränkt. Seit vier Jahren wohnt sie in der Wohnstätte. Ihr Lieblingsort ist der Garten, dort hat sie eine Lieblingsbank, wo sie gerne mit anderen Bewohner*innen sitzt. 

Der Winter ist hart für sie, vieles erinnert sie an den Krieg, an ihre Flucht und daran, nichts zu haben. Aber auch an Menschen, die Teil ihres Lebens waren und verstorben sind. Sie hat davon erzählt, wie sie als Schulkinder bei Alarm in den Wald gerannt sind, sich Erdgruben in ihrer Größe gegraben haben und sich dort hinein legten, bis der Alarm vorbei war. 

Gerne würde sie mal wieder bummeln. In ein großes Kaufhaus am Alex zum Beispiel, das vermisst sie sehr. Barbara Weidemeiers Devise ist der Spruch von ihrer Mutter: „Schau den Menschen in die Augen“.

Meret, wie war es für dich, den Auftrag unter Zeitdruck zu erarbeiten? Gab es sonstig Herausforderungen für dich?

Im Voraus war ich gespannt, wie sehr ich in ein so sensibles Thema innerhalb kurzer Zeit eintauchen kann. Aber ich muss sagen, dass eigentlich das Gegenteil der Fall war: Durch die zeitliche Beschränkung wurde es für mich eine sehr intensive Art, zu arbeiten. Die größte Herausforderung war, innerhalb eines Tages in ein fremdes Leben hinein gelassen zu werden. Mit Verwundbarkeit und sehr persönlichen Geschichten konfrontiert zu werden und dann nach ein paar Stunden wieder raus zu gehen, als hätte sich da nicht gerade jemand total geöffnet und viel Vertrauen geschenkt.

Wie hast du dich auf den Shooting Day vorbereitet?

Erst habe ich mich viel mit dem Briefing auseinandergesetzt und versucht, online etwas über die Wohnstätte herauszufinden. Meine zugeteilte Bildredakteurin Anja Dinges hatte glücklicherweise einen Tag vor dem eigentlichen Fototermin ein kleines Treffen im Wohnheim geplant. Ich hatte die Möglichkeit, die Verwalterin kennenzulernen und auch Frau Weidemeier schon auf dem Flur zu treffen. Das hat mir meine anfängliche Sorge genommen, in so einem kurzen Zeitraum nicht genügend Vertrauen aufbauen zu können. Und der Besuch hat mir natürlich auch ermöglicht, meine gestalterischen Möglichkeiten vor Ort zu erahnen.

Was ist dir wichtig bei der Zusammenarbeit mit Bildredakteur*innen, wenn du Aufträge bekommst, wie solche des Shooting Days?

Erst einmal ein Briefing, das die wichtigsten Formalien und eine Grundvorstellung des Projekts skizziert. Dann vor allem der persönliche Kontakt mit Bildredakteur*innen, wie in diesem Fall ein Telefonat, um sich kurz abzustimmen beziehungsweise Vorschläge äußern zu können. Ganz wichtig für mich ist, dass ich anschließend eine Rückmeldung mit Kritik zu meiner Arbeit bekomme, um zu reflektieren, was ich bei diesem Projekt intuitiv umgesetzt habe und worauf ich bei meinem nächsten Projekt noch mehr achten könnte.

Wie hat dir das Thema zugesagt und wie bist du fotografisch vorgegangen? 

Das Thema hat bei mir total ins Schwarze getroffen. Was mich an der Fotografie am meisten begeistert, ist, wie man Nähe zu einer Person, die man als Betrachter*in nicht persönlich kennt, erzeugen kann. Eine Frau wie Frau Weidemeier mit Fluchtgeschichte in ihrer Kindheit, viel Krankheit in ihrer Familie und jetzt im Alter mit dem fortschreitenden Verlust des Sehens konfrontiert, ist ein Charakter, der Stärke und Verletzlichkeit zugleich ausstrahlt. Eine solch emotionale Person finde ich unglaublich spannend und sie motiviert mich umso mehr, stetig zu versuchen, einen Teil dessen fotografisch festzuhalten. Die meiste Zeit habe ich mich eigentlich mit Frau Weidemeier unterhalten. Dadurch kam dann das Vertrauen zustande, das fürs Fotografieren wichtig wurde.

Meret Eberl, geboren 2000 in Köln, zog nach ihrem Abitur 2017 nach Leipzig, um sich dort für ein halbes Jahr an der Leipzig School of Design im Bereich Design und Fotodesign weiterzubilden. Nach einem anschließenden Praktikum bei dem Fotografen und Bildredakteur Marcel Noack, sowie dem fotografischen Arbeiten für das „Kreuzer Stadtmagazin“, studiert sie seit 2019 an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. 

Betreuende Bildredakteurin: Anja Dinges

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