Ausstellungsankündigung TAG EIN, TAG AUS

Die OKS-Fotograf*innen Delia Friemel, Ekaterina Zershchikova, Jonas Berndt, Liam Noack, Milan Koch, Natalia Kepesz und Tamara Eckhardt haben sich, jeder auf individuelle Weise, bildnerisch mit der Corona-Pandemie und der daraus resultierenden Krise auseinandergesetzt. Das August-Bebel-Institut präsentiert ihre Arbeiten ab dem 20.10.2020.

„Da wir uns als angehende Journalist*innen, Künstler*innen und Fotograf*innen sehen, haben wir zeitig damit begonnen, uns mit der vorherrschenden Situation auseinanderzusetzen. Den ungewissen Verlauf der Situation und den gesellschaftlichen wie auch den eigenen Umgang mit der Pandemie vereinen wir in sieben fotografischen Arbeiten unter dem Titel Tag ein, Tag aus„, schreibt das Fotograf*innen-Team. Im Folgenden ein kleiner Einblick in die einzelnen Arbeiten:

aus der Serie Keiner macht den Abwasch, Foto: Delia Friemel

Während der ersten Jahreshälfte 2020 wird auf der ganzen Welt das Miteinander neu definiert. So auch in der Gemeinde Huy im Harzer Wald. In einem alten Gasthaus leben gerade mehr als ein Dutzend Menschen. Die meisten sind wegen Corona hier gelandet. Reisende, Musiker*innen und Künstler*innen. Viele von ihnen sind auf der Durchreise und ohne festen Wohnsitz. Manche können aufgrund der Pandemie nicht zurück in ihre Heimat. Verschiedenste Charaktere treffen aufeinander und erscheinen zunächst wild zusammengewürfelt. Doch nach und nach lernen sie sich kennen, streiten sich, bis schließlich Freundschaften entstehen. Die Arbeit handelt von dem Versuch, eine neue Gemeinschaft aufzubauen, mit üblichen Lebensvorstellungen zu brechen und ein Miteinander im Fremden zu finden.

aus der Serie I wish I had a mango tree, Foto: Ekaterina Zershchikova

Auch vor Corona konnten viele Kinder und Jugendliche sich ein Leben ohne Internet und Mobiltelefon nicht mehr vorstellen. Die virtuelle Welt, längst ein alltäglicher Bestandteil ihrer Kommunikation und Selbstdarstellung, steht während der Pandemie samt und sonders im Vordergrund. Man verabredet sich infolge von Kontaktbeschränkungen kaum noch zu persönlichen Treffen. Gemeinschaftlicher Austausch, Schule, Spiel oder Zeitvertreib finden zum Großteil online in Chatrooms und sozialen Netzwerken statt. Ich nutze ebenfalls diesen virtuellen Zugang, um einen Einblick in die veränderte Realität von Jugendlichen aus Russland und Deutschland zu geben. Trotz der Distanz und der Aufnahme über Internet und Videochat stelle ich mir dabei die Herausforderung, eine persönliche Verbindung zu den Protagonistinnen in dieser neuen, unwirklichen Normalität zu finden.

aus der Serie danke, gut, Foto: Jonas Berndt

Die aus den zunächst empfohlenen und schließlich angeordneten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen resultierende Selbstisolation bedeutete für mich unter anderem, kaum sozialen Kontakt zu meinem Umfeld zu genießen. Um diese Leere zu überbrücken, begann ich an einem visuellen Tagebuch zu arbeiten. Ich startete mit dem Ziel, jeden Tag ein gültiges Bild als „Tagebucheintrag“ zur Isolation und gleichzeitig ein stimmungsvolles Zeitdokument zu schaffen und schaute mir dabei die Dinge, die mich umgeben, noch genauer an als sonst. In Hoffnung darauf, dass irgendetwas passiert, das die Leere durchbricht, spazierte ich kilometerweit durch Berlin. Das Ergebnis ist ein Tagebuch über 82 Tage vom Beginn der Selbstisolation bis zur langsamen Auflösung der sozialen Distanz.

aus der Serie Träune sind Schäune, Foto: Liam Noack

Kalte Luft nach verregneten Tagen.
Starker warmer Mate.
Den Rauch der Zigarette inhalierend, langsam, ein und aus atmen, versunken in Buch, Zeit und Rauch.
Neu aufgießen, ein altes Spiel, die Blätter sich heben und wieder senken sehen.
Phosphor auf Holz, Rauch und Dampf eines müden Tages;
Eines Tages müde sein, von schöner Sprache, schönen Worten, den Sonnenstrahlen auf der Fassade, dem Regen auf den Glasdächern, den Tonalitäten der Populärmusik.
Die Kotze der Welt in sich aufnehmen, sie irgendwann ausscheißen
und verrotten lassen.
Die Treppe hinabsteigen, ihr denvogelzeigend sagen sie solle sichzumteufelscheren.
Die Suche aufgeben und den Zweck wieder sich selbst überlassen.
Ins Theater des Absurden eintreten, den Portier grüßen, seinen
Mantel an der Garderobe abgeben, eine Zigarette anstecken,
nochmals Wasser auf die Blätter gießen,
enjoy the show!

aus der Serie Kartoffeln und Quark, Foto: Milan Koch

Seit Anfang April haben die Corona-Demos eine steile Kurve hingelegt, nicht nur was die vermeintliche Teilnehmer*innenanzahl angeht. Auch wenn es zu Beginn noch leicht war, über Anti-Corona-Yoga am Rosa-Luxemburg-Platz zu lachen, konnte man bald sehen wohin die Reise geht. Begleitet durch rechte Influencer*innen und Medienschaffende formierte sich eine Querfront, die schlussendlich im August unter schwarz-weiß-roten Fahnen den Reichstag „stürmte“. Meine Bilder zeigen Ausschnitte und Impressionen dieser Demonstrationen.

aus der Serie Pola, Foto: Natalia Kepesz

Alleinerziehende Mutter von einer in die Pubertät kommenden Tochter zu sein, ist nicht nur im Frühjahr 2020 keine einfache Aufgabe. Keine Schule, keine Freunde, zu viel Freizeit und die Decke fällt einem auf den Kopf. Die Lösung findet sich draußen: Die Natur, die jedes Jahr um diese Zeit zum Leben erwacht und normalerweise eher ungesehen bleibt, wird in diesem Frühjahr zum spannendsten, das man erleben kann. Draußen lange zu verweilen und Augenzeuge jeder kleinen Veränderung zu werden, wird zum täglichen Ritual. Und auf einmal hat man Zeit. Man beobachtet nicht nur das Erwachen der Natur, die von den Geschehnissen auf der Welt unbeeindruckt bleibt, sondern auch den Morgentau und das Erwachsenwerden einer Tochter…

aus der Serie Kluckstraße 3, Foto: Tamara Eckhardt

Zu Beginn der Corona-Krise mussten viele Notunterkünfte wegen des erhöhten Infektionsrisikos schließen. Seit Anfang April diente ein Hostel in der Kluckstraße in Berlin als vorübergehendes Zuhause für 200 Menschen, deren Existenz von der Pandemie bedroht war. Für kurze Zeit hatten sie ein Zuhause. Aus unterschiedlichsten Bereichen trafen Menschen aufeinander. Nicht nur Menschen, die schon lange auf der Straße leben, wohnten dort, auch Menschen, die durch die Corona-Krise ihre Arbeit und ihr Zuhause verloren haben, Menschen, die frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurden oder die durch die Grenzschließung nicht mehr zurück in ihr Land konnten. Da ist Barbara, die Kindergärtnerin, die ihre Wohnung für einen Job in Hamburg gekündigt hatte. Dann kam Corona, der Job war weg, die Wohnung auch. Da ist Alexeij aus Lettland, von dem manche glaubten, er gehöre zur Russenmafia, weil seine Freunde abends mit großen, schwarzen Autos angefahren kamen. Und Alimo aus Guinea, der es in Magdeburg nicht mehr ausgehalten hat, auch weil er Probleme mit Nazis hatte. Er teilte sich ein Zimmer mit Patzu aus Bulgarien, ein Ex-Neonazi, der das große Hakenkreuz-Tatoo auf seinem Rücken vor Alimo versteckte. Ende Juli kam es zur Schließung des Hostels, obwohl die Fallzahlen weiter stiegen.

Zur Eröffnung der neuen Ausstellung Tag ein, Tag aus wird das August-Bebel-Institut erstmals eine Online-Vernissage veranstalten, im Rahmen derer die Fotograf*innen sich und Teile ihrer fotografischen Positionen zur Pandemie vorstellen werden. Zudem wird eine 32-seitige Zeitung als Ausstellungsbeilage erhältlich sein, welche jede der Arbeiten auf zwei Doppelseiten vorstellt.

Online-Vernissage: am 20.10.2020 um 18.30 Uhr – Anmeldung erforderlich

Ausstellung vom 21.10. – 26.11.2020

Ausstellungsort: August-Bebel-Institut in der Müllerstraße 163, 13353 Berlin

Öffnungszeiten: Dienstag-Sonntag von 14.00 – 18.00 Uhr

Kuratiert von Ludwig Rauch

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