The New Normal

Die Bildredaktionsklasse der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) hatte bereits im Mai dazu aufgerufen, den neuen Normalzustand zu Zeiten der Corona-Krise fotografisch zu interpretieren. In unserem vierten Beitrag präsentieren wir eine weitere Auswahl an Bildern unterschiedlicher Fotograf*innen.

Vor ziemlich genau einem halben Jahr stockte der Welt der Atem als sich das neuartige Covid-19-Virus in China und Italien rasant auszubreiten begann, viel zu viele Menschenleben forderte und drohte, sich zu einer globalen Pandemie zu entwickeln. Die USA und Russland wiegten sich zu diesem Zeitpunkt noch in Sicherheit, wiesen sie doch lange Zeit keine offiziellen Fallzahlen auf. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet und die USA und Russland führen die Liste mit den meisten Infektionsfällen weltweit an. Gespannt und gleichzeitig ein wenig skeptisch blickt man dieses Wochenende auf Russland, wo der erste, angeblich wirksame, Impfstoff „Sputnik V“ in Umlauf gebracht wird, ohne zuvor alle gängigen Testphasen durchlaufen zu haben. Wir in Deutschland scheinen, was die Infektionszahlen und die Zahl der Todesfälle anbelangt, zwar vergleichsweise gut weggekommen zu sein, jedoch kann auch hierzulande von einer „Stabilität“ der Fallzahlen noch immer nicht die Rede sein, schwankt der R-Faktor doch gefühlt weiterhin von Woche zu Woche. Der anfänglich ungewohnte Anblick bedeckter Münder und Nasen hat seine Absurdität über die Monate hinweg verloren und die Hand greift mittlerweile fast automatisiert zur Maske, wenn man das Haus verlässt. Auch die Annahme, es handle sich nur um einen temporären Zustand ist der Erkenntnis gewichen, dass die Welt dieses Virus nicht so schnell, wenn überhaupt, aus der Welt schaffen kann und wird. Nun neigt sich der Sommer bereits dem Ende zu und wir hoffen, dass die Straßen im Herbst nicht wieder so leer und verlassen sein werden wie im Frühling. Wie es auch kommen mag, wir werden den Kopf auf jeden Fall nicht in den Sand stecken, oder in ein Tuch. Unsere Augen bleiben offen und halten die visuellen Eindrücke des neuen Normalzustandes weiterhin fest:

Foto: Annette Hempfling

Annette schreibt zu ihrem Bild: „Ohnehin wurde dem Einzelhandel eine schlechte Prognose für die nächsten 10 Jahre gestellt. Der Katalysator Covid-19 beschleunigt das Ladensterben in den Innenstädten. „Wird es meinen Laden noch nach der Krise geben“ entscheidet letztendlich der Konsument. Wie wird die Krise unser Einkaufsverhalten und unsere Innenstädte verändern? Ein Blick in die Schaufenster spiegelt die sich wiederbelebenden Straßen nach den Ausgangsbeschränkungen. Mit etwas Glück ist der Lieblingsladen auch wieder geöffnet und bietet nicht nur leere Bühne.“

Foto: Henry Schulz

„Noch bevor Plexiglasscheiben zum Schutz von Verkäufer*innen populär wurden, versucht sich ein Tankstellenbetreiber mit zusammengeklebten Müllsäcken und klarer Folie zu schützen“, schreibt Henry. „Der Cafébereich ist abgesperrt und Abstandsmarkierungen auf dem Boden aufgebracht. So wird aus einem sonst stark frequentierten Begegnungsort etwas ganz anderes.“

Foto: Masha Pryven

Masha zu ihren Polaroidbildern: „Leere Straßen und geschlossene Schaufenster — dies wurde auf einmal ein universaler Zustand, den alle weltweit erfahren haben. Die Menschen haben kollektiv erlebt, wie die Zeit zum Halten gekommen ist. Die Gespräche haben sich auch um das Thema Zeit gedreht: “Was kommt noch auf uns zu?”, “Wird es jemals wieder sein wie vorher?“, “Wie lang soll man noch warten?” Ich wollte für dieses einzigartige Erleben der Zeit einen Ausdruck finden. Die Schlüsselwörter für meine Polaroids sind: Eingefrorenheit, Stille, Sehnsucht, Nostalgie.“

Foto: Chiara Wettmann

Chiara zu ihrem Bild: „Corona hat uns gezwungen, zu Hause zu bleiben. Der Schal spiegelt die Unsicherheit dieser makaberen Phase wieder. Das Planbare ist durch die verschleierte Sicht auf das Kommende unplanbar geworden. Bedeckungen bieten Schutz, aber halten uns gleichzeitig auch in Unkenntnis. Sei es der Schutz des Betrachteten oder des Betrachtenden. Der Schleier der Ungewissheit hängt uns allen wie eine Maske vor dem Gesicht. Die Unsicherheit vor unserer Zukunft und die täglichen Entwicklungen werden noch lange nachwirken und uns immer wieder auf das wesentliche konzentrieren lassen. Die ursprüngliche Idee zu dieser Reihe war eine andere. Corona zwingt jedoch jeden von uns vom Ursprünglichen abzuweichen. Die Verbannung in meine Wohnung hat mir die Analogie der Fotoreihe zur aktuellen Situation sichtbar gemacht.“

Foto: Ciara-Angela Engelhardt

Ciara-Angela schreibt: „Die letzten Wochen verbringe ich viel Zeit auf unserem Balkon. Der Blick fällt von dort aus in unseren Gemeinschaftsgarten im Hinterhof. Der Garten, der zuvor selten Beachtung fand, wird zunehmend mit Leben gefüllt. Besonders die Kinder aus der Nachbarschaft schließen neue Freundschaften und bauen sich ihr Refugium im Grünen. Ich erinnere mich zurück an meine Kindheit in der Kleinstadt. Plötzlich kommt mir Berlin so klein vor. Irgendwie fühlt sich das gut an.“

Foto: Nancy Jesse

„Chöre gelten in Corona-Zeiten als „Superspreader“, schreibt Nancy. „Die einzige Möglichkeit, zusammen zu singen, ist, sich virtuell zu treffen. Nach der Probe sitzt man noch bei einem Glas Wein zusammen. Wie früher, als man sich danach im Restaurant gegenüber traf.“

Foto: Luca Vecoli

Foto: Winfried Alberti

Wir bedanken uns bei den beteiligten Fotograf*innen Annette Hempfling, Henry Schulz, Masha Pryven, Chiara Wettmann, Ciara-Angela Engelhardt, Nancy Jesse, Luca Vecoli und Winfried Alberti.

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