OKS-lab fragt… Annemie Martin und Jana Kießer

Von Kartoffelrosen und brennenden Baumkronen – so haben die Fotografinnen Annemie Martin und Jana Kießer, beide Absolventinnen der Ostkreuzschule für Fotografie (OKS), ihren fotografischen Dialog zwischen Berlin und der Insel Reichenau getauft. Jeden Tag haben sie sich ein Bild geschickt, auf das dann die andere mit einem eigenen Bild antworten sollte. Dazu notierten sie Gedanken, Erinnerungen, Träume. Nun wird diese Strecke, zusammen mit ihren Abschlussarbeiten, in der Galerie Âme Nue in Hamburg ausgestellt.

Annemie Martin & Jana Kießer

Inka Recke und Julia Brigasky aus der OKS-Bildredaktionsklasse 2020-21 haben mit den beiden Fotografinnen über diese Arbeit, die Besonderheit der Beziehung von Text und Bild und über Projekte in Corona-Zeiten gesprochen.

Inka Recke (IR): Wie seid ihr auf die Idee gekommen, den Dialog miteinander zu führen?
Jana Kießer (JK): Das war meine Idee. Jonas Feige, der stayathome.photography (OKS-lab berichtete) ins Leben gerufen hat, fragte in seiner Instagram-Story, wer Interesse an einer fotografischen Unterhaltung während der Selbst-Isolation hat – ich fand die Idee super und habe Annemie gefragt, ob sie meine Konversationspartnerin sein will. Sie hat sofort ja gesagt und los ging’s!

Annemie Martin (AM): Ich habe auch schon oft darüber nachgedacht, zu zweit zu arbeiten. Künstlerduos faszinieren mich und Arbeiten, die zu zweit entstanden sind, finde ich oft sehr spannend. Aber es haben sich mir immer viele Fragen gestellt: Welches Thema könnte das sein, mit wem möchte ich das machen, wie setzt man das um… Jetzt finde ich es toll, dass diese gemeinsame Arbeit einfach so entstanden ist, ohne dass wir das irgendwie geplant hatten. Und obwohl es eine gemeinschaftliche Arbeit geworden ist, hat jede ihren Part, ihren Anteil, ihren persönlichen Beitrag dazu geleistet.

JK: Mich hat die gemeinsame Arbeit während dieser schwierigen Zeit sehr motiviert. Zu zweit an einer Serie zu arbeiten ist eine tolle neue Erfahrung. Wir haben ausgemacht, dass wir jeden Tag ein Bild veröffentlichen. Mir ging es dabei mehr darum, eine passende Antwort und gleichzeitig ein gutes Bild zu finden, als meine tagesaktuelle Stimmung abzubilden.

Julia Brigasky (JB): Warum war es euch wichtig, die Bilder mit Texten zu versehen?

AM: Wir haben gedacht, es wäre einfach interessant, etwas dazu zu schreiben. Diese Gefühle während des Lockdowns und allgemein die Situation sind ja für viele nachvollziehbar und interessant, weil es sehr vielen sehr ähnlich ging. Durch die Beschreibung scheinbar banaler Alltagsgeschichten fühlen sich viele angesprochen und es war eine Art Konservierung dieses Zeitraums, durch Schreiben und Fotografieren.

JK: Ja, so ging es mir auch. Diese Zeit ist besonders, wir haben eine solche Krise noch nie erlebt. Corona wird in die Geschichte eingehen und ich finde es wichtig, die Gedanken dazu festzuhalten. Außerdem hatte ich krasse Träume – ich habe immer versucht, sie morgens gleich nach dem Aufwachen aufzuschreiben. Ich habe gelesen, dass viele Leute momentan intensiv träumen. Und dass das Virus, weil man es ja nicht sehen kann, in Träumen übersetzt wird und dann zum Beispiel als Insekt auftritt.

JB: Wie ist euer Prozess, entsteht zuerst der Text und dann dazu ein Bild oder umgekehrt?

AM: Bei mir ist es mal so, mal so. Ich habe sowohl erst Texte geschrieben und dann ein Bild gemacht, oder nach einem Bild gesucht. Aber manchmal habe ich auch im Nachhinein einen Text dazu geschrieben, wenn ich zum Beispiel die Erlebnisse des Tages habe Revue passieren lassen.

JK: Ich habe die ganze Zeit Tagebuch geschrieben und notiert, was ich erlebt und geträumt habe. Diese Texte habe ich dann mit passenden Bildern kombiniert – das hat sich oft ganz natürlich ergeben.  

AM: Es war interessant, was das Schreiben mit einem gemacht hat. Ich habe sonst nicht so gearbeitet. Ich habe natürlich auch mal meine Gedanken aufgeschrieben, aber eher als Einführungstext zu meinen Arbeiten. Wenn man über jedes einzelne Bild nachdenkt und wirklich etwas dazu aufschreibt, wird der Prozess für einen selbst gut nachvollziehbar: Was will man eigentlich und was sieht man überhaupt? Was bedeutet das Bild für mich oder für andere? Was bedeutet es assoziativ oder im Dialog?

IR: Hat sich während dieses Projekts die Art eurer Fotografie verändert oder habt ihr weiter in eurem Stil fotografiert?

AM: Ich habe eigentlich so fotografiert wie sonst auch. Allerdings habe ich angefangen, mehr zu inszenieren, weil ich ja immer am gleichen Ort war und nicht so viele Situationen vor Ort vorgefunden habe. Irgendwie ist es auch dabei geblieben.

JK: Ich habe mehr inszeniert als sonst, normalerweise finde ich meine Motive eher. Da ich während der Selbst-Isolation mehr Zeit hatte, konnte ich endlich Früchte-Stillleben fotografieren, was ich schon länger vorhatte. Das Bild mit den Polizist*innen am Alexanderplatz ist auch eher untypisch für mich, aber ich wollte Annemie zeigen, was in Berlin gerade so passiert. Das Bild ist am Ende einer “Hygienedemo” entstanden, in die ich zufällig hineingeraten bin.

JB: Führt ihr euren Dialog weiter, jetzt wo ihr beide wieder in Berlin seid?

AM: Ja, wir wollen schon weitermachen. Aber jetzt wo das Leben wieder „normaler“ wird, werden wir die zeitlichen Abstände zwischen den Bildern etwas vergrößern. Und wir wollen uns auch in naher Zukunft mal wieder treffen, und dann ein Selbstportrait von uns machen. Wir wollen natürlich auch die Lockerungen in unseren Bildern thematisieren, solche Ideen stehen im Raum. Wir machen auf jeden Fall weiter – das Virus ist ja nicht verschwunden. Nur nicht in dieser Geschwindigkeit, wir haben ja auch noch unsere freien Arbeiten und Jobs.

JB: Apropos, wie ist das mit euren Projekten, die ihr eigentlich für dieses Jahr geplant hattet?

JK: Ich hätte im Mai eine Ausstellung in Montpellier gehabt, sie wurde auf nächstes Jahr verschoben. Außerdem arbeite ich seit einem Jahr an einer Serie zu Sexismus. Dafür nehme ich Geschichten von Frauen auf, die mir von ihren Erfahrungen mit Sexismus erzählen. Das war natürlich in den letzten Monaten auch schwierig, aber bald geht’s weiter! Wer Interesse hat, bei dem Projekt mitzumachen, kann sich gerne bei mir melden. 

AM: Bei mir ist das ähnlich, auch bei mir wurde eine Ausstellung abgesagt. Eigentlich mache ich gerade eine Serie über Chemnitz, damit habe ich momentan auch erst einmal pausiert. Ich mache gerade meinen Master an der HAW bei Linn Schröder und denke schon vage über ein Thema für die Masterarbeit nach, was jetzt etwas schwierig ist. Eigentlich wollte ich etwas in der Westbank machen, aber das ist jetzt gerade nicht möglich, da Israel momentan komplett dicht ist. Das wird sich also nach hinten verschieben – oder es wird ein anderes Thema.

IR: Könntet ihr euch vorstellen, dass aus dieser Arbeit mal ein Buch entsteht?

JK: JA! Ich liebe Fotobücher! Ich würde wahnsinnig gerne ein Buch daraus machen.
AM: Fänden wir toll! Jetzt freuen wir uns aber erst einmal auf die Ausstellung unserer Arbeiten bei Âme Nue in Hamburg.

IR & JB: Liebe Jana, liebe Annemie, vielen Dank für das Interview und hoffentlich seht ihr euch bald in persona wieder!

Annemie Martin ist Absolventin der Abschlussklasse 2018 bei Werner Mahler an der Ostkreuzschule für Fotografie und ist derzeit Masterstudentin im Fach Fotografie an der HAW Hamburg bei Prof. Linn Schröder und Prof. Vincent Kohlbecher.

Jana Kießer ist Absolventin der Abschlussklasse 2018 bei Prof. Linn Schröder der Ostkreuzschule für Fotografie. Ihre Abschlussarbeit „das bleibt unter uns“, die sie im Eigenverlag als Fotobuch herausbrachte, wurde 2019 mit dem Deutschen Fotobuchpreis Silber ausgezeichnet.

Beide arbeiten als freie Fotografinnen und ihre Arbeiten wurden bereits mehrfach in nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt.

Die Ausstellung Von Kartoffelrosen und brennenden Baumkronen – Arbeiten von Jana Kießer und Annemie Martin wird ab 26.06.2020 in der Galerie Âme Nue in Hamburg zu sehen sein. Ebenfalls zu sehen sind die Abschlussarbeiten der beiden Fotografinnen: das bleibt unter uns und rim.

Hier findet ihr den vollständigen fotografischen Dialog inklusive Texte. Die Arbeit der beiden wurde im monopol-Magazin besprochen.