OKS-lab fragt …

In der Serie «OKS-lab fragt …» beantworten Dozenten, Fotografen und Macher der Ostkreuzschule Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie, zur Lebensart.

Ein Gespräch mit:

Dr. Enno Kaufhold – Fotograf, Fotohistoriker, Publizist

Foto: Tina Ammendolia

Foto: Tina Ammendolia

OKS: Herr Dr. Kaufhold, Sie gelten als die Instanz überhaupt wenn es um Fotografie geht. Woher kommt Ihre Faszination für das Medium?
Kaufhold: Ob ich eine Instanz bin, lassen wir mal dahingestellt. Ich habe langjährige Erfahrungen und nehme die Fotografie, und alles, was sie betrifft, ernst. Erste Kontakte mit der Fotografie bekam ich über meinen Vetter, der etwa 40 Jahre älter war als ich und der als Diplomingenieur arbeitete und als Amateur leidenschaftlich fotografierte. Daraus erklärt sich mein früher Wunsch nach einer Kamera, der mir als 13-Jährigem zur Konfir-mation erfüllt wurde. Danach habe ich fotografiert, auch mehrfach damit geliebäugelt, eine fotografische Ausbildung zu machen, habe mich dann aber immer wieder für die intellektuelle Ausbildung entschieden. Insofern studierte ich auch zunächst brav die klassische Kunstgeschichte, in der es die Fotografie nur als Illustrationsmedium, nicht jedoch als eigenständiges, künstlerisches Medium gab. Erst bei der Frage nach dem Dissertationsthema habe ich mir bewusst gemacht, dass mein Herz mehr für die Fotografie als für die klassische Kunstgeschichte schlägt. Zur selben Zeit, wir sprechen von 1975, erlebte die Fotografie eine zunehmende Relevanz in der Bundesrepublik (und darüber hinaus). Neben dem, was ich aus Büchern und über meine Lehrer von der Welt und ihrer Geschichte weiß, verdanke ich den fotografischen Bildern jeglicher Art, also vom einfachsten Amateurbild bis zum Künstlerbild, mein „Weltbild“ in ganz wesentlichen Teilen. Und da die Fotografie in ihrem Ursprung ein originär bürgerliches Medium war (soziologisch betrachtet) und mich das Bürgerliche generell besonders interessiert hat und noch interessiert (von der Renaissance über den Frühkapitalismus bis zum Ver-schwinden heute) gibt es hier inhaltliche, um nicht zu sagen, ideologische Verbindungen.

Welche war Ihre erste Kamera? Besitzen Sie sie noch?
Meine erste Kamera war eine Bakelit-Kamera, die ich für damals 4 Mark in Hamburg bei einem Besuch meines Vetters kaufte (siehe oben), die sich aber technisch als unbrauchbar erwies. Bei der erwähnten ersten, wirklichen Kamera (siehe ebenfalls oben) handelte es sich um eine Mittelklasse-Kleinbildsucherkamera. Das Fabrikat habe ich vergessen und ich besitze die Kamera auch nicht mehr. Sehr bald folgte eine Edixa-Spiegelreflexkamera mit Wechselobjektiven, die ich zwar nicht mehr benutze, die aber noch existiert (in welchem Zustand eigentlich – ich müsste nachsehen).

Warum fotografieren wir? 
Es gibt offenbar das Urbedürfnis, Erinnernswertes festzuhalten. Dafür ist jedes Medium recht, von der Sprache (in der Antike gereimt und als reine Gedächtnisleistung) über die handwerklichen Bildmedien bis zu unseren heutigen technischen Bildmedien, die keinerlei Vorkenntnisse erfordern und allein deshalb zu einer massenhaften Anwendung kommen. Ganz richtig, wir wollen uns erinnern, das Momentane im Bild festhalten, „Verweile doch, Du bist so schön…“, wie es Johann Wolfgang von Goethe formulierte, das scheint ein Urverhalten zu sein, was jedoch insofern nicht befriedigt wird, als wir noch so viel fotografieren können, heute bei allen Gelegenheiten mit dem iPhone, dem Smartphone, der Digitalkamera etc. – wir sind, wie es Sigfried Kracauer schon 1927 schrieb, dem Tode geweiht. Und auch die meisten – heute trifft das mehr zu denn je – fotografierten Bilder gehen unter.

Ist es gut oder schlecht, dass heute alles und überall fotografiert wird, beispielsweise mit Smartphones?
Für die Masse der Menschen ist es ein Segen, weil sie darin einen Existenzbeweis sehen können (ich mache Bilder, also bin ich); für die bildbewussten Zeitgenossen ist es ein Fluch, weil es immer seltener vorkommt, auf gute Bilder zu stoßen. Das Problem sind nicht die vielen technisch erzeugten Bilder, das Problem ist die Ahnungslosigkeit der Bildproduzenten, ahnungslos in Hinblick auf die Qualität und die Aussagekraft von Bildern. Wir sind fast alle alphabetisiert, niemand käme aber auf den Gedanken, darin etwas Schlechtes zu sehen, im Gegenteil. Von den vielen, die Buchstaben schreiben und lesen können, erreichen nur die Wenigsten ein bestimmtes Niveau, von Literatur erst gar nicht zu reden. Insofern geht es hinsichtlich der Bilder darum, das Bewusstsein für Qualität zu stärken. Wenn es anders wäre, gäbe es für Ausbildungsstätten wie die Ostkreuzschule keine Legitimation!

War früher alles besser?
Nein, anders und technisch nicht so weit entwickelt: Alles wird popularisiert, damit auch demokratisiert, das ist gut, aber es hat in der Masse mit einer Verflachung jeglicher Art zu tun. Das ist der Preis, der für die Demokratisierung zu zahlen ist.

Das Bild „Trolley – New Orleans“ von Robert Frank ist in New York für die Summe von 663.750 Dollar (511.000 Euro) versteigert worden. Was macht den Fotografen Robert Frank so einzigartig? 
Hier geht es nicht um die Einzigartigkeit von Robert Frank, sondern um seine interna-tionale Bekanntheit in Verbindung mit der Tatsache, dass es wohl nur wenige Originalabzüge des besagten Motivs gibt. Die Seltenheit dieser Fotografie in Verbindung mit der Bekanntheit des Autors macht den Preis. Jemand möchte dieses seltene, aber von Millionen Menschen gekannte Bild sein Eigen nennen – das hat etwas von einem Fetisch. Historisch ist es nichts weiter als das, was wir aus der Kunstgeschichte kennen, ein Picasso ist eben teurer als ein namenloser Maler seiner Generation.

Sind Sie auch Sammler von Fotografien?
Klares Nein! Ich besitze Originale, gekaufte wie im Tausch erworbene, ein Sammler hat eine bestimmte Sammleridee, wie immer diese aussieht (es gibt Sammler, die wollen alle Fotografien besitzen, auf denen ein Dackel zu sehen ist, etc.).

Welchen Bereich der Fotografie (Reportage, Portrait, Mode…) interessiert Sie am meisten? 
Mich interessieren die Spitzenleistungen, egal in welchem Genre.

Viele Fotografen beschäftigen sich heute vermehrt mit Video und Multimedia. Verfolgen Sie diese Entwicklung? 
Verfolgen möchte ich es nicht nennen, ich nehme es aber zur Kenntnis bzw. ich nehme es vor allem als ein zeittypisches Phänomen zur Kenntnis, weil sich darin ganz handfeste Strukturveränderungen ablesen lassen. Im Kern beharre ich aber in meinem Interesse auf „stehenden“ Bildern. Diese haben immer noch den Vorzug, dass sie für mich am schnellsten zu rezipieren sind. Bei den „laufenden“ Bildern kommt ganz wesentlich der Faktor Zeit mit ins Spiel. Als Betrachter muss ich mich, um mir ein abschließendes Urteil zu bilden („bilden“ passt hier insofern, als auch die Aneinanderreihung von vielen Bildern letztlich „ein“ Bild kreiert), auf die volle Länge der Arbeit einlassen. In der Praxis heißt das, wenn ich auf Videos stoße, wo auch immer, kommt es entscheidend auf die ersten Sequenzen an, nehmen die mich nicht gefangen, bin ich gleich wieder weg. Ich verlasse mich da ganz auf mein „Bauchgefühl“.

Wohin entwickelt sich die Fotografie?
Die Möglichkeiten der individuellen Aufnahmetechniken werden weiter vereinfacht und die Möglichkeiten der Verbreitung weiter ausgebaut werden. Wir werden noch mehr Bilder bekommen, die aber nicht durchgehend ‚direkt‘ fotografiert worden sind, sondern am Rechner aus bereits vorhandenem Material zusammengesetzt werden.

Gibt es einen zeitgenössischen Fotografen, den Sie besonders schätzen?
Als Kurator der Ausstellung „Die Rückeroberung der Freiheit“ mit Werken des Berliner Fotokünstlers Torsten Warmuth, die bis zum 11. August im Haus am Kleistpark zu sehen war, nenne ich Torsten Warmuth aus verständlichen Gründen zuerst.

Danke für das Gespräch!