Bildredaktion, embedded

Als Studentin der Bildredaktionsklasse stellte ich mir die Frage, ob wir in einer Redaktion je die Möglichkeit bekommen werden, einen Fotografen nicht nur mit dem Finger auf der Landkarte begleiten zu dürfen. Ich halte das heutzutage für so gut wie undenkbar, also wollte ich die Chance des Netzwerks Schule nutzen, denn noch habe ich die Freiheit, Erfahrungen zu sammeln, Fragen zu stellen und den Anderen über die Schulter zu schauen. Die Fotografen traf ich schließlich in der Ostkreuzschule und auf meine Nachfrage unter den Fotografiestudenten der Abschlussklasse boten sich Stéphane Lelarge und Andreas Krufczik an, die es ebenso spannend fanden, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Bildredakteurin embedded, sozusagen.

Hier der erste Teil meines Berichts ‚behind-the-scenes‘ mit: Stéphane Lelarge auf der Wagenburg, Berlin Karow.

Stéphane_FredsWagen_Kombi

Foto: Nadine Bunge

Als Stéphane mir vor einigen Wochen anbietet, ihn für die letzten Bilder seiner Abschlussarbeit auf die Wagenburg zu begleiten, hatte ich eine etwas romantische Vorstellung von dem Leben in einer Wagenburg. Kreative Aussteiger, die ihr künstlerisches Potential in der Abgeschiedenheit der Großstadt leben und genießen. Doch bei meiner Recherche auf seinem Blog und Portfolio, wo Stéphane sein Abschlussprojekt „A place to live or How I learned to stop worrying and love the crisis“ dokumentiert, bekam ich bereits im Vorfeld einen Einblick in sein Projekt. Seit September 2012 fährt er mit seinem Rad und seiner Großformatkamera, einer Linhof, verschiedene Plätze in Berlin an. Dort fotografiert er Menschen in ihren Lebensräumen, die auf unkonventionelle Weise leben. Plätze, wie verlassene Gartenanlagen, Zeltstätten auf Brachgeländen, oder eben diese Wagenburg. Während des Projektes kristallisiert sich für ihn immer mehr die Frage heraus, „wie Menschen, die durch die verschiedenen Symptome der Krise in Europa (Wirtschaft, Wohnen, Beschäftigung oder Migration) betroffen sind, ihr Leben in unserer Gesellschaft organisieren?“.

Landschaft_Dieselstrasse_Berlin

Foto: Stéphane Lelarge, Dieselstrasse Berlin

In den zwei Tagen auf der Wagenburg konnte ich einen Einblick in Stéphanes Arbeit als Fotograf bekommen und viele Hintergrundinformationen mitnehmen, die mir im Alltagsgeschäft als Bildredakteurin verborgen bleiben würden. Am eindrucksvollsten war für mich die Möglichkeit, Menschen auf der Wagenburg kennenzulernen und wenn man ihnen offen begegnet, ihre Geschichten und Lebenshintergründe zu erfahren. So gibt es dort auch Bewohner, die meiner anfänglichen Vorstellung über die Wagenburg nahekommen, aber auch Menschen, die dort am Existenzminimum leben. Für sie ist es die einzige Möglichkeit, sich ein zu Hause leisten zu können, bevor sie obdachlos werden und doch würden die wenigsten von uns diese Art von Heim als ein Heim ansehen. Stéphane gelang es durch seine offene Art, den Menschen zu begegnen und dadurch für seine Bilder einen Zugang zu ihnen herzustellen.

Am Einprägendsten wiederum ist für mich das Aushalten eigener Grenzen und Ängste. Und so kämpft man sich durch ein Feld Brennnesseln oder schläft trotz Spinnenphobie in einer Unterkunft, in der man sonst nie im Leben geschlafen hätte, da sie von Spinnen besiedelt ist. Man macht aus Angst kaum ein Auge zu, weil man sich sagt, dass andere Fotografen an ganz anderen Orten für ihre Bilder unterwegs sind.

Ebenso spannend fand ich die Erfahrung, wie viel Zeit und Geduld hinter einem Foto mit einer Großformatkamera steckt. Das Wissen über die Einstellung, das Warten auf Licht und das Finden des richtigen Ausschnitts immer mit dem Wissen, man macht nur ein bis zwei Bilder, bis hin zum Abwarten, ob die Bilder nach der Entwicklung gelungen sind.

Stéphane_Kamera

Foto: Nadine Bunge

Mit seinen Arbeiten aus seinem Abschlussprojekt „A place to live or How i learned to stop worrying and love the crisis“ hat sich Stéphane bereits in den letzten Monaten bei Wettbewerben beworben. So gewann er den 2. Platz beim Studierenden-Wettbewerb 2013 „Reformation und Toleranz – Was bedeuten Identität und Toleranz heute?“ und gewann den Förderpreis vom Fotowettbewerb von Henry Landers, High End Scan und Fine Art Atelier, bei dem ihm die komplette Bildproduktion gesponsert wird.

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Foto: Stéphane Lelarge, Heike

Als nächste Schritte stehen für Stéphane und die anderen Abschlussstudenten der Ostkreuzschule das Finale Edit und das Erstellen eines eigenen Magazins oder Buches über ihre Projekte an. Vom 25.10. bis 09.11.2013 könnt ihr dann mehr von Stéphane und den diesjährigen Absolventen in der Abschlussausstellung der Ostkreuzschule für Fotografie in den UferHallen in Berlin Wedding sehen.

Stéphane Lelarge studiert seit 2010 an der Ostkreuzschule für Fotografie und macht im Oktober 2013 bei Sybille Fendt seinen Abschluss.
http://stephanelelarge.com
http://aplacetoliveinberlin.tumblr.com/

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