Ein schönes Bild – Teil 2

»Wer professionell mit Bildern zu tun hat, sollte in der Lage sein, detailliert und dezidiert zu beschreiben, warum ein Bild gut ist. Ein Bild als schön zu charakterisieren, ist nur ganz am Anfang des Kurses erlaubt, denn eine der ersten Fragen, die in der Klasse Bildredaktion behandelt wird ist: Was macht ein gutes Bild und eine spannende, überzeugende Geschichte aus? Die Klasse lernt anhand eines Kriterienkatalogs Fotos zu analysieren und eine Terminologie zu benutzen, in der das Wort „schön” nicht vorkommt. Jede*r der Bildredakteur*innen sollte ein Bild auswählen, das er*sie in dem vergangen Jahr „entdeckt” hat und begründen, warum ihm*ihr dieses Foto im Gedächtnis geblieben ist und es ihn*sie nachhaltig beeindruckt hat. Hier ihre gedankenvolle Auswahl der Bilder und ihre aufschlussreichen Texte.«
Nadja Masri, Leiterin der Klasse Bildredaktion

Aus der Serie Nothing Personal, Foto: Nikita Teryoshin

Aus der Serie »Nothing Personal« von Nikita Teryoshin. Ausgewählt von Natalie Richter

In dem Fotostudio, in dem ich vor langer Zeit meine Fotografenlehre absolvierte, hing ein gerahmter Spruch an der Wand: »Ein guter Fotograf muss ein Auge für das Licht und ein Auge für das Motiv haben.« Der Fotograf Nikita Teryoshin hat für mich noch etwas mehr als das, nämlich ein Gefühl für etwas, was Henri Cartier Bresson als den »entscheidenden Augenblick« bezeichnete.

Das Bild, dem ich mich widmen möchte, hat Teryoshin im Rahmen seines Langzeitprojekts über globalen Waffenhandel auf einer Verteidigungsmesse in Weißrussland aufgenommen. »Nothing Personal« lautet der Name von Teryoshins Serie und ebenso doppeldeutig wie der Titel lässt sich auch dieses Bild lesen. Die Szene ist zunächst banal, ein Angehöriger der weißrussischen Streitkräfte bewacht einen Medien-Lkw des Militärs. Da es nur wenige Interessierte gibt, betrachtet er gelangweilt eine Satellitenschüssel.

Erst die Komposition des Bildes, das Zusammenspiel aus allen Komponenten, erfasst im richtigen Moment, macht dieses Bild zu dem was es ist. Der Mann in Uniform avanciert durch die Komposition zu einem gesichtslosen Stellvertreter des Militärs, umgeben von einem Nimbus aus Stahlnieten, die sein Haupt perfekt umrahmen und ihm einen Hauch von Göttlichkeit verleihen. Eine Absolution für kriegerisches Handeln? Die Scheinheiligkeit der Rüstungsindustrie? Am Ende ist es »nothing personal«.

Garden of Delight, Foto: Nick Hannes

»Garden of Delight« von Nick Hannes. Ausgewählt von Vanya Pieters

Dieses Bild von emiratischen Jungen, die in Dubai Billard spielen, hat mich wegen der surrealistischen Umgebung aufhorchen lassen. Eine Gruppe von Jungen, in Weiß gekleidet, in einem kontrastreichen, dunklen Raum mit hellen Farbelementen, der duch die Tische und das Licht geradezu klinisch wirkt. Das Bild ähnelt einem Gemälde von Rembrandt, allerdings mit einem futuristischen Pinselstrich. Tatsächlich gibt es einen Bezug zur Malerei – Nick Hannes fotografiert die Jungen für sein Projekt »Garden of Delight«, angelehnt an das weltberühmte Werk von Jheronimus Bosch. Ein Werk, das die Sünden der Menschheit veranschaulicht, ein irdischer Vergnügungspark der Lust, fantastische Kreaturen und alles, was die Kirche verboten hat. In Dubai gibt es eine andere Religion – den Islam – und die Unterhaltung findet oft in geschlossenen künstlichen Räumen statt. Das staubige Fischerdorf Dubai aus den 1960er Jahren entwickelte sich schnell zu einer hochmodernen Metropole ohne Identität. Was ist daran authentisch? Dieses Foto von weißen Gewändern in einem außerirdisch wirkenden Billardraum symbolisiert den ultimativen Spielplatz des Kapitalismus und der Globalisierung. In Dubai ist nichts zu verrückt, von riesigen Einkaufszentren, Unterwasserhotels bis hin zu Stränden, an denen kühle Luft geliefert wird. Auf einen Blick hinterfragt dieses Bild die Verhältnisse zwischen Mann und Frau, die Grenzen von Fiktion und Authentizität und die Folgen des Kapitalismus. Das alles in ein stilisiertes Foto gehüllt, das eine Welt zeigt, in der nur der Himmel die Grenze ist.

Dieses Bild entstand in dem Gaming und Entertainment Komplex Hub Zero, im Shopping Center City Walk in Dubai, 5. Januar, 2017. 

»Garden of Delight«, André Frère Editions, 2018, 188 pagina’s, ISBN 979-1092265774, 45 Euro

Die Ausstellung »Garden of Delight« läuft vom 15.12.2018 bis zum 3.3.2019 im De Garage in Mechelen, Belgien.

Julian & Jonathan, Foto: Sarah-Mei-Herman

»Julian & Jonathan, Feb. 2010« von Sarah Mei Herman. Ausgewählt von Anne Freitag

Traum, Fantasie, Melancholie, Tiefe. Das sind nur einige Begriffe, die dieses Bild für mich beschreiben. Es erzählt ganz viel und lässt doch so viele Fragen offen. Vielleicht berührt es mich auch so sehr, weil ich mich auf diesem Sessel sitzen sehe – als Kind sowie als Erwachsene.  

Dies ist ein Bild aus der Serie »Julian und Jonathan« von Sarah Mei Herman. Die Serie ist eine sehr persönliche Arbeit und stellt ihre enge Beziehung zu ihrem Vater Julian und ihrem Halbbruder Jonathan da, der geboren wurde, als sie 20 Jahre alt war. Seit 2005 fotografiert sie Jonathan alleine oder mit dem Vater zusammen. Es ist bis heute ein fortlaufendes Projekt. 

Aus der Serie On the Street, Foto: Ilan Burla

Aus der Serie »On the Street«, fotografiert von Ilan Burla. Ausgewählt von Helen Stevens

Zwischen Mensch und Hund besteht eine einzigartige Beziehung. Man sagt, der Hund sei der beste Freund des Menschen. Warum Hunde ihren Besitzern oft ähneln? Weil der Mensch wohl dazu neigt, sich seinesgleichen auszusuchen. Oder umgekehrt? Hat das Aussehen des einen auf das des anderen abgefärbt? Und wenn ja, wer steckt sich hier bei wem an? 

Das Bild wurde am Strand von Tel Aviv in Israel aufgenommen. Ilan Burla selbst sagt, Tel Aviv sei eine großartige Stadt wegen ihrer Vielseitigkeit und ihrer hervorragenden Lage. Dieses Lebensgefühl, die der puren Lebensfreude, des Partygefühls, zeigt sich durch das besondere Licht der Sonne, durch die knallige Farbigkeit, die Komposition der Körper und den gewählten Ausschnitt des Bildes. Menschen dichtgedrängt, nackte, glänzende, braune Haut. Als Betrachter spüre ich die Hitze geradezu. Die Haut des Menschen und das Fell des Hundes durchmengen sich zu einer unglaublich gleichen Textur. Das verwendete harte Blitzlicht unterstreicht diese Wirkung noch.

In diesem Bild verschmelzen Mensch und Hund zu einem. Der zufriedene Gesichtsausdruck des Hundes lässt diesen menschlich erscheinen. Ilan Burla selbst sagt, er liebe die Kombination von Farben und Textur auf diesem Foto und der Ausdruck des Hundes bringe ihn zum Schmunzeln. Burlas Passion ist die Straßenfotografie und Humor ist ein Element, welches er – wann immer es möglich ist – gerne in seine Fotografie einbezieht. In diesem Bild ist es ihm ausgesprochen gut gelungen.

Aus der Serie Approximate Joy, Foto: Christopher Anderson

Aus der Serie »Approximate Joy« von Christopher Anderson. Ausgewählt von Pascal Breitenbach

»Sich erinnern: wir haben Anspruch auf Ablauf.« Martina Werner

Vereinzelung klammert die Portraits und Stills in »Approximate Joy« von Christopher Anderson zusammen. Seine Akteure: ausgezirkelt, entrückt, verschlossen und ihrer Umstände entkleidet. Als Prototypen bevölkern sie die Skizze einer Kosmopolis wie sie Anderson in naher Zukunft wähnt. Er beschreibt eine Stadt bar jeder Architektur und Kulisse. Ihr Kunstlicht legt sich auf die Subjekte, wie zum Schutz. Abstandhalter zwischen Sein und der Einsamkeit.

Ihr Hals fällt mir zuvorderst auf, sein Hereinragen. Der Einsatz von digitalem Korn und minimaler Unschärfe erzeugen ein ebenmäßiges Bild mit fast haptischer Materialität. Ähnlich jenen handkolorierten Fotografien auf Barytpapier aus dem Japan des frühen 20. Jahrhunderts, wie ich sie vor einigen Jahren in einer Ausstellung sah. Das Schwarz ihrer Augen, deren Iris es verschluckt, fällt mir auf – ihr Blick findet die Kamera. Dagegen die Neigung des Gesichts. Sich zuneigend, sich abwendend. Wind hat einzelne Haare erfasst, als einziger Verweis auf ein Äußeres. Gefasst aber beiläufig schaut sie, denke ich. Umgebend richtungslose Fläche.

Auf den ersten Blick finde ich es reizend. Schon ab dem zweiten bin ich gereizt – von der durchgehenden Färbung: zu wenig Stadt, zu viel Poesie. Jetzt, einige Zeit später, erscheint es mir nur konsequent. Die Anonymität der Metropole kann nur gezeigt werden, denke ich, unterschlägt man ihren Raum. Unbestimmt und unverortbar. Gestalt diffuser Stimmung und Eingriffs, wird sie Kraft der Überformung ihrer Bewohner sichtbar. Als Färbung des Lichts in dem alles erscheint.

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