OKS-lab fragt…

In der Serie »OKS-lab fragt…« beantworten Dozenten, Fotografen, Macher und Absolventen im Rahmen der Ostkreuzschule für Fotografie Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie und Lebensart.

Ein Gespräch mit: Ute und Werner Mahler über ihr neuestes Buch: »Kleinstadt«, erschienen bei Hartmann Books.

Wer ist hier wenn ich nicht da bin und warum?

Dieser Frage sind das Berliner Fotografenpaar Ute und Werner Mahler in ihrem Dokumentarfotografie Projekt »Kleinstadt« nachgegangen. Seit 2015 bereisen sie Deutschland mit kleinem Wagen und großer Kamera, auf der Suche nach Bildern, die die Stimmung, das Lebensgefühl, den Geist dieser Orte (von Arzberg bis Zehdenick) dokumentieren. Die Zukunft der kleinen Städte entscheidet sich in den nächsten Jahren. Gehen die Jungen stirbt die Kleinstadt. Pünktlich zur Buchmesse 2018 bei Hartmann Books erschienen und in Berlin im Rahmen Abschluss-Ausstellung vom Jahrgang Zwölf in The Shelf vorgestellt. Termin der Buchpremiere: Donnerstag 11.10.2018, 19.00 Uhr mit einer Einführung von Ingo Taubhorn.  

OKS-lab: Ist eine zwar trostlose, aber authentische Umgebung nicht besser als eine oberbayerische lackierte Gemeinde, die den Preis gewonnen hat: Unser Dorf soll schöner worden?

Das Echte ist immer überzeugender. Der schöne Schein hält doch extrem auf. Und trostlos ist ja nicht automatisch gleichzusetzen mit authentisch. Auch die üppigen Geranienfenster in Bayern gehören dort in diese Landschaft; seit Generationen funktionieren die Städte in diesen Gegenden. Man verlässt sie nicht unbedingt, weil es dort keine Arbeit gibt. Vielleicht verlässt man sie, weil es zu eng und zu glatt geworden ist.

Interessieren Sie eher die Orte, die Menschen oder das Lebensgefühl?

Es geht uns um das Lebensgefühl in den Kleinstädten, in denen die Zahl der Einwohner abnimmt, in die immer weniger Busse oder Bahnen fahren, in denen immer mehr leere Läden das Stadtbild im Zentrum bestimmen und wo es kaum Arbeit für junge Leute gibt. Wir suchen aber auch das noch Funktionierende. Das Miteinander. Jeder kennt jeden, das bringt Nähe, engt auch manchmal ein. Die Menschen und wie sie in den Orten leben erzeugt ein Lebensgefühl.

Man bekommt auch ein bisschen Angst – auf manchen Bildern  sieht es schon sehr trostlos aus. Erreicht man dadurch nicht eher das Gegenteil, dass die jungen Menschen erst recht die Kleinstadt verlassen.

Die jungen Leute gehen weg um zu studieren, um zu arbeiten, um die Welt kennenzulernen. Das war schon immer so. Doch heute kommen viel weniger von ihnen zurück, auch weil sie in der Heimat keine beruflichen Chancen sehen. Schulen werden geschlossen, weil weniger Kinder geboren werden und junge Familien wegziehen. Es gibt genug bezahlbaren Wohnraum, die Landschaft ist schön aber etwas Wesentliches fehlt, die berufliche Perspektive, Kulturangebote und eine funktionierende Infrastruktur.

Die Umschlaggestaltung dieses Fotobuches zeigt kein Foto. Wie kam es dazu?

Das Wort »Kleinstadt« sollte beim Betrachter erst einmal die eigenen Erfahrungen oder Erinnerungen hervorrufen. Ein Foto, egal welches, hätte sofort unsere Sicht auf den Inhalt des Buches gezeigt und die eigenen Assoziationen überdeckt. Da die Arbeit das Thema Kleinstadt mit unterschiedlichen fotografischen Genres zeigt, wäre auch EIN Foto nicht repräsentativ für den Inhalt.

Holen Sie sich beim Edit und Sequencing Beratung?

Wir haben ja vor fast dreieinhalb Jahren mit der Recherche und auch schon mit dem Fotografieren begonnen. Wenn man so lange an einem Projekt arbeitet, verändert sich das manchmal. Man bekommt mehr Kenntnis vom Thema und es wird deutlich, worauf man den Fokus legen will. Wir haben während des Prozesses mehrmals die Ergebnisse unseren Ostkreuzkollegen gezeigt, haben auch im Ostkreuzverein mit den Mitgliedern darüber diskutiert. Das alles hat geholfen, dass uns viel klarer geworden ist, ob unsere Sicht auf die Kleinstadt schon erkennbar genug ist oder ob wir diese noch schärfen müssen.

Aber die Entscheidung, wie man ein Thema umsetzt, welche Bilder man auswählt, wie die Reihenfolge ist, die liegt bei uns. Eine wichtige Phase in der abschließenden Zusammenstellung für das Buch war die Korrespondenz mit unserem Grafiker Florian Lamm. Das hat offene Fragen geklärt und zu einer strengen Auswahl geführt.

Mit kleinem Wagen und großer Kamera und Planfilmen erinnert das nicht an das Ehepaar Becher?

Nein. Und außerdem hatten die Bechers einen viel größeren Wagen als wir.

»Kleinstadt« ist Ihr viertes gemeinsames Langzeitprojekt. Wie genau müssen wir uns die Arbeitsteilung vorstellen?

Wir haben in den vorangegangenen gemeinsamen Projekten gelernt, wie wir miteinander am Besten arbeiten können. Das war nicht so einfach. Zwei Fotografen, die fast 40 Jahre allein entschieden haben, wie und was sie fotografieren. Zu zweit muss man Regeln haben, sonst ist die Gefahr da, dass man sich vom fotografischen Gegenstand, vom Thema entfernt. Es ist eine gemeinsame Arbeit, also muss man gemeinsam entscheiden. Ob das Motiv stark genug ist und ob es in das Thema passt, das diskutieren wir nicht vor Ort, sondern später. Das Editieren ist für uns weit aus wichtiger als die Diskussionen zwischen uns vor dem Motiv. Wer das Stativ und die Kamera aufbaut und wer dann den Auslöser drückt ist unwichtig.

Auffällig sind die traurigen Sujets der leeren Stadtplätze und Hausfassaden zwischen denen die Porträts junger Erwachsener in regelmäßigem Rhythmus erscheinen: Diese Jugendlichen wirken durchaus selbstbewusst und könnten aber im Grunde überall fotografiert sein. Lässt dies nicht hoffen?

Die Jugendlichen könnten nicht überall fotografiert worden sein. Sie sind in diesen Kleinstädten zu Hause und dort haben wir sie porträtiert. Im Zusammenspiel mit den Stillleben, den Landschaften und den Architekturen der Kleinstädte zeigen die Porträts einen Aspekt unserer Arbeit,  der uns sehr wichtig ist. Wie geht es weiter mit diesen Städten, welche Rolle kann die Jugend dabei übernehmen, will sie das überhaupt? Das erste und letzte Foto in unserem Buch zeigt jeweils ein junges Paar. Die jungen Leute sind es, die sind es, die uns hoffen lassen.

Führt die Schwarzweiß-Fotografie nicht dazu, dass es bereits jetzt schon so aussieht als ob diese Orte schon nicht mehr existieren. Ist das gewollt?

Gewollt ist es, unseren Fotos eine gewisse Zeitlosigkeit zu geben. Da kann die SW-Fotografie hilfreich sein. Eine genaue Verortung wird erschwert, auch das ist gewollt. Die Porträts der Jugendlichen stehen dazu in einem starken Kontrast. Auf ihnen sieht man, das ist hier und heute in Deutschland.

Ortsnamen und Einwohnerzahlen werden nicht genannt. Das hat sicher einen Grund.

Ja. Es gibt auch keine Seitenzahlen, keine Bildunterschriften, keinen erklärenden Text, eben nur Fotografie. Es ist eine subjektive und künstlerische Sicht auf ein gesellschaftliches Phänomen, ohne Anspruch auf dokumentarischer Vollständigkeit. Dies ist unser Entwurf von einer fiktiven Kleinstadt. Zusammengesetzt mit Fotos aus 45 Städten in ganz Deutschland.

Gibt es schon ein nächstes gemeinsames Projekt?

Ob gemeinsam oder wieder jeder für sich, das ist noch offen. Fotos wird es aber von uns definitiv auch weiter geben.

Wo wohnen sie selbst?

In dem Vorort einer Mittelstadt.

Ute und  Werner Mahler, vielen Dank für das spannende Gespräch.

Wer noch mehr über das Projekt erfahren möchte,  kann ab dem 25.10.2018 ein weiteres Interview im ZEITMagazin mit Bildern aus dem Buch lesen.

Ute Mahler (*1949) und Werner Mahler (*1950), seit 40 Jahren ein Paar, sind zwei herausragende deutsche Fotografen, die zur DDR-Zeit zu den stilprägenden Fotografen des Ostens zählten und heute wie damals ihre humanistische Sicht auf die Welt in unterschiedlichen, intensiven Fotoprojekten realisiert haben. Nach der Wende haben sie die Fotografenagentur OSTKREUZ und die Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin mitbegründet. »Kleinstadt« ist nach »Monalisen der Vorstädte« (bis 2010), »Wo die Welt zu Ende war« (bis 2012) und »Seltsame Tage« (bis 2014) ihr viertes gemeinsames Projekt.

Beitragsbild von David Meckel/ Ostkreuz, alle anderen Bilder sind von Ute und Werner Mahler.