TRIENNALE DER PHOTOGRAPHIE HAMBURG

Mehr als drei Monate lang, von Juni bis September 2018, wird das Festival zum siebten Mal – zum zweiten Mal unter der fachkundigen Leitung des polnischen Kurators Krzysztof Candrowicz – Ausstellungen, Screenings, Portfolio-Reviews, Vorträge, Workshops und Masterclasses unter der Leitung von NOOR und der Word Press Photo Foundation veranstalten.

Acht Ausstellungen bilden das Rückgrat des Festivals und interpretieren das übergreifende Thema mit Titeln, die von den gebräuchlichen Tastaturbefehlen inspiriert sind: [ENTER], [HOME], [SHIFT], [CONTROL], [SPACE], [RETURN], [DELETE] UND [ESCAPE].

Mandy Barker, SOUP: Bird’s Nest © Mandy Barker, Mit Genehmigung der / Courtesy of East Wing
Gallery, Dubai

Die gemeinsam von Emma Bowkett (Director of Photography beim FT Weekend Magazine) und Candrowickz persönlich kuratierte Ausstellung [ENTER] setzt einen guten Anfang und präsentiert die Arbeiten von 15 Künstlern, die sich mit Belastungsgrenzen (Breaking Points) und der Notwendigkeit von Veränderungen beschäftigen.

Matthieu Asselins fünfjährige Forschung »Monsanto, a photographic investigation« über die Macht multinationaler Konzerne, Mandy Barkers‘ beeindruckende Bilder von Plastikabfällen im Ozean, Gabor Arion Kudasz‘ erhabenes Werk »Human«.

Gabor Arion Kuda¡sz, HUMAN. XIX
Substandard wet clay blocks (Gura Ocnit ei, Romania) (2014-2016) © Gabor Arion Kuda¡sz, mit Genehmigung des Künstlers und / Courtesy of the artist and Zsófi Faur Gallery

Verdichtete, kraftvolle Edits dieser Arbeiten sind in der suggestiven Kulisse von Schiffscontainern im Hof der Deichtorhallen untergebracht.

Salvatore Vitales außergewöhnliches Projekt »How to Secure a Country«, eine forensische Untersuchung der nationalen Sicherheit in der Schweiz, Martin Errichiello und Filippo Menichetti’s Reportage »In Fourth Person«, eine Analyse der fragmentierten und vergessenen Geschichte Italiens, und Sarker Proticks Spuren von Leben und Abwesenheit am Padma River in Bangladesch sind ebenso Teil dieser Ausstellung wie Projekte von Katrin Koenning, Tamara Kametani, Lucas Foglia und Valentina Abenavoli. Ebenfalls zu sehen sind Nick Hannes‘ Werke zur Urbanisierung, Migration und Massentourismus, Claudius Schulzes malerische Landschaften, die die Spuren des menschlichen Abdrucks zeigen, Ewa Ciechanowskas und Artur Urbańskis Arbeiten zu umgestürzten Bäumen.

[CONTROL] no Control, gezeigt in der Hamburger Kunsthalle und gemeinsam kuratiert von Petra Roetting und Stephanie Bunk, besteht aus Fotografien, Filmen und Videos, die sich mit den sensiblen Themen Überwachung, Machtausübung durch Kontrolle und nicht zuletzt mit unserer eigenen Kontrolllosigkeit beschäftigen, da wir unsere persönlichen Daten immer häufiger preisgeben.

Beim Gang durch die zehn Räume findet sich der Besucher zunächst vor Sophie Calles Meisterwerk »La Filature« (»Der Schatten«) wieder, um weiter in Peter Pillers eigens für die Ausstellung zusammengestellten Sammlung gefundener Bilder einzusteigen und sich dann Thomas Ruffs Serie »Nachts« (1992–96) anzusehen, die als Reaktion auf die Live-Nachrichtenbilder aus dem Golfkrieg (1990–91) konzipiert wurde, die die nächtlichen Bombardierungen von Bagdad zeigen.

Die wichtigste Fotoserie der Ausstellung ist »Presidency« von Thomas Demand, eine Erkundung des ikonischen amerikanischen Presidential Oval Offices, in der Zeit kurz bevor Barack Obama zum Präsidenten gewählt wurde.

Thomas Demand (*1964),
Presidency I, 2008,
C-Print / Diasec, 310 x 223 cm, Hamburger Kunsthalle © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Der junge und talentierte schwedische Fotograf Mårten Lange ist mit seiner hypnotischen Serie »The Mechanism« (2017) dabei, die kürzlich in einem Buch im MACK-Verlag erschienen ist. Die melancholische Serie von Schwarz-Weiß-Fotografien führt Bilder aus mehreren Städten zusammen und beschäftigt sich mit den Themen Technik, Überwachung und urbane Gesellschaft.

Adam Broomberg und Oliver Chagrin sind ebenfalls zu sehen. Zwei Sets von mehr als 200 3D-gescannten Porträts entmenschlichter Gesichter, die erstmals in einem Raum neben- und hintereinander gezeigt werden, repräsentieren ihr faszinierendes Projekt »Spirit is a Bone«.

Was in diesem Zusammenhang nicht fehlen darf, ist natürlich Trevor Paglens Werk. Seine Videoinstallation »Behold These Glorious Times!« (2017) öffnen uns die Augen, wie Internet-Bilder gesammelt und Algorithmen zugeführt werden, die Computern das Erkennen von Objekten und Gesichtern beibringen.

Besonders intensiv und bewegend ist schließlich der letzte Raum der Ausstellung, in dem Richard Mosses Installation »Incoming« aus dem Jahr 2017 zu sehen ist.

[HOME] ist eine von Stefan Rahner & Nico Baumgarten kuratierte Gruppenausstellung über Zugehörigkeit, Sicherheit, Migration und Nomadentum. Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Altonaer Museum im öffentlichen Raum gezeigt wird, setzt sich setzt sich auf kritische Weise mit dem Ort und dem Gefühl des »Zuhauseseins« auseinander und stellt die Frage, wie man es jedem ermöglichen kann, ein Zuhause zu haben.

Gezeigt werden Arbeiten von Andrea Diefenbach, Gineke de Rooij, Janete Delaney, Moers Joseph Maher, CP Krenkler, Olaf Sobczak, Rasande Tyskar und Jorge Taboada. Gezeigt wird auch »At home in Hamburg« – Ein Projekt von K.S. mit Fotografien von G.R., M.C. und S.S. – ein visuelles Tagebuch von drei in Hamburg lebenden Obdachlosen.

Janet Delaney, Helen and her husband, Chester at the Helen Cafe, 486 6th street, 1980

Das Altonaer Museum beherbergt auch eine zweite Gruppenausstellung zum Thema [RETURN], kuratiert von Sebastian Lux, Lothar Altringer, Jens Bove und Adelheid Komenda. Durch eine exklusive Vorschau auf eine viel größere Ausstellung mit dem Titel »Fotografie in der Weimarer Republik 1918–1933«, die 2019 im LVR-LandesMuseum Bonn zu sehen sein wird, setzen sich die Kuratoren mit dem Thema Wurzeln, Erbe und Lernen aus der Vergangenheit auseinander.

Die Kuratoren Esther Ruelfs und Sven Schumacher beschäftigen sich in [DELETE] mit der großen Debatte über den Einfluss unserer Medien durch Zensur. Mit vier historischen Arbeiten von Thomas Hoepker, Ryūichi Hirokawa, Günter Hildenhagen und Hanns-Jörg Anders, ergänzt durch einen zeitgenössischen Kunstfilm von Sirah Foighel Brutmann und Eitan Efrat, untersucht das Museum für Kunst und Gewerbe die Bedingungen, unter denen Journalisten arbeiten und wie ihre Fotos zur Veröffentlichung ausgewählt werden.

Hanns-Jörg Anders (*1942), Unruhen in Nordirland / Unrest in Northern Ireland
(Londonderry), 1969
Silbergelatineabzug / Gelatin Silver Print, 26,5 x 38,7 cm © Hanns-Jörg Anders – Red.
Stern

Für [SHIFT], kuratiert von Bettina Steinbrügge und Tobias Peper, ausgestellt im Kunstverein, wurden Calla Henkel und Max Pitegoff beauftragt, eine neue Arbeit zu produzieren, die die Notwendigkeit persönlicher Veränderung untersucht.

Calla Henkel & Max Pitegoff, Untitled 2018

Schließlich ist [ESCAPE] eine Ausstellung mit Arbeiten, die aus zwei Workshops entstanden sind, die von Candrowicz und dem Co-Tutor Christian Barbe und dem Kurator Virgilio Ferreira geleitet wurden. Die Ausstellung umfasst Werke von Cláudio Reis, Constanze Flamme, Duae Collective (Luna Coppola und Silvia Campidelli), Jayne Dyer, Lisa Hoffmann, Marco Caterini und Pawel Kowalski.

The flooded room, aus der Serie / From the series „Future known“, 2017/18

Interessant und stark sind die Einzelausstellungen von Shirana Shahbazi, Joan Fontcuberta und Anton Corbijn.

Corbijns beeindruckendes Werk »The Living and the Dead« wird von Franz Wilhelm Kaiser kuratiert und im Bucerius Kunst Forum gezeigt. Die Ausstellung präsentiert 119 analoge Fotografien des Künstlers in zwei Sets: Der erste Teil widmet sich den meist im Auftrag entstandenen ikonischen Porträts von Bands und Musikern wie Joy Division, Depeche Mode, Tom Waits, U2 oder den Rolling Stones. Im zweiten Teil der Ausstellung werden die Auftragsarbeiten einer freischaffenden Serie gegenübergestellt, in der sich Corbijn als verschiedene Musiker verkleidet und in der ländlichen Umgebung seiner Heimatstadt Strijen fotografiert hat.

Anton Corbijn, Henry Rollins, 1994 © Anton Corbijn

Fontcuberta eröffnet während der Triennale seine erste Ausstellung in Hamburg, »Photography: Crisis of History«, in der Barlach Halle K, kuratiert von Alison Nordström. Fotografien von Picasso, Dalí und Miró werden neben wichtigen Auftragsarbeiten von Albert Renger-Patzsch, Man Ray, László Moholy-Nagy, Alexander Rodchenko und Walker Evans gezeigt. Cale Garrido, ehemaliger Schüler der OKS Bildredaktionsklasse, unterstützte Alison Nordström beim Kuratieren der Show.

Vorbereitungsskizze für / Preparatory sketch for Erotique Voilée in der Trepats
Werkstatt / at Trepat’s factory, 1931
Von der Ausstellung / From the exhibition “Photography: Crisis of History” von / by Joan Fontcuberta

Daneben gibt es eine von Ingo Taubhorn (unterstützt von Magnus Polcher, ehemaliger Schüler der OKS Bildredaktionsklasse) kuratierte Sonderausstellung für die Gewinner des Olympus-Stipendiums – Thomas Albdorf, Nadja Bournonville und Lilly Lulay – in Zusammenarbeit mit dem Haus der Photographie / Deichtorhallen Hamburg, Foam Fotografiemuseum Amsterdam und dem Fotografie Forum Frankfurt.

Um all dies zu krönen, veranstaltet die Triennale zum ersten Mal in diesem Jahr einen gesonderten Bereich, die [OFF] Triennale: 15 Künstler*innen und zwei Kollektivausstellungen stellen an verschiedenen Orten in Hamburg aus – als Ergebnis einer offenen Ausschreibung, kuratiert von der Künstlerin Nina Venus.

Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang die Ausstellung »Sightseeing the Real«. Die Gruppenausstellung versammelt zehn fotografische Positionen, die sich mit dem Zeitgeist einer sich wandelnden Gesellschaft auseinandersetzen. Das Gemeinschaftsprojekt untersucht die Diskrepanz zwischen den städtebaulichen Plänen Hamburgs und den Bedürfnissen seiner Bewohner. Die elf Hamburger Fotografen (Stefan Becker, Roman Bezjak, Peter Bialobrzeski, Jonas Fischer, Enver Hirsch, Andreas Hopfgarten, Julia Knop, Paula Markert, Philipp Meuser, Henrik Spohler & Kolja Warnecke) finden ungewöhnliche Perspektiven in den vermeintlich vertrauten bzw. toten Ecken und entdecken lebendige aber auch längst überholte Utopien.

Die Ostkreuzschule ist stolz auf seine Teilnahme an der Triennale als auch an der [FOTO SCHOOLS] & [TRIENNIAL SCHOOL PROJECT]. Eine dem Brexit gewidmete und von Ingo Taubhorn kuratierte Ausstellung zeigt die Arbeiten von acht talentierten und jungen Fotografen: Anna Szkoda, Uli Kaufmann, Annemie Martin, Linus Muellerschoen, Bastian Thiery, Lars Bösch, Miguel Brusch und Sebastian Wells.

Die diesjährige Triennale ist eine Explosion von qualitativ hochwertigen visuellen Projekten. Sie lädt dazu ein, die Fotografie als eines der wertvollsten Instrumente, die zum Handeln anregen und Veränderungen herbeiführen, zu betrachten.

Ein Muss für alle, die sich für die Welt der zeitgenössischen Kunst interessieren.

Text von Winifred Chiocchia, Übersetzung und Edit von Helen Stevens