Ateliergespräch mit Harf Zimmermann

»Man muss erst mal selbst von etwas berührt sein, um andere berühren zu können.«

Am Dienstag, den 20. März 2018, war Harf Zimmermann zu Gast beim Ateliergespräch in der Ostkreuzschule. Er stellte er seine Arbeiten »BRAND WAND« und »Hufelandstraße 1055 Berlin« vor, die letztes Jahr im C/O Berlin zusehen war, und berichtete von seinen Erfahrungen als Fotograf.

Foto: Sascha Schlegel

Foto: Sascha Schlegel

Nach einer kurzen Einleitung von Kunsthistoriker und Fotogeschichtsdozent Dr. Enno Kaufhold, erzählte Harf Zimmermann von seinen Anfängen als Fotostudent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und seinem Lehrer Klaus Liebich. Bei den ihm damals lästig vorkommenden Übungen mit der Großformatkamera, wie zum Beispiel eine weiße Tasse vor weißem Grund zu fotografieren, lernte er die Technik, die er später brauchte, um seine Arbeiten nach seinen Vorstellungen realisieren zu können.

Während seines Studiums wurde er auf den Fotografen Eugène Atget aufmerksam, dessen Arbeit ihn inspirierte. Dieser fotografierte ebenfalls alltägliche Straßenszenen mit einer Großformatkamera. Später zeigte ihm sein Mentor Arno Fischer die Arbeit des amerikanischen Magnum-Fotografen Bruce Davidson, der in den 1970er Jahren mit einer Großbildkamera das Leben in und um einen Wohnblock in der East 100th Street fotografierte.

Foto: Eugène Atget

Für seine Arbeit »Hufelandstraße 1055 Berlin« fotografierte er 1987 ein Jahr lang die Häuser und Menschen der Straße, in der er selbst von 1981 bis 1991 lebte. Er entdeckte in der knapp einen Kilometer langen Straße in Prenzlauer Berg, inmitten der Hauptstadt der DDR, eine Oase des Bürgerlichen: Gründerzeithäuser, geräumige Altbauwohnungen sowie kleine Werkstätten und familiengeführte Geschäfte. Er wollte die Atmosphäre des Ortes in seinen Bildern festhalten. Dennoch sind es keine Schnappschüsse, sondern geplante Aufnahmen, in denen er die Orte und die Lichtstimmung bewusst auswählte und die Menschen arrangierte. Zimmermann liebt es Dinge zu fotografieren und in seiner greifbaren Präsenz ist auch der Mensch in seinen Bildern ein Objekt. Die entstandenen Gruppenfotos sieht er als Zustandsbeschreibung.

Er fotografierte mit hölzernen Plattenkameras verschiedener Größe, teilweise »so groß wie ein Nachttischschrank«. Die meisten Bilder sind jedoch mit einer Linhof-Kamera aus den 1930er Jahren im Format 9×12 cm aufgenommen. Seine Wahl des Kameraformats begründet er mit der »bestimmten Stofflichkeit«, die diese Technik ihm bietet. Ein anderer Aspekt ist die Präsenz des großen Kastens, der die Konzentration der Porträtierten auf sich lenkt, Ruhe schafft und die Abgebildeten meist ganz bei sich scheinen lässt. Die Außenaufnahmen in der Hufelandstraße sind überwiegend in schwarzweiß entstanden. Harf Zimmermann wollte die Nichtfarbigkeit des Ortes wiedergeben, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Die Entscheidung lag aber auch daran, dass der damals verfügbare ORWO Farbfilm in seinen Augen niemals farbecht war und so die Realität verzerrt hätte. Die Innenaufnahmen, die Familien in ihrem privaten Umfeld der Wohnung zeigen, sind in Farbe fotografiert, was den sehr persönlichen Einblick verstärkt.
Heute ist die Straße ein Beispiel für die rasante Gentrifizierung und den innerstädtischen Strukturwandel nach 1989. Nur wenige Bewohner aus der Zeit von Zimmermanns Aufnahmen leben noch dort. Wie kaum an einem anderen Ort in Ostdeutschland, fand in diesem Kiez in den letzten 25 Jahren ein nahezu kompletter Austausch der Bevölkerung statt. Daher fotografierte er sie 2009 im Auftrag von GEO noch einmal. Er sucht nach Spuren des Alten, aber findet fast nur Neues. Die Häuser wurden saniert, die Fassaden herausgeputzt, die Substanz, die Geschichte, die sie einst erzählten, ist verschwunden.Eine weitere Serie, in die uns der Künstler einen Einblick gewährte, ist »BRAND WAND«. In diesem Langzeitprojekt, an dem er über 20 Jahre arbeitete, zeigt er uns die Wände, die sonst eigentlich nicht zu sehen sein sollen. Brandwände sind der architektonisch ungestaltete Schutz eines Hauses vor Feuer, der nur nach Abrissen ersichtlich wird. Es entstanden ca. 300–400 Farbfotos, von denen am Ende 50 im Buch abgebildet wurden. Harf Zimmermann arbeitete auch bei dieser Serie mit einer Großbildkamera und Abzügen im Format 11×14 inch. Die Größe wählte er, um eine bestimmte »Stofflichkeit« zu erzielen und die Präsentation der Bilder lebensgroß darzustellen.

Die Wände suchte er vorher gezielt aus und verbrachte dann teilweise Stunden an einem Ort, um den richtigen Moment mit dem richtigen Licht festzuhalten. Oft wurde er dabei von Passanten fälschlicherweise für jemanden gehalten, der Straßen abmisst. Er bemerkte, dass ihn die Menschen nach einiger Zeit gar nicht mehr wahrnahmen und er regelrecht mit der Landschaft »verschmolz«.

Zimmermann sagt von sich selbst, dass er ein großes Interesse an Mauern und Wänden hat und dazu tendiert den Verfall von Dingen zu fotografieren. Er hängt jedoch dem Alten nicht nach, eher ist er meistens von der Entwicklung der Stadt enttäuscht worden. Für ihn schwingt bei einem zerfallenden Gebäude oder einer alten, verwitterten Wand immer der Zustand der Hoffnung mit. Auf den Bildern sieht man abblätternden Putz, Verwitterung, politische Botschaften und Pflanzenbewuchs. Sie werden aber auch die Untergründe für Plakate, Kunst und politische Botschaften, was einen interessanten Kontrast zwischen Alt und Neu schafft.

Vom 21.04. bis zum 24.06.2018 kann man die Serie »BRAND WAND« in der Alfred Ehrhardt Stiftung in Berlin bewundern.

20. April | Brand Wand
Alfred Ehrhardt Stiftung
Auguststr. 75
10117 Berlin

Eine weitere Ausstellung von Harf Zimmermann ist demnächst hier zu sehen:

11. April | Asservate
Kornversuchsspeicher
Heidestraße 20c
10557 Berlin

Harf Zimmermann wurde 1955 in Dresden geboren. Er studierte bis 1979 Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig und arbeitete danach als Fotolaborant beim Neuen Deutschland (ND). Ab 1982 studierte er Fotografie bei Professor Arno Fischer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und beendete das Studium 1987 mit seiner Diplomarbeit »Hufelandstraße 1055 Berlin« . Seitdem arbeitet er als freier Fotograf und Fotodesigner. Neben der Arbeit auf großen und sehr großen Filmformaten, spezialisierte er sich erfolgreich eine zeitlang in Panoramafotografie. 1990 gehörte Zimmermann zu den Gründungsmitgliedern der Fotoagentur OSTKREUZ, von der er sich 1999 wieder trennte. In der Zeit der Zusammenarbeit kuratierte Zimmermann landes- und weltweit Ausstellungen der Agentur Ostkreuz sowie zwei Buchpublikationen der Agentur. 1990 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Fördervereins des Museums für Naturkunde in Berlin. Seine Fotografien hat er in zahlreichen nationalen und internationalen Zeitungen und Zeitschriften publiziert – unter anderem in Stern, GEO, Merian, DIE ZEIT, The New York Times Magazine, The New Yorker, TIME. Harf Zimmermann lebt wieder in der Hufelandstrasse.

Beitragsbild: Harf Zimmermann

Ein Beitrag von Anja Bäcker, Josefine Lippmann und Vanya Pieters