Nahaufnahme

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotografen/-innen und Dozenten/-innen der Ostkreuzschule über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. Diesmal haben wir die Fotografin und OKS-Studentin Claudia Bühler darum gebeten, uns einen Einblick in die Entstehung ihres Fotos zu geben.

Aus der Serie Erinnern, Foto: Claudia Bühler

 

Das, was ich hier jetzt schreibe, wovon ich euch erzählen werde, das wird nicht einfach. Es fällt mir sehr schwer, dieses Thema erneut aufzugreifen. Vielleicht hatte ich Nadja etwas leichtfertig zugesagt, als sie mich darum gebeten hat, zu dem Foto mit dem alten Kinderschuh aus meiner Erinnern-Serie einen Text über seinen Hintergrund und die Entstehung zu schreiben. Doch, hey, Herausforderungen und generell seinen Ängsten soll man sich stellen, hab ich mal gelesen.

Nun sitze ich hier an einem Sonntagnachmittag seit bald zwei Stunden vor dem leeren Blatt. Und zerbreche mir den Kopf darüber, wie ich einigermassen interessante und in schöner Sprache intellektuelle Sätze formuliere. Man will ja nicht langweilen oder gar ungebildet wirken. Ich habe etliche Wikipedia-Einträge, Zeitungsartikel, Songs, Gedichte und andere Prosa zum Thema Erinnerung, Tod, Ende und Neuanfang studiert, bin gar auf dem lokalen Friedhof bei einer Zigarette in mich gegangen. Nur hat das alles nicht funktioniert.

Deshalb versuche ich es nun ohne viel Schnörkel oder Kitsch und mache es kurz. 2014 hat sich eine alte gute Jugendfreundin von mir, mit welcher ich gerade erst seit wenigen Monaten wieder intensiveren Kontakt hatte, das Leben genommen. Für mich war das ein riesiger Schock, ich stand danach wochenlang neben mir. Doch innerlich ist etwas kaputt gegangen, wie oft bin ich in dieser Zeit aufs Klo gerannt, nur um nicht öffentlich zu heulen. Ja, das war meine erste bewusste Erfahrung mit dem Tod einer mir sehr nahestehenden Person. Und gleichzeitig eine unglaublich intensive und persönlichkeitsbildende Phase in meinem ach so jungen Leben.

Es hat mich in der Zeit sehr getröstet, wenn ich alte gemeinsame Fotos von unseren Spaziergängen, die selbst gemalte Team-Fahne oder unser Reisetagebuch von den tagelangen Velotouren zur Hand genommen hab. Als angehende Fotografin hatte ich bald das Bedürfnis, dieses Herzensthema in eine Arbeit einfliessen zu lassen, es kreativ zu verarbeiten. Die Gelegenheit dazu ergab sich in der Kooperation mit der Tischlereibühne an der Deutschen Oper. Da auf dieser Bühne neben dem experimentellen Musiktheater auch Objekttheater gespielt wird, wünschten sich die Dramaturgen eine fotografische Arbeit, welche sich mit scheinbar toten Sachen beschäftigt. Ihnen sollte Leben eingehaucht werden.

So ergab sich die Konzept-Idee, Gegenstände von geliebten verstorbenen Menschen zu fotografieren. Dank grossartiger Unterstützung und viel Vertrauen meiner Familie, meines Freundeskreises, Arbeitskollegen und Kommilitonen stapelten sich in meinem improvisierten Berliner Heimstudio bald viele Gegenstände. Alle sehr persönlich und an Erinnerungen immens reich. Denn wer behauptet, Gegenstände hätten keine Seele, begeht Frevel.

 

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Claudia Bühler 1991 in St. Gallen geboren, machte 2010 ihren Lehrabschluss Bankkauffrau mit Berufsmaturität in der Schweiz und absolvierte 2015 das Propädeutikum (Grundlagenkurs für ein Kunststudium) an der Kunsthochschule St. Gallen.

Seit 2015 studiert sie an der Ostkreuzschule. Sie lebt in Berlin und arbeitet als freischaffende Fotografin.