Breitscheidplatz

Genau ein Jahr ist es her, als sich der Terroranschlag am Breitscheidplatz ereignete.     Sebastian Wells, der das Geschehene kurz nach dem Vorfall dokumentierte, gibt uns einen Einblick in seine Gedanken zu seiner Serie „Breitscheidplatz“.

Ein Mann fährt mit einem Lastwagen in hohem Tempo 80 Meter durch einen Weihnachtsmarkt, reißt zwölf Menschen in den Tod und verletzt Millionen. Ein Terroranschlag in einer Reihe von Attentaten in Frankreich, Belgien und Großbritannien mit direkten und indirekten Folgen: 2017 werden am Bahnhof Südkreuz die ersten Überwachungskameras mit Gesichtserkennung getestet, die Hemmschwelle bei der Vorratsdatenspeicherung sinkt drastisch und Skandale über den behördlichen Umgang mit sogenannten Gefährdern werden laut. Die Debatte über Verfahren für schnellere Abschiebungen heizt den Wahlkampf an, Afghanistan wird zu einem sicheren Herkunftsland erklärt, die EU-Außengrenzen weiter nach Afrika verschoben.

Eine Mischung aus Betroffenheit und journalistischem Eifer riss Sebastian Wells binnen Sekunden aus dem Feiermodus, als er abends bei einer Weihnachtsfeier vom Geschehen auf dem Breitscheidplatz erfuhr. Dort angekommen suchte er in einem Gewusel aus Menschen, Polizeiwagen und Absperrungen nach Bildern, die nicht erklären, was passierte, sondern stellvertretend sind für jenes Gefühlschaos aus Verzweiflung, Hysterie, Ungewissheit und Angst, das Opfer, Ermittler/-innen, Journalisten/-innen und andere Beteiligte gleichermaßen einholte. Die Serie entstand am Abend des Anschlags und am darauffolgenden Tag, als sich der hoch frequentierte Weihnachtsmarkt in einen Ort der Trauer für tausende Menschen in fast seltsamer Innigkeit und Solidarität verwandelte. Attribute der Gemeinschaft, die sich sonst im Rausch der weihnachtlichen Shopping-Kultur an der Gedächtniskirche verlieren.

Sebastian Wells, geboren 1996, lebt und arbeitet als Fotograf für Zeitungen und Magazine in Berlin und studiert zur Zeit im zwölften Abschlussjahrgang der Ostkreuzschule für Fotografie bei Werner Mahler.

Text und Fotografien: Sebastian Wells