Nahaufnahme

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotografen/-innen und Dozenten/-innen der Ostkreuzschule über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. Diesmal haben wir die Fotografin und OKS-Studentin Anna Szkoda darum gebeten, uns einen Einblick in die Entstehung ihres Fotos zu geben.

Aus der Serie: Davor ist endlich, Foto: Anna Szkoda

Es ist der Spätsommer 2015. Still und doch offensichtlich durchdringen bedrückende Gefühle den Alltag unserer Familie. Wir atmen auf, er hat auch wundervolle intensive Momente, doch eigentlich wissen wir, dass dieser Sommer kein guter ist. Er ist wechselhaft. Wir klammern uns an jedes Gefühl, das Hoffnung in sich birgt, um hinterher doch nur von dem Bild eingeholt zu werden, das noch vor uns liegt und das nicht mehr aufgehalten werden kann.

Meine Mutter flüchtet sich in die Gartenarbeit. Es ist ihre Art des Rückzugs und des Auftankens in einer kräftezehrenden Zeit. Doch was eigentlich sichtbar wird ist der Zustand enormer Erschöpfung. Sie jätet nicht, sie liegt einfach da – im Kräuterbeet. Nach fast einem Jahr des Kämpfens, des Hoffens und der bedingungslosen Fürsorge ist ihr Körper müde, ihr Gesicht gezeichnet. Gleichzeitig manifestiert sich das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht, das in diesen Wochen über uns allen schwebt. Er ist wertvoll, doch er ist bedeckt, dieser letzte gemeinsame Sommer.

Das Bild stammt aus einer sehr persönlichen Arbeit. Die Serie „Davor ist endlich“ handelt von einer Phase, in der die vorhersehbare Zukunft vieles beenden wird. Sie zeigt eine aufgeladene Stimmung – es sind die letzten Wochen vor dem Tod meines Vaters.

Momente, in denen wir mit existentiellen Gefühlen konfrontiert werden, wie dem langsamen Verlust eines geliebten Menschen, sind zweifelsohne sehr aufwühlend. Als Tochter und als Fotografin barg diese intensive Zeit aber auch ein kreatives Moment –zum einen war die bewusste fotografische Auseinandersetzung sicher auch Teil der eigenen Verarbeitung dieses schmerzvollen Verlustes, zum anderen sah ich das Potential mich durch das Medium der Fotografie einem Thema zu widmen, das auf gesellschaftlicher Ebene größtenteils ausgeklammert wird.

Bilder, Filme, Bücher, die sich mit dem Tod auseinandersetzen, rühren oft an unseren größten Ängsten. Gefühle um das Sterben herum sind uns unangenehm. Das merken wir beispielsweise an Beileidsbekundungen – alles was uns einfällt wirkt floskelhaft. Werbeanzeigen von Bestattungsinstituten werden geschmückt durch Coverbilder auf denen junge Familien händchenhaltend in die Kamera lächeln. Nichts soll an den Tod erinnern, denn er ist bedrohlich. Der Tod der Anderen erinnert uns qua Identifikation an unseren eigenen und wird daher aus der Moderne weitestgehend ausgeklammert. Der Soziologe Norbert Elias schrieb einst über „Die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen“* – es ist ein Essay über die soziale Tabuisierung des Sterbens und allem was ihn umgibt. Verursacht wird sie laut Elias durch erlernte Peinlichkeits- und Schamgefühle, die sich in unserem kollektiven Gedächtnis verankert haben. Um so mehr habe ich mich gefreut, als ich die Anfrage bekam von all meinen Bildern gerade über dieses Bild zu sprechen. Auch mir fällt es nicht leicht. Doch die Tabuisierung des Sterbens bedeutet eine stille Fortführung der Tendenzen, die für die soziale Verdrängung verantwortlich sind. Die Fotografie hat die wundervolle Fähigkeit dem entgegenzuwirken.

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*Norbert Elias: Über die Einsamkeit der Sterbenden. Humana Conditio. Suhrkamp. 2002

Anna Szkoda ist in Tychy in Polen geboren. Sie hat in Leipzig Soziologie und Psychologie studiert. Derzeit absolviert sie die Abschlussklasse bei Linn Schröder. Sie lebt und arbeitet in Berlin. annaszkoda.com / instagram: @anna.szkoda