Images in Conflict

Während der Ausbildung in der Bildredaktionsklasse an der Ostkreuzschule für Fotografie gibt es immer wieder Bilder, deren alleiniger Anblick besonders schwer fällt. Mit Bildern aus den Kriegs- und Konfliktregionen dieser Welt liegt mit der Wucht der Fotografie unfassbares Leid vor uns. Ethische Fragen werfen sich auf, nicht nur für den Fotografen oder den Journalisten. Durch die Epochen der fotografischen Berichterstattung geht es immer wieder um die Verhandlung der Frage: Was ist zeigbar und machbar?

Das Symposium Images in Conflict der Hochschule Hannover stellte erstmalig eine Plattform bereit, die Fragestellungen aus der fotografischen Bildpraxis und Diskurse der Bild- und Fototheorie sowie der Visual und Cultural Studies in einen Dialog brachte, der für beide Seiten neue Perspektiven eröffnete. In vier Panels wurden verschiedene Aspekte der Bilder in Konflikten beleuchtet.

Tony Hicks, Europachef der Associated Press (AP), bei seinem Vortrag Practices and Processes of Photography Agencies, Foto: Maximilian von Lachner / HS Hannover

Unter dem Titel Akteure und Perspektiven, der ersten Vortrags- und Diskussionsrunde des Symposiums, wurde über das Aufeinandertreffen von professionellen Aufnahmen und Amateurbildern, die potentielle Mittäterschaft durch virtuelle Zeugenschaft sowie die Einflüsse der Produktionsbedingungen in Konflikträumen auf das fotojournalistische Handeln diskutiert. Welche Akteure nehmen Einfluss auf die Entstehung und Verbreitung der Bilder?

Den Auftakt machte Geert van Kesteren mit seinem Vortrag Why, Mister, Why? & Baghdad Calling- Kunst und Terror in Zeiten von Twitter, bei dem es darum ging, wie moderne Informationstechnologien radikalen Gruppen helfen, ihre Gemeinschaft zu stärken und auszubauen. Offenkundig werden Akte des Terrors getwittert, geliked und endlos retweetet, ein „Ozean ziviler Bilder“ entsteht. Doch wird damit nicht nur eine Kommunikationsplattform geschaffen, auch werden wir als Mitglieder der virtuellen Community zu Zeugen des Terrors. Van Kesteren stellte sich damit die Frage, wie vor allem Journalisten und Künstler dies reflektieren müssen und beantwortet diese für sich, indem er die zivilen Bilder zur materiellen Grundlage seiner Arbeit machte und sie damit zur kritischen Diskussion und Auseinandersetzung stellt.

Geert van Kersteren spricht während des Symposiums. Foto: Christoph Enke/ HS Hannover

Felix Koltermann diskutierte in seinem Vortrag Ein Blick hinter die Linse des Fotojournalismus im Nahen Osten die Entstehung und Rezeption der Bilder aus dem Gebiet um Israel und Palästina. Er verdeutlichte, dass es nicht reicht, lediglich das einzelne Bild in Frage zu stellen. So untersuchte er im Rahmen seiner gerade veröffentlichten Dissertation Fotoreporter im Konflikt dieses Handlungsfeld der Fotojournalisten im Spannungsfeld der politischen Akteure der Region und der Unterschiede in den Praktiken und Routinen verschiedener fotojournalistischer Berufsgruppen in Israel und Palästina.

Felix Koltermann stellte Ergebnisse aus seiner Dissertation zum Fotojournalismus in Israel und Palästina vor. Foto: Maximilian von Lachner / HS Hannover

Während uns in den Medien immer wieder Bilder von den Gräueltaten des Krieges begegnen, können wir uns nur schwer vorstellen, dass der Kriegsalltag in Ländern wie Syrien auch andere Seiten hat. Was bedeutet es, im Krieg aufzuwachsen und zu leben? Um sich dieser Frage anzunähern, folgte die syrische Grafikdesignerin Dona Abboud über das soziale Netzwerk Facebook elf Menschen aus Syrien, die ihren Alltag mit Bildern festgehalten und diese mit ihrer Facebook-Community geteilt haben. Aus dem über Jahre angesammelten Konvolut aus Facebook-Bildern entstand das Buch Out of Syria, inside Facebook. Vor allem junge Syrer sehen laut Abboud darin einen Weg, aus der Kriegsrealität zu fliehen. Letztlich stellt sich aber die Frage, wo die gezeigten Bilder sowohl bildästhetisch als auch inhaltlich zwischen Kunst, privaten Familienalben und dem Aufgreifen von Phänomenen der internationalen Popkultur liegen.

Dona Abboud bei ihrem Vortrag Out Of Syria Into Facebook. Foto: Maximilian von Lachner/HS Hannover

Philipp Müller zeigte in seinem Vortrag Realitätenkollaps? Zum Verhältnis und Status von Bild und Betrachter bei Terrorinszenierungen des sog. IS, welche Folgen der Einsatz von Terroraufnahmen in der Medienwelt hat. Bei der Frage, welche Wirkung diese Bilder auf den Betrachter haben, gehen die Meinungen auseinander. Manche Medien zeigen sie ohne jede Einschränkung, andere hingegen gar nicht. Fragen, ob durch das Zeigen von Terrorbildern in den öffentlichen Medien eine Mittäterschaft besteht, werden immer lauter. Wie auch die Frage, ob zivile Aufnahmen von Terrorszenen nicht ebenso eine Mittäterschaft darstellen. Was passiert mit uns, wenn wir Terrorinszenierungen des IS betrachten? Die Grenzen zwischen beteiligt sein oder nicht scheinen zu verschwimmen, wie auch die Grenzziehung der realen und virtuellen Welt.

Der Nachmittag war dem zweiten Panel Nichts als die Wahrheit gewidmet. Emma Daly zeigte als Leiterin der Kommunikation von Human Rights Watch (HRW) ihre Antworten auf die zentrale Frage, wie fotografische Zeugnisse als Beweismaterial im Kampf um Menschenrechte eingesetzt werden. Dabei ist der Faktor Glaubhaftigkeit gerade für eine unabhängige Organisation wie HRW elementar. Anhand von Beispielen wie dem Whistleblower Caesar wurde deutlich, wie schwierig es ist, eine gute visuelle Geschichte zu erzählen, wenn zum einen kein Zugang für weitere Journalisten besteht und zum anderen der Druck besteht, Aufmerksamkeit zu generieren, um das Thema politisch relevant werden zu lassen. Als Lösung setzt HRW auf einen vielschichtigen Verifikationsprozess, ähnlich einer Ermittlung, um dem Wahrheitsgehalt der Bilder und Quellen nachzugehen.

Nachgehend sprach Ursula Frohne als Kunsthistorikerin über das Zusammenspiel von ikonischem Bildstatus und dem Eindruck von Gewissheit anhand von Harun Farockis Serious Games. Farocki deckt dabei auf, wie fiktionale Szenarien aus Computerspielen sowohl für das Training von US-Soldaten vor ihrem Einsatz im Kriegsgebiet als auch in der psychologischen Behandlung derjenigen Soldaten, die im Nachgang des Krieges unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, eingesetzt werden. Der Fotograf und Autor Michael Ebert beschäftigte sich mit den Fehlinformationen, die die Rezeptionsgeschichte des bekannten Vietnamkriegsfotos napalmverbrannter Kinder von Nick Ut durchziehen.

Stephen Mayes, der Geschäftsführer vom Tim Hetherington Trust fragte, was digitale Prozesse mit der Wahrheit des Bildes machen. Während zumeist von der historischen Fotografie ausgegangen wird, plädierte er dafür, dass digitale Bild eben nicht in dasselbe konzeptuelle Umfeld einzupassen, das uns geholfen hat, ein analoges Bild zu verstehen. Fakten und Wahrheiten seien im Bild keine Einheit. Überall wo ein Bildschirm ist, existieren Bilder – sie wechseln den Kontext, sie bewegen und verändern sich im digitalen Raum und dienen der Kommunikation. So geht es nicht mehr darum, welchen Anforderungen ein Bild etwa formal entspricht, sondern darum, dass diese Bilder einem kommunikativen Akt zwischen Personen dienen. Dies, so forderte Mayes, brauche ein verändertes System und ein neues Bildverständnis für das wir bisher keine „Sprache“ gefunden haben.

Sichtbar unsichtbar sind die Bilder, manchmal aber auch die Konflikte, denen sich die Fotografen des dritten Panels widmeten. Christoph Bangert (Köln) wagte mit War Porn das Experiment, seine Selbstzensur auszuschalten und uns mit Bildern zu konfrontieren, die unsere Sehgewohnheiten trotz aller verbreiteten Gräuelbilder herausfordern. Er sprach auch über die Schwierigkeiten, den Krieg und die damit verbundenen Erfahrungen in den Zeitschriften adäquat sichtbar zu machen. Alleine das Erfahrungsgefälle, das weder Bildredakteure Kriege aktiv erlebt haben, führe zu einer verschobenen Bilderwelt.

Der Magnum-Fotograf Donovan Wylie sprach in einer sehr persönlichen Darstellung über seine Auseinandersetzung Fotograf zu sein, dieses Medium nutzen zu wollen und zu müssen und stellte dies am Prozess seiner Arbeit zu militärischen Architekturen in Konfliktlandschaften dar. Und Adam Broomberg, Teil des Künstlerduos Broomberg & Chanarin, warnte davor, Bilder singulär zu betrachten. In seiner szenischen Videoinstallation schaffte er es zugleich emotional und abstrahierend den Zuschauer mitzunehmen. Prof. Dr. Karen Fromm (Hochschule Hannover) nahm eine theoretische Einordnung der Mechanismen von Exklusion und Visualisierung im Fotojournalismus vor.

Als Keynote-Speaker stellte Santiago Lyon seine Arbeit für Bildagenturen (zuletzt: AP; New York) und deren Praxis der Selektion von Fotografien für die redaktionelle Verwertung vor. Die Moderation übernahm auch hier der mehrfach preisgekrönte Fotograf Dr. Paul Lowe vom London College of Communication.

Podiumsdiskussion, Foto: Christopher Enke/ HS Hannover

How to Make Images Matter – Das abschließende Panel vereinte unterschiedliche Annäherungen an die Frage nach der Wirksamkeit von Bildern. Der Autor Dirk Gieselmann (Berlin) und der Fotograf Armin Smailovic (München, Sarajevo) haben auf ihrer gemeinsamen Reise durch Deutschland einen Atlas der Angst erstellt. Für sie fungieren Fotografien als ein Medium neben anderen, um die komplexen Ergebnisse ihrer Recherche zu vermitteln. Dr. Vera Brandner betrachtete die Fotografie als Aktions-, Dialog- und Reflexionsform, deren Wirkung für das Arbeiten mit Menschen in Situationen kultureller Differenz nutzbar gemacht wird. Das zentrale Thema, Nutzbarmachung und Nützlichkeit von Bildern, fokussierte auch Prof. Dr. Rolf F. Nohr (Institut für Medienforschung, Hochschule für Bildende Künste Braunschweig). Mit dem Ansatz der kritischen Diskursanalyse blickt er auf Fluchtbilder und aktuelle populistische Bildstrategien.

Die Fragen kreisen letztlich immer wieder um das Kernproblem, die Hauptaufgabe von Fotojournalist/-innen: Wie können Bilder wahrhaftig berichten und dabei eine Wirkung entfalten, die berührt, ohne zu manipulieren? Hier ist die Diskussion mit Sicherheit noch nicht zu Ende, aber ein beeindruckender wie vielfältiger Auftakt wurde in Hannover gemacht.

IMAGE MATTERS soll fotografische Diskurse vertiefen, Workshops und Symposien veranstalten sowie Publikationen erarbeiten, die sich an Studierende und an ein professionelles Fachpublikum aus Praxis, Theorie und Forschung richten.

Das Team besteht aus Prof. Dr. Karen Fromm und den beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Sophia Greiff und Anna Stemmler. Alle drei sind derzeit im Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ der Hochschule Hannover an der Fakultät III – Medien, Information und Design in Lehre und Forschung tätig.

Beitragsbild: Armin Smailovic, Atlas der Angst, 2017.
Beitragstext von: Anna Digovec und Miriam Zlobinski