Ohren auf, hier kommen Bilder

Die Stipendiatinnen im Programm „Museumskurator/innen für Fotografie„, unter ihnen auch Svenja Paulsen als Absolventin der Bildredaktionsklasse 2012/13, gehen neue Wege mit ihrem Podcast-Experiment über Fotografie.

Symposium_WortBildTon Wo, wenn nicht in der Fotografie, ist das Sehen auf allen Ebenen grundlegend? Wir sehen etwas, bevor wir auf den Auslöser drücken, wir komponieren Bilder nach ästhetischen Richtlinien, wir betrachten Bilder in unterschiedlichen Kontexten. Heute begegnet uns Fotografie überall: als Print, im Web, auf Plakaten, sogar in Apps. Dabei steht die Fotografie im ständigen Dialog zum technischen Wandel. Originale, Vintage-Prints und signierte Bilder werden auf dem Kunstmarkt gehandelt. Andererseits begegnet uns eine beliebig scheinende Flut an Fotografien zur visuellen Kommunikation, etwa im Dienste der Werbung. So unübersichtlich die Verwendung und Lesarten erscheinen, so vielfältig ist unsere Arbeit mit dem Medium. Wir schreiben über Fotografie, reflektieren fotografische Arbeiten, konsumieren bewusst und unbewusst Bilder über Bilder.

Das Symposium in Dresden rief nun dazu auf, angesichts der Omnipräsenz der Fotografie neue Perspektiven einzunehmen und selber zu schaffen. Können wir Bilder hörbar machen? Oder ist das komplett widersinnig? Was ginge der Fotografie verloren und welchen Zugewinn gäbe es bei einer Interpretation vom Bild zum Ton?

Von Wissenschaftlern verschiedener geisteswissenschaftlicher Disziplinen und Künstlern, die mit Fotografie, Text und Ton arbeiten, wurde die Fotografie in zwei Diskussionsrunden auf ihre Hörbarkeit befragt.

Im ersten Panel ging Florian Arndtz (Medienwissenschaftler und Germanist) auf die Mediensystemik von Vilém Flusser ein und gab die Fragestellung in die Runde: „Was sagt uns ein Bild zusätzlich zu dem, was gesagt wird?“ Die darauf folgende These lautete: „Es gibt Gründe, warum ich ein Foto wähle und keinen Satz.“
Von diesem Einblick in die Philosophie des Sehens in Bezug auf die Fotografie leitete das Panel über zu Annette Vowinckel (Historikerin). Sie ging mit einem Hörbeispiel voran und nahm quellenkritisch das Verhältnis von Bild, Ton und Film auf, am Beispiel von Nik Úts berühmt gewordenem Pressebild aus dem Vietnam-Krieg. Während aber das Bild zu einer der sogenannten Ikonen wurde, geriet die Filmsequenz des Napalm-Angriffes in Vergessenheit. Das Bild friert hier eine langes Ereignis in einen Moment ein. Dadurch wird auch die Schwierigkeit deutlich für die historische Betrachtung, denn die Fotografie erhält ihren Sinn durch den überlieferten Kontext. Dieser wird wiederum sprachlich überliefert. Das vorgestellte Forschungsprojekt der Kunsthistorikerin Bärbel Küster widmet sich einem dieser Aspekte, der zeitgenössischen Fotografie und Oral History in Bamako und Dakar. Anhand dessen führte sie aus, wie grundlegend das Fotografieren einen Akt kommunikativer Performance darstellt. Die Bildaufnahme, etwa eines Porträts, ist eine sozial gestaltete Situation. Es besteht ein Einvernehmen zu dieser Aufnahme und eine Absprache zwischen allen Beteiligten. Darüber hinaus, knüpft dieser Vorgang an kulturelle, fotografische Vorbilder an. So stellte sie die Frage: „In welcher Nachbarschaft befinden sich Bilder zu imaginären Bildern?“ Katharina Serles (Literaturwissenschaftlerin) nahm die Inhalte der Vorträge nochmals auf und sprach über die An- und Abwesenheit von Bildern, während wir über sie sprechen. Wie relevant ist die Vorlage des eigentlichen Bildes? Am berühmten Beispiel der Mona Lisa zeigte sie exemplarisch, wie die Unsichtbarkeit des Originals in die Weiterverbreitung eines Klischees umschlagen kann. Die Bedeutung eines Bildes, so könnte es umgemünzt werden, liegt demnach in dem Akt, dass es besprochen wird. Eine Steilvorlage für weitere Podcast-Überlegungen.

Die Fotografie stellt die Welt stumm. Im Podcast schenken wir ihr unser Gehör.

Im zweiten Panel zeigten anhand von konkreten Beispielen Sven Johne und Andrzej Steinbach, wie sie künstlerisch an der Grenze von Fotografie, Text und Ton arbeiten.
Doris Gassert (Medienwissenschaftlerin und Kuratorin, Fotomuseum Winterthur / Universität Basel) dividierte die gegenseitige Störung von Bild- und Klangelementen auseinander. Wie sehr beeinflusst alleine die Sprecherstimme und Sprechhaltung die gehörte Bildrezeption? Wie wird Offenheit kreiert? Wie werden Assoziationsketten gebildet? Hier kamen die Aspekte der konkreten Umsetzung stärker in den Fokus und es wurde klar, dass es eine einfache Übersetzung vom Sehen ins Hören nicht geben kann.

Der anschließende Podcast-Workshop mit Emily Thomey (Kunsthistorikerin und freie Radioredakteurin, Berlin/Köln) forderte zum Umsetzen der gesammelten Ansätze und Ideen auf. Praktische Antworten mussten gefunden werden auf die theoretischen Fragen. In kleineren Gruppen wurden Konzepte erdacht und experimentell umgesetzt. Svenja Paulsen zog danach mit uns Bilanz.

OKS-lab: Welches Fazit habt Ihr von der Veranstaltung gezogen?

Svenja Paulsen: Dass es auf jeden Fall lohnenswert ist, weiter in Richtung eines Fotografie-Podcasts zu denken. Von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern kam die Rückmeldung, dass sie an einem solchen Format gerne beteiligt wären und durch unsere Veranstaltung Lust auf das Podcast-Machen bekommen haben.

OKS-lab: Wird es eine weitere Arbeit an dem Podcast-Experiment geben?

Svenja Paulsen: Wir haben auf jeden Fall vor, ein konkretes Podcast-Format zu entwickeln, der das Potenzial bietet, Fotografiegeschichte nahbar zu machen, Künstler-Interviews zu führen oder Ausstellungen zu reflektieren. Wie und wann das genau sein wird, steht allerdings noch nicht fest. Es bleibt also spannend.

OKS-lab: Welcher Punkt hat dich persönlich an dem Podcast-Experiment gereizt? Was ist/war die größte Herausforderung?

Svenja Paulsen: Ich höre selbst gerne Podcasts und habe mich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Sabrina und Linda gefragt, was ein Podcast der Fotografie hinzufügen und wie er unsere Arbeit als angehende Museumskuratorinnen bereichern könnte. Die größte Herausforderung bleibt sicherlich, den Bildern das Visuelle zu entziehen und eine Form der Hörbarkeit zu entwickeln, die nicht zu didaktisch und nicht zu abstrakt ist. Außerdem kam während des Symposiums und Workshops immer wieder die Frage auf, was denn nun das Spezielle an einem Podcast zur Fotografie (im Vergleich zu anderen Bildformen) sei. Ich denke, dass es zunächst leicht erscheint, über Fotografien zu sprechen, schließlich sind wir alle täglich mit fotografischen Bildern konfrontiert und blicken leicht durch sie hindurch direkt auf den (vermeintlichen) Bildinhalt. Diesen direkten Zugang haben wir bei anderen Bildmedien nicht.

OKS-lab: Wie hat die Ostkreuzschule deine Herangehensweise an Fotografie beeinflusst?

Svenja Paulsen: Das Bildredaktionsprogramm an der Ostkreuzschule hat großen Wert darauf gelegt, differenziert über fotografische Bilder zu sprechen. Ein schönes Bild gibt es nicht, oder falls man doch auf dem Adjektiv „schön“ beharren möchte, sollte man zumindest begründen können, woher dieser Eindruck von Schönheit kommt. Aus vielen Bildern auszuwählen, starke Einzelbilder herauszustellen, aber auch in Sequenzen und Abfolgen eine Dramaturgie zu entwickeln, die zu der jeweiligen Publikationsform passt, habe ich dort gelernt. Es geht also darum, ein Ordnungssystem zu finden.

OKS-lab: Würdest du Parallelen ziehen zwischen deiner jetzigen Tätigkeit als Kuratorin und den Aufgaben einer Bildredakteurin?

Svenja Paulsen: Gezielt zu recherchieren, mit Fotografinnen und Fotografen zu arbeiten und aus vielen Bildern eine Auswahl zu treffen, die in einem bestimmten Narrativ aufgeht, ist in der bildredaktionellen als auch in der kuratorischen Arbeit wichtig. Der größte Unterschied ist natürlich, dass man in der Bildredaktion vor allem mit Reproduktionen arbeitet, im Museum jedoch mit Originalen, wodurch der Werkcharakter und die Materialität der Bilder stärker im Zentrum stehen. Außerdem denkt man in der Bildredaktion in einer Abfolge von Seiten oder Klicks, während die kuratorische Arbeit immer auch darin besteht, den dreidimensionalen Raum einzubeziehen und Bilder als Objekte zu verstehen.

Veranstaltung: Vom Bild Zum Wort Zum Ton. Fotografie hören, ein Podcast-Experiment am 2. Juli 2016
Ort: Albertinum, Staatliche Kunstsammlung Dresden
Konzept, Organisation und Moderation: Linda Conze, Sabrina Mandanici, Svenja Paulsen
(Ermöglicht durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung)

Svenja Paulsen, studierte Sozialwissenschaften und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und schloss an der Universität Düsseldorf das Studium der Medienkulturanalyse mit einer Masterarbeit über die Sichtbarmachung des Selbst in der aktuellen Fotografie ab. Sie absolvierte 2012/13 das Bildredaktionsstudium unter der Leitung von Nadja Masri an der Ostkreuzschule für Fotografie.