Nahaufnahme

In der Rubrik Nahaufnahme sprechen Fotografen/-innen und Dozenten/-innen der Ostkreuzschule über Bilder, die ihnen besonders am Herzen liegen. Diesmal haben wir den Fotografen und OKS-Studenten Miguel Brusch gebeten, uns Durch die Nacht zu führen – womit wir einen Einblick in die Entstehung seines Fotos bekommen.

„Ich habe schon immer gern in der Nacht fotografiert. Die Dunkelheit lässt mich die Dinge auf eine andere Art sehen. Die Stille, die reduzierten Farben und Formen und das teils Ungewisse, Mysteriöse schärfen die Sinne und die Konzentration.

Durch die Nacht Foto: Miguel Brusch

Durch die Nacht, Foto: Miguel Brusch

Im ersten Semester der Basisklasse gab Linn Schröder uns die Aufgabe, eine Landschaftsserie zu fotografieren: analog, schwarz-weiß und im Hochformat. Landschaften im Hochformat zu fotografieren klingt erstmal ungewöhnlich. Mit dem Genre verbindet man allgemein eher querformatige Bilder, die unseren Sehgewohnheiten entsprechen und die Weite betonen.

Die Aufgabe bot die Gelegenheit, aus alten Mustern auszubrechen und die Landschaft auf andere Art zu sehen. Mir kam die Idee, bei Nacht in die Natur zu gehen und mit Hilfe von künstlichem Licht die gefundenen Motive aus ihrer Umgebung herauszulösen, um einen konzentrierteren Blick zu ermöglichen – konzentriert wie bei einem Porträt. Ich entschied mich dazu, eine Taschenlampe als Lichtquelle einzusetzen und das Motiv bei langen Belichtungszeiten auszuleuchten. Also lieh ich mir dafür die russische Power-LED-Leuchte von meinem Freund Ole.

An freien Tagen war ich oft im Duvenstedter Brook, eine Moorlandschaft im Norden Hamburgs, unterwegs. Diesmal fuhr ich nachts dorthin. Und ich nahm nicht nur seine Taschenlampe, ich nahm auch Ole mit. Zum einen, weil ich einen Assistenten brauchte, der die Belichtungszeit im Auge behält, während ich den Drahtauslöser drücke und die Motive ausleuchte. Zum anderen, weil es verdammt angenehm ist, nachts im Moor nicht allein zu sein. Außerdem sind solche Aktionen genau sein Ding.

Ich holte ihn an einem Abend gegen 23 Uhr Uhr von der Arbeit ab und wir fuhren mit der U-Bahn zur Endstation. Es war Ende März, die Luft war 5 Grad kalt und viel zu feucht. Ich schleppte die Taschenlampe, mein Stativ, Filme, meine analoge Minolta mit dem 35mm-Objektiv und meine Digitalkamera. Ole trug das Essen, die Thermoskanne mit Kaffee und das Bier. Die erste U-Bahn sollte um 4.44 Uhr zurück in die Stadt fahren.

Wir gingen den direkten Weg durch das vorgelagerte Waldstück, vorbei an vereinzelten Landhäusern, zogen uns Plastiktüten über die Socken, schnürten unsere Schuhe und betraten die düstere Moorlandschaft. Ich machte einige Probeaufnahmen mit der Digitalkamera und kam, abhängig von Motiv und Entfernung, auf Belichtungszeiten zwischen 30 Sekunden und 2 Minuten.

Nach einer obskuren Begegnung mit einem Paar stechender Augen, das uns gefühlt minutenlang den Weg versperrte, begleitet von den Klängen der Dunkelheit, stießen wir auf eine weitläufige, mit Moorgras bewachsene Ebene. Darauf ein einzelner kräftiger Baum, der den Eindruck machte, als stünde er dort schon seit etlichen Jahrhunderten. Ein Baum mit Geschichte und Charakter. Ich stellte das Stativ auf und wir machten mehrere Aufnahmen mit unterschiedlichen Belichtungszeiten.

Die Bewegungsunschärfe in den Blättern und Zweigen, verursacht durch den zum Teil kräftigen Wind, lässt den Baum auf der Aufnahme lebendiger erscheinen und die mit unterschiedlicher Intensität angestrahlten Teile des Baums geben dem Motiv mehr Tiefe und eine plastischere Wirkung. Effekte, die mir erst später beim Printen richtig bewusst wurden.

Wir setzten unseren Weg fort, sahen Schatten in der Dunkelheit und hörten Geräusche, die vielleicht nicht da waren. Wir machten noch mehrere Aufnahmen, gingen schließlich nass und durchgefroren zur Station und betraten die aufgeheizte Bahn, die uns bei Brot und Bier zurück zu den vertrauten Lichtern und Klängen der Stadt bringen sollte.“

http://www.miguelbrusch.com/

Miguel Brusch, 1983 geboren, machte 2013 seinen Abschluss in Südasienstudien an der Universität Hamburg. Nach einer Auszeit in Montréal, Kanada, begann er 2015 die Ausbildung an der Ostkreuzschule für Fotografie. Er lebt und arbeitet als freier Journalist und Fotograf in Berlin.

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