Inside Photo Editing

Absolventen/-innen der Ostkreuzschule für Fotografie, die als Bildredakteur/-in bei einer Zeitung, einem Magazin, einer Bildagentur etc. arbeiten, geben einen Einblick in den Prozess von der Idee bis zur Veröffentlichung.

Ein Gespräch mit: Friederike Göckeler, Bildredakteurin des Rolling Stone.

Friederike Göckeler. Foto: Thomas Meyer

Friederike Göckeler. Foto: Thomas Meyer

Der Stone, wie viele Leser ihn nur ehrfürchtig nennen, gilt als eines der wichtigsten Magazine der Popkultur. Vom amerikanischen Markt kommend, wird seit 1994 monatlich eine eigene deutsche Ausgabe veröffentlicht. Hier verfolgt die Redaktion nicht nur Geschichten aus dem Musik-Journalismus, sondern auch Themen zu Literatur, Film und Politik. 

OKS-Lab: Die aktuelle Juni-Ausgabe widmet sich dem am 21. April 2016 verstorbenen Musiker Prince Rogers Nelson. Wie bringt man ein musikalisches Genie in ein covertaugliches Bild?

Rike: Das Cover der Juni-Ausgabe war eigentlich längst entschieden, als Prince plötzlich starb. Auf dem neuen Cover wollten wir ihn in der Hochphase seines kommerziellen Erfolgs zeigen. Richard Avedon, der bereits Teil der Tradition des Magazins war, hatte Prince in den 80ern mehrmals für den Stone fotografiert. Er war berühmt für seine opulenten Glamour-Fotografien für Vogue oder Harper’s Bazaar und gewann mit der RS-Sonder-Ausgabe The Family 1976 den National Magazine Award. Das Cover der jetzigen Ausgabe wurde im Dezember 1982 in New York produziert. Eigentlich ist es ein Bild von Prince, wie ihn jeder in Erinnerung hat. Ein Porträt, das den Erfolg von Purple Rain zwei Jahre später vorwegnimmt und die Regeln von Gender ignoriert. Interessant ist vielleicht auch, dass die Richard Avedon Foundation, die nach seinem Tod 2004 gegründet wurde, Bedingungen für die Veröffentlichung stellte. Darum verdecken jetzt weder Schrift noch andere Elemente die Fotografie. Im Innenteil gibt es ein Bild von Prince’ erstem Fotoshooting mit Robert Whitman. Da war er 19 Jahre und am Beginn seiner Karriere. Ein Porträt, das trotz glitzernder Pailletten auf nackter Brust eher an Jimi Hendrix erinnert als an den Prince, den wir kannten. Deshalb hat es Whitmans Fotografie auch nicht auf das Cover geschafft.

(v. l. nach r.) Rolling Stone Cover: Prince, Juni 2016, Foto: Richard Alvedon. US-Ausgabe, The Familiy, 1976, Typografie: Elizabeth Paul. US-Ausgabe, Prince, 1984, Foto: Richard Avedon

In der Ausgabe zu Miles Davis habt ihr auf bestehendes Material zurückgegriffen. Wie geht man mit „alten“ Bildern für aktuelle Anlässe um?

Heft Nr. 258 war meine erste Ausgabe. Sie handelt von toten Genies, britischem Pop und Mapplethorpe. Da wühlt man sich durch historisches Material, um die wichtigsten Eckpunkte eines Musikerlebens abzudecken. Natürlich hat man nicht immer die Möglichkeit, eine passende Strecke zu finden. Manchmal geht es dann auch gar nicht mehr um das „gute“ Bild, sondern wer mit wem, wann unterwegs war und ob genug Rock’n’Roll zu sehen ist. Der Anspruch an Exklusivität bleibt aber auch bei bestehendem Material erhalten, wie die Aufnahmen von Glen Craig 1970 in Gleason’s Gym zeigen, die kaum jemand zuvor gesehen hatte.

Miles Davis im Gleason’s Gym, 1970 New York. Fotos: Glen Craig , Aprilausgabe 2016.

April-Ausgabe 2016: Miles Davis im Gleason’s Gym, 1970 New York, Fotos: Glen Craig

Außerdem gibt es in jeder Ausgabe eine Doppelseite für popkulturelle Themen mit größtenteils historischem Material. In der vorletzten Ausgabe war es ein Bild aus dem Archiv des mittlerweile legendären Berliner Punkrock-Clubs SO 36. In der jetzigen Ausgabe ist es der 100. Geburtstag von Moondog, ein Komponist und Straßenmusiker, der als Jugendlicher beim Spiel mit Dynamit erblindete und so zu seiner musikalischen Passion fand. Der niederländische Magnum Fotograf Peter Martens, der mehrmals den World Press Photo Award gewann, begegnete ihm 1943 in seinem Wikingerkostüm an der 6th Avenue in New York. Hier geht es dann doch um das „gute“ Bild, aber auch um die Heftmischung. Denn wenn zu viele verstorbene Musiker für eine Ausgabe in Frage kommen, greifen wir lieber auf aktuelle Themen mit aktuellen Bildern zurück.

Louis Thomas Hardin (Moondog), 6th Avenue, New York, 1943. Foto: Peter Martens/ Niederländisches Fotomuseum, (Juniausgabe 2016).

Juni-Ausgabe 2016: Louis Thomas Hardin (Moondog), 6th Avenue, New York, 1943, Foto: Peter Martens/ Niederländisches Fotomuseum

Egal ob Starschnitt oder Bravoposter, fotografische Musikerdarstellungen spielen eine große Rolle in Zeitschriften und in der Außendarstellung der Künstler. Welche Rolle spielt Fotografie im Rolling Stone?

Der Rolling Stone wurde vor allem durch seine Titelbilder bekannt. Nacktfotos von John Lennon mit Yoko Ono 1970 und dem jungen David Cassidy 1972 wurden legendär. So legendär, dass sie in einer Zeit, in der Nacktheit noch als Protest galt, von Shel Silverstein besungen wurden. Ab 1971 setzte dann die Arbeit von Annie Leibovitz ästhetische Maßstäbe. Ihr erstes und eines der letzten Coverfotos machte sie von John Lennon. Das war am 8. Dezember 1980, bevor er in derselben Nacht erschossen wurde. Danach kamen Fotografen wie Herb Ritts, der den Look der 80er einfing und Stars wie David Bowie zu Ikonen der Zeit machte. Fotografie ist für die Entwicklung des Stones wahrscheinlich genauso wichtig, wie der Stone für die Entwicklung vieler Fotografen. Weil Printmedien mittlerweile nicht mehr den Einfluss haben wie früher, greift man heute auf bereits etablierte Fotografen zurück.

Cover_Jon Lennon

US-RS 22: John Lennon & Yoko Ono, 1968, Foto: John Lennon. US-RS 108: David Cassidy, 1972, Foto: Annie Leibovitz. US- RS 335: John Lennon & Yoko Ono, 1981, Foto: Annie Leibovitz

Einiges an Bildmaterial kommt über die PR-Abteilungen der Plattenlabels. Aufgrund welcher Kriterien werden im Rolling Stone Beiträge fotografisch umgesetzt?

Die Entscheidung für eine Fotoproduktion steht und fällt mit der Qualität des bereits vorhandenen Materials, seiner Exklusivität und der Heftmischung. Da wir im ersten und letzten Teil des Magazins viel mit Pressebildern arbeiten, machen wir uns einen durchgängigen fotografischen Stil nicht zum Ziel. Shootings werden nur für die großen Geschichten im Heft produziert. In der Mai-Ausgabe beauftragten wir z.B. Thomas Meyer von der Agentur Ostkreuz. Er fotografierte Max Gruber, einen jungen Musiker, der mit seiner Band Drangsal den Sound der 80er neu interpretiert und sich gerne mit Bildern der christlichen Ikonografie in Szene setzt. Das bestehende Material wurde bereits in vielen Medien genutzt und zeigt ihn oft vor neutralem Hintergrund in düsterer Ästhetik. Wir suchten aber einen Ort, der etwas anderes erzählt und sein Image durchbricht. Darum dachten wir, dass die Bildhauerwerkstatt von Arthur Hoferick in Weißensee mit den vielen hellen Gipsfiguren dieser Ort sein könnte. Das Ergebnis ist ein Bild mit viel Pathos, das seine Selbstinszenierung sogar noch verstärkt.

GE-RS 259: Max Gruber auf dem Eingangsportal des Berliner Schloss „Der Frühling“ in der Steinbildhauerwerkstatt von Andreas Hoferick, Berlin Weißensee, März 2016. Foto: Thomas Meyer.

Mai-Ausgabe 2016: Max Gruber auf dem Eingangsportal des Berliner Schloss Der Frühling in der Steinbildhauerwerkstatt von Andreas Hoferick, Berlin Weißensee, März 2016, Foto: Thomas Meyer

Gerade bei Bildern mit Werbeaspekten und bei Typographien gibt es immer wieder starke Trends, dann kann das Gefühl entstehen, dass alle Bands gleich aussehen, z.B. bestimmte Farbigkeiten nutzen. Gibt es aktuell visuelle Trends in Musikmagazinen?

In jüngeren Musik-Magazinen kann man beobachten, dass oft nach der alten Jürgen Teller und Terry Richardson Manier fotografiert wird, die einfach alles dreckig anblitzt: sehr direkt, hart und mit einer scheinbaren Leichtigkeit. Der Betrachter bekommt ein Gefühl des Authentischen. Es ist so, als ob wir mit dem Künstler selbst abhängen und ein Teil seines Alltags sind. Dabei schwingt immer eine gewisse Ironie und Provokation mit, vor allem in Bezug auf die herkömmlichen Konventionen der Fotografie. Diese Ästhetik könnte man als eine Art Trend bezeichnen, die aber inzwischen selbst schon zur Konvention geworden ist.

Wenn man Fotoprojekte über eine so lange Zeit hinweg verfolgt, sich damit auseinandersetzt und die Bilder durch alle Redaktionsprozesse bis zur fertigen Fotostrecke im Magazin begleitet – sehen die Fotostrecken dann noch so aus, wie man sich das zu Beginn ausgemalt hat?

Als Bildredakteurin steht man immer ein bisschen zwischen den Fronten. Was ich definitiv gelernt habe, ist dranzubleiben, wenn einem was wichtig ist, z.B. Fotografien als eigenständige Erzählung zu verstehen und sie nicht als Belegoptik dem Text unterzuordnen. 

Du hast selber Projekte als Fotografin umgesetzt, hilft dir das bei deinen aktuellen Aufgaben?

Es hilft, die ein oder andere Idee besser einzuschätzen und zwischen Vorstellung und eigentlicher Umsetzung zu vermitteln. Denn die Wirklichkeit ist meistens komplexer, als man vorher dachte. Das zeigt das Drangsal Shooting im Kleinen schon ganz gut, ist aber nicht zu vergleichen mit dem großen Aufwand an Planung, der bei dem Annie Leibovitz Shooting von 1978 betrieben wurde. Die Idee war es, eine riesengroße Wand aus Feuer hinter Patti Smith entstehen zu lassen. Das kerosingetränkte Netz hielt ganze fünf Sekunden, bis alles in Flammen aufging. Auf dem Bild ist davon kaum mehr was zu sehen. Solche aufwendigen Produktionen sind heute selten. Auch, dass der Fotograf gleich mehrere Tage mit den Künstlern verbringt, um an ein gutes Bild zu kommen. Heute hat man meistens nur 30 Minuten für ein Porträt. Deshalb versuche ich bei der Wahl des Fotografen darauf zu achten, dass beim Shooting irgendwie die Chemie stimmt.

Normalerweise fragt man Musikredakteure immer nach ihrem All-Time Favorite Hit. Als Bild- und Musikfan, welches Musikerporträt ist für dich dein persönlicher Hit?

Mein erstes Fotobuch war 1991 ein Flohmarktfund von Anton Corbijn mit dem Titel Allegro. Er kam meinen Helden ziemlich nah, zeigt sie aber nicht als Ikonen, sondern als Anti-Stars, die sogar manchmal außerhalb des Fokus stehen. Bei Corbijn bekommt der Raum so eine ganz eigene narrative Ebene im Gegensatz zu den neutralen Hintergründen von Avedon. Vor allem das Fragmentarische und Unfertige mag ich. Und das Bild von Michael Stipe, nackt auf dem Rand einer Hotel-Badewanne. Es erzählt von viel Intimität, Humor und Melancholie.

Vielen Dank für das Gespräch!

Friederike Göckeler studierte Medienwissenschaften, Literaturwissenschaften und Kunst an der Universität Potsdam. Sie arbeitete u.a. für das Geo-Magazin sowie den NDR. Anfang 2015 absolvierte sie die Bildredaktionsklasse unter der Leitung von Nadja Masri an der Ostkreuzschule für Fotografie. Im März 2016 übernahm sie die Bildredaktion des Rolling Stone und ist weiterhin als freie Fotografin tätig. 

Die aktuelle Ausgabe des Rolling Stone findet sich hier.