Nothing true at all

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es viel zitiert nach Hermann Hesse. Aber was kommt nach dem Anfang? Wie reflektiert ein Fotograf sein Medium nach über 35 Jahren der Auseinandersetzung? Der Titel Nothing true at all hat weder ein Fragezeichen noch ein Ausrufungszeichen, nicht einmal einen Punkt. Ludwig Rauch stellt diesen Satz in den Raum, genau wie seine neuen Bilder.

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Nothing true at all im Kunstraum Postdam, Foto: Uta Oettel

„Schaut euch erst mal um“, so begrüßte Ludwig Rauch die Bildredaktionsklasse 2016/17 in seiner neuen Ausstellung im Kunstraum Potsdam. „Und wenn ihr wollt, erzähle ich noch etwas über mich.“ Natürlich wollen wir, und bekommen einen Überblick und einen Einblick hinter die jetzt entstandene Ausstellung.

Denn zunächst sind wir verwirrt, stehen staunend vor den teils großformatigen Werken und überlegen. Was steckt alles in diesen Bildern? Wie sieht wohl das eigentliche Bild aus? Gibt es das überhaupt? Ludwig Rauch antwortet mit einem Lächeln: „Hier ist nichts digital generiert, alle Bildelemente und Strukturen sind real, aber nicht wirklich.“

Ludwig Rauch, Foto: Waldemar Salesski

Ludwig Rauch, Foto: Waldemar Salesski

Für den Fotografen, Künstler und Dozenten der Ostkreuzschule für Fotografie begann alles mit einem echten Bild von einem echten Wolf – selbst fotografiert. Er merkte schnell, mit Bildern eignen wir uns die Welt an und es braucht die richtige Technik, um diese Wünsche erfüllbar zu machen.

Mit diesen Feststellungen dreht sich Ludwig Rauchs Arbeit seitdem um ein großes Thema: Menschlicher Ausdruckswillen. Seine erste Auftragsarbeit, Bilder von verschwitzen Arbeitern der Brigade Karl Marx in heruntergekommenen Werkshallen, führten in der DDR zum direkten Publikationsverbot. Die Arbeit als Pressefotograf war daraufhin unmöglich, aber er merkt, „diese Macht haben Bilder“.

Er hält sich über Wasser, indem er Reproduktionen für Künstler anfertigt, und fängt im Zuge dessen an, Künstlerporträts zu machen. Im Laufe der Jahre werden es über 600 Künstlerporträts sein. Seine Fotografien werden aus der DDR heraus im Westen publiziert. Er sucht weiterhin nach der Sprache, die zum Vorschein bringt, was ihn berührt. Die Suche nach der Wahrhaftigkeit in den Bildern lässt ihn nicht los. Auch nach der Wende.

Er fotografiert Aufträge für alle großen Magazine und Zeitungen wie Stern, die Zeit, Tempo etc., ist in der ganzen Welt unterwegs und merkt neben der Euphorie an der Arbeit auch die Grenzen der Fotografie innerhalb des Magazin Journalismus. „Fotografien wurden zu oft ausgewählt nach dem, was die Redakteure sehen wollten, nicht nach dem, was der Fotograf dokumentieren wollte.“ Für Ludwig Rauch stellt sich das Resümee ein, „wenn ich es nicht mache, macht es der Nächste. Die wollten nicht Ludwig Rauch, die wollten ihre Vorstellungen belegt bekommen.“ Es ist das Gefühl eines Bildlieferanten und der Abdruck der wohl zu oft „falschen“ Bilder. Für uns Bildredakteure ein wichtiger Punkt in der Zusammenarbeit mit Fotograf/-innen: Inwieweit ist es an uns die Magazine offen zu halten für fotografische Standpunkte? Gibt es das richtige Bild? Was muss Fotografie leisten?

Zu Beginn der 90er Jahre arbeitete er im Auftrag verschiedener deutscher und internationaler Magazine an einer Fotoserie über Neonazis in Deutschland. Er stellt sie nicht abschreckend dar, zeigt auch die vorhandene Ästhetik als Versuch, den unerklärlichen Zulauf besser greifbar zu machen. Die Arbeit wird international rezipiert und erntet gleichzeitig viel Kritik. Er sagt, „es kam der Vorwurf, die Bilder seien zu schön, aber es war keine Option, diese Menschen wieder abartig darzustellen, das hätte keine neue Aussage gehabt.“

Eine aktuelle Thematik, wenn man an die Diskussionen um Bildaussage und Bildmanipulation bei den World Press Awards oder dem Fotografen Steve McCurry denkt. Ist ein Autor der Garant für Realität? Inwieweit finden sich der fotografische Standpunkt und die Erfahrungen des Autoren noch in den Magazinen? Die immer weiter differenzierte Magazin-Welt und der größer werdende Independent-Markt kommen in unser Gespräch hinein und natürlich die heute oft prekäre finanzielle Lage für Fotografen. Ludwig Rauch verließ damals den Journalismus und ging in die Kunst.

Teil der Ausstellung Nothing true at all, Werke von Ludwig Rauch

Teil der Ausstellung Nothing true at all, Werke von Ludwig Rauch, Foto: Uta Oettel

Zusammen mit dem Maler Ulrich Kubiak arbeitet er an einer Symbiose zwischen Fotografie und Malerei. Schicht für Schicht legen sie die Vorteile beider Medien in ihre Werke hinein. Nach zwölfjähriger Zusammenarbeit als Künstlerduo Kubiak&Rauch folgte für Ludwig Rauch eine neue Phase mit alten Fragen. Damit ist er nah bei Minor White, der „die Kamera eine metaphorische Maschine und die Fotografie eine Metapher“ nennt.
Wir stellen uns die Frage, ob der Kunstmarkt nicht auch strikten eigenen Regeln folgt. „Regeln bestehen und können gnadenlos sein, viele Sammler waren wütend, als wir aufhörten,“ berichtet er uns. Es entstehen eigene Fotoserien, die Strecke der Freundschaftsporträts gelangt in den Stern. Ein Schritt in die richtige Richtung? „Ich war glücklich und gleichzeitig habe ich gehadert mit dem Layout, den zusätzlichen Texten, dem erklärenden Rahmen.“ Diese Herausforderungen sieht er auch für seine Schüler/-innen, denen wohl die Frage droht, wie kommt die Reportage in eine App? Wie geht man mit diesen Fragen um?

Im Gespräch mit Ludwig Rauch in der Ausstellung Nothing true at all, Kunstraum Potsdam

Im Gespräch mit Ludwig Rauch in der Ausstellung Nothing true at all, Kunstraum Potsdam, Foto: Waldemar Salesski

Ludwig Rauch zeigt durch den Raum, „das letzte Jahr meiner Arbeit seht ihr hier.“ Viele verschiedene Zeitebenen, analoge und digitale Techniken, Bilder aus den gesamten 35 fotografischen Jahren stecken hier drin. Ein Teil des fotografischen Lebens lagert hier übereinander, verdeckt sich und man hat das Bedürfnis, wissen zu wollen, was dahinter liegt. Eigene Erfahrungen und Gedanken mischen sich in die Motive. Während es bei den Zeitschriften ein Kampf um die Bildauswahl war, folgen die Betrachter jetzt bereitwillig Ludwig Rauch. Fotografien wirken nicht nur, um das Offensichtliche zu begreifen. Bei Ludwig Rauch wirken sie vielmehr durch den Raum, den sie uns geben zum Reflektieren oder Fantasieren, indem sie Anknüpfungspunkte für eigene Geschichten geben. Sind sie damit „true“? Wir sind begeistert und fragen uns gleichzeitig weiter nach den Schlüsseln. Was hat es z. B. mit den Bildtiteln auf sich? „Die Bildtitel haben hier ein Eigenleben, finden kein Äquivalent auf Deutsch und eigentlich, sind sie wie ein zweites Werk“, so Ludwig Rauch. Sind es also wirkliche Momente in seinem Kopf oder reale Orte mit eigenen Assoziationen oder die Suche nach Ästhetik? Ludwig Rauch möchte nicht alle Geheimnisse preisgeben.

Die Fotografie, seine Herkunft soll und darf dabei nicht verleugnet werden, hebt er besonders hervor. Sie ist und bleibt die Basis und das Medium für seine Bilder. Die Einzelmotive bleiben jedoch verborgen. Damit sind Ludwig Rauchs Bilder im besten Sinne Fotografien wie Jules Janin, ein Zeitgenosse Daguerres, sie bereits in den Anfängen des Mediums beschrieb, „ein Spiegel, der alle Reflexe bewahrt.“

Ludwig Rauch, 1960 geboren, studiert zunächst Bildjournalismus an der Karl-Marx-Universität in Leipzig und später Fotografie an der HGB Leipzig. Im Januar 1989 geht er nach West-Berlin. Seit 1989 arbeitet er als freier Künstler und Fotograf. In den Jahren 1992 bis 2004 in künstlerischer Zusammenarbeit mit Ulrich Kubiak. Seit 2009 doziert Ludwig Rauch an der Ostkreuzschule.

Ausstellungsdauer: 30.04- 12.06.2016

Wo: Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse 4d, 14467 Potsdam, http://kunstraumpotsdam.de/

Zur Ausstellung ist ebenfalls ein Katalog erschienen.
Website Ludwig Rauch / Website Nothing true at all

Ein Beitrag von Miriam Zlobinski mit Fotografien von Uta Oettel und Waldemar Salesski.