Flucht ins Bild: „Niemand soll behaupten, er hätte nichts davon gewusst“

Mit diesem Satz greift der freie Fotograf Kai Löffelbein auf der Podiumsdiskussion „Flucht ins Bild“ vom Ostkreuz Verein für Fotografie das Thema Flucht und Migration auf, und bringt die damit einhergehende Problematik der medialen Darstellung auf den Punkt.

Oft müssen diese Menschen die ca. 55 Kilometer bis zum Camp laufen. Lesbos, Foto: Kai Löffelbein

Menschen auf dem Weg zum Flüchtlingscamp Moria, Lesbos. Foto: Kai Löffelbein

Knapp 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht: Vor Krieg, Not und politischen Verfolgung. Davon haben etwa 477.000 Schutzsuchende im letzten Jahr einen Antrag auf Asyl in Deutschland gestellt. Keine Frage: das Thema beherrscht derzeit alle Medienbereiche. Aber wie wird fotografisch darüber berichtet? Die zweite Podiumsdiskussion vom Ostkreuz Verein für Fotografie brachte das Thema auf die Bühne. In der Urban Spree Galerie saßen am vergangenen Freitag vier Fotografen/-innen, der GEO-Fotochef Lars Lindemann und der Spiegel-Journalist Georg Diez zusammen und diskutierten über die Darstellung von Migration in den Medien.

Podiumsdiskussion: Sean Gallup (Getty), Jörg Brüggemann (Ostkreuz), Kai Löffelbein (Freier Fotograf), Sibylle Fendt (Ostkreuz), Lars Lindemann (Fotochef GEO) und Georg Díez (DER SPIEGEL)

Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Sean Gallup (Cheffotograf für News Deutschland und Getty Images), Jörg Brüggeman (Ostkreuz), Kai Löffelbein (freier Fotograf), Sibylle Fendt (Ostkreuz), Lars Lindemann (GEO) und Georg Diez (Der Spiegel), Foto: Tobias Laukemper

Migration bildlich zu erfassen und medial darzustellen, stellt angesichts der Relevanz und Bedeutung des Themas eine Herausforderung für alle dar, die mit Bildern arbeiten. In jedem Schritt der Verwertung von Bildmaterial tragen Fotografen, Agenturen und Medien eine hohe Verantwortung: Bilder entstehen und verbreiten sich schnell, werden endgültig ausgewählt und veröffentlicht. Die Herangehensweise an die Thematik und die Geschichten sind sehr unterschiedlich. Ob es sich um einen Tageszeitungsauftrag, einen monatlichen Magazinbeitrag oder ein fotografisches Langzeitprojekt handelt, spielt eine große Rolle und wirkt sich maßgeblich auf die Erstellung und die Rezeption der Bilder aus.

Sean Gallup (Getty), Jörg Brüggemann (Ostkreuz) und Kai Löffelbein

Sean Gallup (Getty), Jörg Brüggemann (Ostkreuz) und Kai Löffelbein (freier Fotograf), Foto: Tobias Laukemper

Der Cheffotograf Sean Gallup der Bildagentur Getty Images hat seit dem Sommer 2015 beobachtet, wie sich das Thema Flucht als News-Thema im Tagesgeschäft der Agenturen entwickelt hat. Starke Motive werden oft von den Redaktionen angefragt und die Agentur liefert tagesaktuelle Bilder. Muss in diesem Fall vom Fotografen das Dramatische gesucht und gezeigt werden? Gallup betont in der Diskussion, dass der Fotograf mit seiner eigenen Einschätzung arbeiten sollte. Für ihn steckt das Wesentliche in einer sachlichen und fundierten Dokumentation des Themas, ohne dabei den menschlichen Aspekt aus den Augen zu verlieren. Gallup hat die Menschen beim Weg über die grüne Grenze begleitet und versucht, bei seinen tagesaktuellen Bildern den Respekt vor seinen Protagonisten zu wahren und zu vermitteln.

Die subjektive Sicht von Jörg Brüggemann unterscheidet sich stark von der Herangehensweise einer klassischen Nachrichtenagentur wie Getty Images. Brüggemann wurde vom SZ-Magazin gebucht, um eine fotografische Serie zum Thema Migration zu erstellen. Um die ankommenden Flüchtlingsboote zu fotografieren, reiste er auf die griechische Insel Kos. Er sagt, dass er sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort machen möchte, bevor er ein Bild produziert – eine Strategie, die Bilder, die im eigenen Kopf existieren, zu hinterfragen und mit der Realität abzugleichen.

Tourists vs. Refugees, Foto: Jörg Brüggemann

Tourists vs. Refugees, Foto: Jörg Brüggemann

Brüggemann bezieht den Kontext der Geschehnisse in seine Arbeit mit ein. Er zeigt die Geflüchteten in den Begleitumständen ihrer Ankunft. Die Ankommenden im Boot sind gemeinsam mit den anwesenden Medienvertretern und den angereisten Touristen zu sehen, die auf Kos Urlaub machen. Die Dramatik der Gleichzeitigkeit zeigt, wie sich Ursache und Wirkung, Ereignis und Kontext nicht mehr voneinander trennen lassen, sondern zeitlich zusammenfallen – ganz postmodern, fast demokratisch, existieren sie einfach nebeneinander und vermischen sich. Brüggemann gibt so den Blick frei auf ein größeres Ganzes, ein System, welches in seiner Zynik nicht vor dem Leid Einzelner Halt macht, sondern Zusammenhänge, die sich gegenseitig bedingen, nebeneinander stellt, miteinander verkettet und interagieren lässt. So entsteht eine fotografische Serie, die die subjektive Sichtweise Brüggemanns mit einer gesamtgesellschaftlichen Problemstellung verbindet.

Die persönliche Arbeitsweise des Fotografen und der Produktionszeitraum sind sehr wichtig, um eine Geschichte mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz zu erzählen. Lars Lindemann, seit 2015 Fotochef des monatlich erscheinenden Magazins GEO, gibt in der Podiumsdiskussion einen Einblick in die redaktionellen Überlegungen zum Thema. „Wir sind ein langsames Medium und arbeiten gern mit Fotografen zusammen an Langzeitprojekten, denn wir können gar nicht auf die aktuellen Situationen angemessen reagieren“, sagt Lindemann. Als Beispiel zeigt er die Reportagen von Olivier Jobard, die 2005 und 2014 im Magazin veröffentlicht wurden. Der französische Fotograf begleitete über einen längeren Zeitraum Menschen, die auf der Flucht waren.

Kai Löffelbein (Freier Fotograf), Sibylle Fendt (Ostkreuz), Lars Lindemann (Fotochef GEO) und Georg Díez (DER SPIEGEL)

Kai Löffelbein (freier Fotograf), Sibylle Fendt (Ostkreuz), Lars Lindemann (GEO) und Georg Díez (DER SPIEGEL), Foto: Tobias Laukemper

GEO 5/2014

GEO 5/2014, Foto: Olivier Jobard

Die Berichterstattung umfasst viele verschiedene Aspekte: die Flucht als traumatisches Ereignis, die Menschen, das Ankommen und das Leben nach dem Ankommen. Momentan arbeitet GEO weiter mit dem Genre der Langzeitdokumentation, setzt aber den Fokus mehr auf die lokalen Umstände und zeigt, wie beispielsweise hier in Deutschland mit der Situation umgegangen wird.

Diesen Ansatz verfolgt auch die Fotografin Sibylle Fendt (Ostkreuz), und fotografiert seit 2011 in ihrer Arbeit „Sehr geehrte Frau K.“ hauptsächlich den Verwaltungsakt der Ankunft in Deutschland. Eine ungewöhnliche Herangehensweise für Fendt, die sich als Porträt-Fotografin versteht. Sie mischt architektonische Aufnahmen der Amtsstuben und Aktenarchive mit Porträts und Bildern der Übergangslager, und analysiert so die dem Thema innewohnende Mechanik der Verwaltung und Ordnung. Stand Fendt zunächst vor dem Problem, Porträts von Menschen zu machen, deren (Flucht-) Geschichte sie nicht kannte, so fand sie für sich einen Ansatz, der es ihr ermöglichte, konzeptionell an das Thema heranzugehenDie entstandenen Bilder zeigen die lokale Situation nach der Ankunft in Deutschland, sie beschreiben die erneute bürokratische Reise nach der vollzogenen Flucht.

"Sehr geehrte Frau K." - Foto: Sibylle Fendt

Sehr geehrte Frau K., Foto: Sybille Fendt

Als Forum für eine Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen fotografischen Diskurs hat der Ostkreuz Verein für Fotografie eingeladen, sich über die Darstellung von Migration in den Medien auszutauschen. Unterschiedliche und außergewöhnliche fotografische Arbeitsweisen wurden aufgezeigt, um so auf mögliche Konfliktpunkte aufmerksam zu machen. Dennoch war der Austausch sehr in der Beschreibung der Herangehensweise der einzelnen Teilnehmer/-innen verhaftet und drang nur ansatzweise in einen analytischen Diskurs der Gesamtsituation vor.

„Ist die Flüchtlingskrise auch am Ende eine Krise der Bilder bzw. Medien mit ihrem Bedürfnis nach Verkürzung und Emotionalisierung?“, fragte der Moderator Georg Diez am Ende der Diskussion. Wir fragen uns: Welchen Einfluss hat unsere eigene westliche Prägung auf die Bilder, die wir erstellen und auf die Rezeption der Bilder, die wir sehen? Befinden wir uns auf Augenhöhe mit den Menschen, die dargestellt werden? Zeigen wir sie zu oft in der Schwäche und in der Not? Menschen auf der Flucht fügen sich nicht in ihr Schicksal, sie nehmen es in die Hand und brechen auf. Diesen Mut wertzuschätzen und als Bereicherung der eigenen fotografischen Position zu verstehen, Menschen auf der Flucht mit offenen Armen zu empfangen, dafür fehlt uns der öffentlich gesellschaftliche Diskurs – es herrscht politische Sprachlosigkeit.

Der Gedankenaustausch mit dem Titel „Flucht ins Bild“ war eine notwendige Anregung. Mit dieser Podiumsdiskussion als Ausgangspunkt sollte jetzt im öffentlichen Raum weiter darüber diskutiert werden.

Wer bei der Diskussion nicht dabei sein konnte, hat die Gelegenheit, sich die Veranstaltung als Video anzusehen.

Der Ostkreuz Verein für Fotografie wurde von den Fotografen der Agentur Ostkreuz initiiert und engagiert sich für die Sichtbarmachung von künstlerischer und dokumentarischer Fotografie.

Ein Beitrag von Tobias Laukemper und Cale Garrido.