OKS-lab fragt…

In der Serie «OKS-lab fragt … » beantworten Dozenten, Fotografen, Macher und Absolventen der Ostkreuzschule Fragen zu ihrer Arbeit, ihrer Beziehung zur Fotografie, zur Lebensart.

Was sind das für Menschen, die alles aufgeben, ihr Leben riskieren, um aus Kriegsgebieten zu fliehen und in Deutschland ankommen? 

Timo Stammberger portraitiert in seinem Fotoprojekt Humans of LaGeSo Menschen auf der Flucht, die vor dem LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in Berlin Moabit jeden Tag zu Hunderten oft unter dramatischen Umständen auf einen Erstaufnahmeantrag auf Asyl warten. Mit seinem Projekt möchte der Fotograf auf die Zustände vor Ort aufmerksam machen und den Neuankömmlingen eine Stimme geben. Auf seinem Fotoblog  kann man sich mittlerweile zahlreiche Portraits und Interviews ansehen.

Ein Gespräch mit:

Timo Stammberger, Fotograf

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Timo Stammberger, Foto: Ria Rehberg

 

Was hat dich dazu bewogen das Projekt Humans of LaGeSo zu starten? Und was willst du mit deinem Projekt erreichen bzw. bewirken?

Das Projekt als solches war eigentlich überhaupt nicht geplant. Als sich die Situation in Berlin für Geflüchtete aus anderen Ländern verschärfte, habe ich angefangen auf dem LaGeSo Gelände ehrenamtlich mitzuhelfen; Essen und Kleidungsstücke auszuteilen, Fragen der Ankommenden zu beantworten oder einfach für die Menschen da zu sein. Langfristig wird sich durch meinen bescheidenen Einsatz vor Ort die Lage für die erschöpften Reisenden jedoch nicht ändern. Mir kam der Gedanke, dass ich durch meine Tätigkeit als Fotograf die Möglichkeit habe, anhand von persönlichen Geschichten und Schicksalen die Zustände an die Öffentlichkeit zu bringen. Dass ich anderen Menschen zeigen kann, was sich hier direkt vor unserer Haustür für Dramen abspielen. Durch die persönlichen, individuellen Geschichten hoffe ich, den Menschen, die oft nur auf ihre temporäre Rolle als „Flüchtling“ reduziert werden, wieder Menschlichkeit und eine Stimme zu geben. Sie sind Menschen wie du und ich, die sich ein friedliches und sicheres Leben bei uns erhoffen.

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Hanade und Riham, Schwestern aus Syrien

Wie bist du auf die dramatischen Zustände im LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) aufmerksam geworden?

Ich habe über Berichte in den sozialen Medien davon erfahren. Dazu wohne ich nicht weit vom LaGeSo Gelände entfernt und dann kam eins zum anderen.

Hast du dich bereits vor Humans of LaGeSo über die Initiative Moabit Hilft ehrenamtlich vor Ort eingesetzt?

Ich hatte bereits einige Wochen als Freiwilliger am LaGeSo geholfen. Die Situation dort hat mich entsetzt und sehr bewegt. Mitten in Berlin, nur wenige Strassen von meiner Wohnung entfernt, herrschte schieres Chaos. Hochschwangere bekamen keine ärztliche Versorgung, ein Mann versuchte sich aus Verzweiflung das Leben zu nehmen. Das war der Moment, in dem ich mich entschied, die Zustände vor Ort fotografisch zu dokumentieren und mitzuhelfen, die Geschichten der Geflüchteten ins öffentliche Licht zu rücken.

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Geschwister Hagos und Miheret aus Eritrea

 

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Ahmed mit seiner Tochter Yuna aus Syrien

Wie reagieren die Menschen, wenn du ihnen erzählst, dass du sie gern portraitieren möchtest?

Die meisten freuen sich, dass sich jemand für ihre Geschichte interessiert. Ich habe das Gefühl, dass es ihnen guttut, über Erlebtes zu sprechen. Diese Menschen sind oftmals durch die Hölle gegangen. Sie haben Dinge erlebt, die wir uns nicht einmal vorstellen wollen. Und manche haben niemanden, mit dem sie darüber sprechen können.

Bei deinem Projekt werden ebenso Interviews geführt. Welche Fragen stellst du den Menschen? Und in welcher Sprache führst du die Interviews – hast du einen Dolmetscher dabei?

Meine Gespräche mit ihnen sind relativ ausführlich und ich nehme mir dafür wirklich Zeit. Anfangs frage ich sie, wie es ihnen aktuell geht. Danach wo sie herkommen, wie sie früher gelebt haben, wie die Flucht war, wie ihre Situation am LaGeSo ist und was sie für eine Vorstellung von ihrer Zukunft haben. Je nach Person entwickelt sich dann ein Schwerpunkt. Natürlich muss man bei den vielen traumatischen Erlebnissen auch vorsichtig sein und ein Gefühl dafür entwickeln, wie weit man gehen möchte und ob sich die Person noch wohl fühlt. Eigentlich genauso wie der Prozess des Fotografierens danach. Viele Menschen haben auch Angst, sich vor der Kamera zu zeigen – Angst vor Verfolgung oder dass ihre Familien in der Heimat in Gefahr gebracht werden. Es ist mir sehr wichtig, dass dies nicht der Fall ist und ich habe nur fotografiert, wenn die Person keine Bedenken hat. Zu Beginn des Projekts habe ich Fadi kennengelernt und er unterstützt mich als Übersetzer. Er ist selbst vor einem Jahr aus Syrien geflohen und hat sehr schnell deutsch gelernt.

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Daryosh aus Afghanistan mit seiner Mutter und seinem Bruder

Hast du bei den Interviews eine Geschichte gehört, die dich besonders berührt hat?

Alle Geschichten enthalten sehr bewegende Momente. Der Fakt, dass Menschen alles zurücklassen – ihre Heimat, Freunde und Familie – in der Hoffnung auf eine sichere Zukunft, ist für mich sehr bewegend. Was alle Menschen, die ich fotografiert habe, verbindet, ist dieser tiefe Wunsch nach Sicherheit und Ruhe. Viele haben Tränen in den Augen, wenn sie mir von diesem Wunsch erzählen. In diesen Situationen konnte ich selbst viel lernen.

Mehr Fotografien und die Interviews mit den Porträtierten gibt es auf Timo Stammbergers Blog Humans of LaGeSo zu sehen.

Timo Stammberger 1980 geboren, aufgewachsen in Hamburg studierte Fotografie an der Ostkreuzschule für Fotografie. In seinen zahlreichen fotografischen Projekten beschäftigt er sich mit sozialpolitischen Themen. Seine Arbeiten wurden in verschiedenen Gruppenausstellungen und zahlreichen Medien veröffentlicht. Zu seinen Kunden gehören unter anderem Metropolis Magazine, Greenpeace Magazin, Spiegel Online und Süddeutsche Zeitung Magazin. Er lebt und arbeitet in Berlin.

www.timostammberger.com

Beitragsbild: Ria Rehberg