Afghanistan – Vertrautes fremdes Land

Der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus und die Gesellschaft für Humanistische Fotografie (GfHF) zeigen derzeit unter dem Namen Beloved Afghanistan eine Ausstellung zum Andenken der im April 2014 in der ostafghanischen Provinz Chos erschossenen Fotografin Anja Niedringhaus. Ergänzend setzt sich die Multimedia-Produktion Die Unbeugsamen, der in Kabul geborenen, deutschen Journalistin Lela Ahmadzai mit dem Land und der gesellschaftlichen Stellung der Frau auseinander.

Obit Anja Niedringhaus Photo Gallery

Afghanistan, Mai 2013. Ein afghanischer Soldat bemannt einen Checkpoint am Stadtrand von Maidan Shahr, Foto: Anja Niedringhaus/AP/picture alliance

Anja Niedringhaus gilt als eine Botschafterin des Friedens, der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe. Ein bekannt gewordenes Bekenntnis, das sie 2005 in ihrer Dankesrede für den IWMF-Preis für Mut in Washington äußerte, lautet: ,,Ich hätte mich die meiste Zeit von Gefahren fernhalten können, aber ich habe mich immer zu Menschen in schwierigen Situationen hingezogen gefühlt.“ Im selben Jahr wurde ihr als erste deutsche Frau der Pulitzer-Preis für ihre fotografische Berichterstattung im Irak verliehen.

Die aus Höxter stammende Niedringhaus hielt sich über 20 Jahre lang an den Krisenherden der Welt auf, machmal ,,embedded“, beispielsweise innerhalb der US-Armee beim Kampf um das irakische Falludscha, bevorzugt aber ohne das Risiko einer Kontrolle durch Truppen. Viel wichtiger, als die allzu offensichtlichen Kämpfe an der Frontlinie abzubilden, war ihr von den Schicksalen der Menschen in deren Lebensalltag zu erzählen. Die Spuren des Kriegs schwingen in ihren Bildern auf subtile Weise mit, verbunden mit einer Fähigkeit, das Besondere einzufangen und schnell den richtigen Ausschnitt dessen zu finden.

Eine besondere Liebe verband Niedringhaus mit Afghanistan. Sie war fasziniert von der Offenheit, mit der man ihr in dem tief religiösen Land begegnete. Beloved Afghanistan zeigt nun eine Auswahl an Fotografien, die das Augenmerk auf die Position der Frauen und Kinder legt. Auch hier wird deutlich, dass es Niedringhaus ein Anliegen war, das Lachen und Leben abseits des Krieges zu finden: das Recht der Mädchen auf Bildung, das Recht der Kinder, Drachen in die Luft steigen zu lassen, das Recht der Frauen, wählen zu gehen.

Foto: Anja Niedringhaus/AP/picture alliance

Afghanistan, September 2008. Ein afghanisches Mädchen liest vor ihrer Klasse in der High School Ayeshe Sedeqa im Zentrum von Kunduz, im Norden Afghanistans, Foto: Anja Niedringhaus/AP/picture alliance

Ein Kurzfilm über Niedringhaus vertieft ihre fotografische und ethische Position, sucht nach Antworten: Wie ist es auszuhalten, sich den Krieg permanent aufs Neue vor Augen zu führen? Auf die Frage des Redakteurs, warum sie so etwas mache, reagiert Niedringhaus in dem Film irritiert, fast sprachlos, es ist eine Selbstverständlichkeit für sie. Zum Ausgleich fotografiert sie auf Sportevents und lebt abgeschieden im idyllischen Landhaus ihrer Eltern. Immer wieder zieht es sie nach Afghanistan zurück, zuletzt um dort über die anstehenden Präsidentschaftswahlen zu berichten. Einen Tag vor der Wahl, am 4. April 2014, wird Anja Niedringhaus mit 48 Jahren neben ihrer kanadischen AP-Kollegin, der Journalistin Kathy Gannon in einem Wahlkonvoi erschossen. Ihrem Engagement und ihrer Tapferkeit zu Ehren, wird seit 2014 der Anja-Niedringhaus-Preis an Fotojournalistinnen vergeben.

Die parallel zu Beloved Afhanistan laufende Ausstellung der Multimedia-Journalistin Lela Ahmadzai dokumentiert eindrücklich das Schicksal vierer Frauen in Afghanistan: mit Hilfe von Fotografien und Kurzfilmen porträtiert sie eine Parlamentsabgeordnete, eine einfache Bäckerin, eine Polizistin sowie eine Sängerin. Sie alle balancieren auf dem schmalen Grat zwischen traditioneller Rollenzuweisung und selbstbestimmtem Leben. Nicht nur der Ausstellungstitel Die Unbeugsamen macht deutlich, wie stark und furchtlos eine afghanische Frau sein muss, um in diesem Land nach ihrem Willen zu leben.
Ahmadzai, selbst gebürtige Afghanin, beschäftigt sich seit langem mit der Frage, was es heißt, als Frau in solch einem, von Männern beherrschten, Land zu leben. Für ihr Multimedia-Stück Stille Nacht wurde sie 2014 mit dem 2. Platz beim World-Press-Photo-Award ausgezeichnet.

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Aus dem Multimedia-Stück Die Unbeugsamen, Foto: Lela Ahmadzai

Die Ausstellung von Anja Niedringhaus und Lela Ahmadzai ist noch bis 24. Januar 2016 im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, 10963 Berlin zu sehen.
Öffnungszeiten: Di – So von 12 – 18 Uhr

Ein besonderer Dank geht an den Freundeskreis Willy-Brandt-Haus, an AP/Picture Alliance sowie an Lela Ahmadzai für die Bereitstellung der Bilder.

Beitragsbild: Anja Niedringhaus/AP/picture alliance