Zwischen Kunst und Dokumentation: „Hüter der Kirche“

Was bleibt von Tradition, Identität und Kultur übrig, wenn die Menschen gehen? Verfall lässt sich nicht immer aufhalten. Es gibt jedoch Menschen, die es sich zu ihrer Aufgabe gemacht haben deren Kultur zu bewahren, indem sie zu Kustoden ihrer Herkunft geworden sind. Der Absolvent der Ostkreuzschule und Fotograf Kilian Müller erzählt in seinem fotografischen Essay Hüter der Kirche auf poetische und einfühlsame Weise eine Geschichte über die letzten in Rumänien verbliebenen Siebenbürger Sachsen. Er schafft damit eine Hommage an die Menschen, die unfreiwillig Zeugen des Verfalls geworden sind und Verlust, Abschied und Trennung erfahren mussten.

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Die Arbeit Hüter der Kirche entstand in einem eineinhalbjährigen Prozess. In dieser Zeit reiste der Fotograf fünfmal nach Siebenbürgen – ein historisches und geografisches Gebiet im südlichen Karpatenraum, das im Zentrum Rumäniens liegt – und bereiste dort die Dörfer mit dem Fahrrad. Während des Fotografierens stellte er fest, dass die Lebensgeschichten der Burghüter/-innen der evangelischen Kirchengemeinden für ihn viel spannender als die Kirchenburgen und deren Architektur selbst waren. Und so machte er sie zum Thema seiner Abschlussarbeit (diese war letztes Jahr in der Abschlussausstellung der OKS #achtens zu sehen). Die Siebenbürger Sachsen stammen ursprünglich aus dem Rheinland und siedelten sich bereits im 12. Jahrhundert in der heutigen Region Transsilvanien als freie Bauern an. Als ethnische Minderheit genossen sie für lange Zeit Privilegien wie den Besitz des eigenen Bodens und das Recht auf Selbstverwaltung.

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Heute droht das Kulturgut dieser Minderheit zu verschwinden. Spätestens seit der letzten großen Auswanderungswelle vor 25 Jahren leben in den von ihnen erbauten Dörfern nur wenige Sachsen. Sie kümmern sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um die verlassenen Kirchen. Die meisten dieser Menschen sind alt und es ist ungewiss was passiert, wenn sie fort sind.

2_muellerKilian Müller gewährt in seinen Bildern den Blick auf geheimnisvolle Orte und deren Bewohner. Neben den idyllischen Dorflandschaften, bröckelnden Wänden und zerfallenden Kirchen porträtiert er die alten Menschen, die sich um die Kirchen kümmern. Er macht das auf eine einfühlsame und respektvolle Weise. Manchmal wirken die Aufnahmen wie inszeniert und die Hintergründe wie Bühnenbilder. Bei der Betrachtung wird man von der Melancholie und Stille des Ortes ergriffen, man bekommt ein Gefühl für die Vergänglichkeit und Macht der Zeit, deren Spuren und Geschichten nicht nur in den Gebäuden, sondern auch in den Gesichtern der Protagonisten zu sehen und zu spüren sind.3_mueller

Diese reale Welt wird dank der Bilder zu einer anderen und dem Betrachter eigenen. Es entsteht eine Metaebene, die es dem Betrachter erlaubt, die Bilder frei zu interpretieren und in der sich ihm – von der tatsächlichen Geschichte losgelöst – universell und individuell neue Ebenen eröffnen. Kilian Müller bezeichnet seine Arbeit als keine klassische Dokumentation, sondern verortet sie zwischen Kunst und Dokumentation.

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Hüter der Kirche war dieses Jahr bereits in Casa Teutsch in Sibiu, Rumänien und in einer Doppelausstellung im Kunstgewölbe in Dinkelsbühl im Rahmen des diesjährigen Heimattages mit dem Titel Siebenbürgen von außen betrachtet zu sehen. Die Reaktionen auf die Arbeit fasste Hansotto Drotloff in seinem Artikel Hüter der Kirchen. Betrachtungen über ein fotografisches Essay von Kilian Müller zusammen:

„Die Chronistin der Siebenbürgischen Zeitung drückt aus, was ihr auf den ersten Blick auffällt: ,Der Fotograf scheint zunächst nur Traurigkeit und Öde in den siebenbürgischen Dörfern zu suchen’ … und gefunden zu haben, meint man hinzufügen zu müssen. Ist es nicht recht, dies in den Vordergrund zu stellen, zum Thema eines fotografischen Essays über Siebenbürgen zu machen? Das meint Monika Schneider-Mild in einem Leserbrief (Siebenbürgische Zeitung vom 5. Mai 2015):  ,Warum ergreifen, berühren mich diese Bilder nicht? Vielleicht, weil sie nicht die tatsächliche Lebenswirklichkeit dieser Menschen abbilden, sondern auf irritierende Art und Weise inszeniert daherkommen.’ Manch anderer Besucher mag sich – laut oder leise – ähnlich geäußert haben. Dazu der Fotograf selbst im Begleitbuch zu seiner Ausstellung: ,Ich habe großen Respekt vor diesen Menschen, die trotz ihres Alters und ihrer isolierten Situation die Aufgabe stemmen, das kulturelle Erbe ihrer Herkunft zu verwalten. Meine fotografische Arbeit verstehe ich deshalb weniger als einen Abgesang auf die sächsische Kultur, sondern als Hommage an die Menschen, die in ihrer Haltung und ihrer Lebensform eben jene verkörpern und bewahren.’“

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Sind die Kritikpunkte berechtigt? Inwiefern haben sie mit dem Einfühlungsvermögen der Kritiker zu tun, die vielleicht den Ernst der Lage nicht erkennen, die Situation vielleicht verharmlosen? Warum unterstellen die Ausstellungsbesucher/-innen dem Blick eines Außenstehenden, der keine persönliche Beziehung zu der Region hat, Ungerechtigkeit? Vielleicht ist eine Antwort, dass dem Involvierten manchmal die Distanz fehlt, um das Ausmaß der Veränderung zu sehen. Ich meine damit nicht, dass die Anwohner die Probleme nicht sehen wollen oder bewusst verharmlosen, sondern dass es hilfreich sein kann, einen Blick von außen zu bekommen. Wahrnehmung ist ein individueller Prozess und die geteilten Meinungen und Kontroversen sind das größte Lob für einen Künstler. Die große Resonanz zeigt, dass das Projekt Bewegung bewirkt hat. Darüber hinaus zeigt sich, wie fließend die Grenze zwischen Kunst und Dokumentation sein kann und mit welchen unterschiedlichen Erwartungen Menschen in die Ausstellung gehen.

Auch wenn die Meinungen der Siebenbürger Sachsen geteilt sind, steht fest, dass Kilian Müller in seinem fotografischen Essay ein Denkmal für Menschen, die ihre vom Aussterben bedrohte Kultur bewahren, gesetzt hat.

 

Die Ausstellung „Hüter der Kirche“, im Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim ist noch bis zum 4. Oktober 2015 zu sehen.

Der Katalog zur Ausstellung kostet 15 Euro und ist über das Museum zu erwerben

www.siebenbuergisches-museum.de

 

Kilian Müller, Jahrgang 1986, studierte Philosophie und Sozialwissenschaften in Berlin und von 2011 bis 2014 an der Ostkreuzschule für Fotografie. Er ist Gewinner des Canon-Profi Förderpreises 2015.

www.kilian-m.de

Alle Fotos in diesem Beitrag stammen aus Kilian Müllers  fotografischem Essay Hüter der Kirche.