New York Edited. Bonds and Borders – ”Prison Bus” von Jacobia Dahm

Das Fotobuch New York Edited. Bonds and Borders ist das kollektive Abschlussprojekt der Bildredaktionsklasse der Ostkreuzschule in Berlin und den Fotojournalismus-Studierenden des International Center of Photography (ICP) aus New York. Es wird am 14. Februar 2015 erscheinen. Eine Geschichte darin ist die Serie Prison Bus, fotografiert von der deutschen ICP-Absolventin Jacobia Dahm. Sie begleitete Familienangehörige von Inhaftierten aus New York City auf den Busfahrten zu den oft weit entfernten Gefängnissen. Wir führten das Gespräch über Skype.

Foto: Jacobia Dahm

OKS-lab: Wie bist Du als Frankfurterin nach New York an das ICP gekommen?
Jacobia Dahm: Über Umwege. Ich wohne hier jetzt schon seit ungefähr einer Dekade, vielleicht auch etwas länger. Ich kam zum Studieren in die USA, 1997 mit dem DAAD, und habe hier meinen Freund kennen gelernt. Dann wurde erst einmal gependelt, bevor ich ganz in die USA zog.

Und Du kanntest das ICP vorher?
Ich kannte es seit ein paar Jahren, zuerst nur vom Hörensagen. Dann habe ich 2011 einzelne Kurse belegt, in der Abteilung Continuing Education, die für alle offen ist. Dort war ich bei sehr guten Lehrern und so kam der Wunsch, ein MFA zu machen. Also habe ich mich beworben…

Was bedeutet MFA genau?
MFA steht für Master of Fine Arts, also für Fotografie als Kunst. Das ist ein zweijähriges Studium, das sehr teuer ist – aber das ist in den USA immer so. Ich wurde angenommen, merkte aber, dass die Begeisterung bei mir schnell nachließ. Ich stellte mir permanent die Frage, ob meine Arbeit Kunst ist oder nicht. Und für mich ist das die uninteressanteste Frage, die man sich zu seinen Bildern stellen kann. Ich habe damals den Platz bekommen, mich aber entschieden, ihn erst in einem Jahr anzunehmen. In diesem Jahr war ich in Berlin, außerdem habe ich bei Rolf Nobel, Professor für Fotojournalismus an der Hochschule Hannover, ein einwöchiges Seminar zum Thema „Menschen bei der Arbeit“ besucht. Ich fotografierte in einer Tierklinik und habe gemerkt, dass ich eigentlich nicht Fotografie als Kunst verfolgen will, sondern mit meiner Arbeit eine Art Zeugenschaft herstellen möchte. Daraufhin habe ich mich wieder beim ICP gemeldet und gesagt, dass ich mich nun für den Studiengang Dokumentarfotografie bewerben möchte. Im Herbst 2013 habe ich angefangen.

Und wie war es bei deinen Kommilitoninnen und Kommilitonen, haben viele vorher schon professionell fotografiert?
Ganz unterschiedlich. Das Alter der Studierenden lag zwischen 19 und 45 Jahren. Alle hatten vorher schon einmal mit einer Kamera gespielt, manche hatten schon Aufträge. Eine Kollegin, zum Beispiel, hatte jahrelang als Hochzeitsfotografin gearbeitet.

Deine Serie Prison Bus ist als Abschlussarbeit deines Studiums entstanden. Kannst Du erzählen, wie du zu dem Thema gekommen bist?
Ich hatte mir Kurse ausgesucht, die einen humanistischen Blick auf die Menschheit warfen. Dort war ich unter anderem bei einem Seminarleiter, Andrew Lichtenstein, der auch viel in Gefängnissen gearbeitet hatte. Verschiedene andere Lehrer, die ich hatte, haben Dinge gesagt, die sich für mich, wie bei einem Puzzle, zusammengesetzt haben. Georgia Fiorio z.B. sagte: „Wenn man denkt, irgendetwas kann man nicht fotografieren, dann muss man es fotografieren. Es gibt nichts, was man nicht fotografieren kann, sondern genau da muss man hin!“ Dann hatten wir ein Gespräch mit Ashley Gilbertson, der die verlassenen Zimmer junger Soldaten fotografiert hat, die im Krieg umgekommen sind – man sieht in diese Zimmer und das sind Zimmer von Kindern. Er hat damals darüber gesprochen, wie es ist, jemanden zu fotografieren, den es gar nicht mehr gibt. Wie macht man das überhaupt, die Abwesenheit fotografieren? Dann ging es darum, dass man immer einen emotionalen Bezug haben muss, egal ob es Ärger, Wut oder Liebe ist, es muss auf jeden Fall eine emotionale Verbindung zu dem Thema geben. Ich habe mich gefragt, welches die Dinge sind, die mich berühren und merkte, dass es das amerikanische Justizsystem ist. Ich hatte keine Ahnung, wie man das fotografieren kann. Dann fiel während eines Gespräches mit Andrew Lichtenstein der Nebensatz, es gäbe diese Busse, die freitags und samstags Leute zu den Gefängnissen bringen, damit sie ihre Eltern und Geschwister besuchen können. Ich dachte: mein Gott! Ich lebe hier seit 10 Jahren und habe noch nie etwas davon mitbekommen – ich muss in so einen Bus steigen. Ich wollte das Bild von den Kindern, die in diesen Bussen sitzen. Eines Freitagabends habe ich mich dann an solch eine Bushaltestelle gestellt und bin mitgefahren. Ich saß mit neun Leuten in einem Minivan. Wir sind acht Stunden durch die eisige Nacht gefahren, um in der Nähe der kanadischen Grenze auszusteigen und die ersten Gefängnisse zu sehen.

Foto: Jacobia Dahm

Es sind vor allem Frauen und Kinder, die Du fotografiert hast. War es schwierig diese Nähe und Vertrautheit aufzubauen, die man in den Bildern spürt? 
Es war sehr schwierig. Das erste Mal, als ich mitgefahren bin, saß ich hinten in der letzten Ecke und da man nachts losfährt, herrscht auch keine Stimmung, in der man sagen kann: „Ich bin die…und wer bist Du?“. Die meisten, die mit diesen Bussen fahren, sind African-Americans oder Hispanics, viele Migrantinnen, wenig weiße Gesichter und ich habe natürlich ziemlich rausgestochen. Das war aber auch von Vorteil. Ich hatte immer die Kamera um und dadurch gab es einen Gesprächsansatz. Ich wurde gefragt, was ich mache und das habe ich dann erklärt. Als sie mich zum zweiten und dritten Mal im Bus gesehen haben, haben die Frauen mich dann näher an sich herangelassen.

Ein Bild zeigt das Gefängnis Attica von außen, es erinnert eher an eine Burg aus einem Fantasiefilm als an ein zeitgenössisches Gefängnis. War Dir dieses Gebäude vorher bekannt?
Ich weiß nicht mehr, ob ich Bilder von Attica vorher gesehen hatte, aber sein Ruf eilt Attica voraus. Es kam dort 1971 zu einem Aufstand der Insassen, als Protest gegen die US-weiten Misshandlungen von Gefangenen. Die Häftlinge schafften es, Wärter gefangen zu nehmen, um sich Gehör zu verschaffen. Die Gefängnisleitung und der Staat New York stimmten vielen ihrer Forderungen zu. Dann aber griff die Staatspolizei ein und die Geschichte ging blutig aus. Letztlich gab es 43 Tote, darunter auch Wärter. Attica war das einzige Hochsicherheitsgefängnis, das mein Bus angefahren hat, und solche haben immer gewaltige Mauern. Sobald man Attica sieht, bleibt einem der Atem weg. Es ist nicht nur diese Mauer, es ist, wie eine Freundin sagte, ein bisschen Nordkorea und ein bisschen das Schloss der bösen Schneekönigin. Als ich Attica das erste Mal sah, hatte es geschneit und alles war weiß.

Attica, Foto: Jacobia Dahm

Es ist einerseits ein politisch brisantes Thema, andererseits überrascht die Schönheit vieler Aufnahmen, man sieht auch viel Natur.
Ich bin natürlich auch auf der Suche nach Schönheit, wie viele Künstler. Doch Schönheit bedeutet nicht immer, dass auch der Inhalt schön ist. Es ist mir erst im Nachhinein klar geworden, dass diese Bilder mehr ausstrahlen, als diese dunkle Lebenserfahrung. Ich bin oft auf der Suche nach stillen Bildern und in diese kann sich Schönheit, glaube ich, schneller einschleichen.

Hast Du vor, an dem Projekt weiter zu arbeiten?
Ja, ich arbeite weiter daran. Es gibt Bilder, die ich nicht machen konnte, weil sie zu riskant gewesen wären. Man darf eigentlich nicht auf Gefängnisgrund fotografieren. Ich habe es nur dann gemacht, wenn ich dachte, es sieht mich keiner. Es gibt Bilder in den sogenannten Visitor Centers, die ich nicht machen konnte. Dort schließt man seine Jacke ein, weist sich aus und wartet noch einmal eine Stunde, bevor es zum eigentlichen Besuch kommt. Die Frauen fahren alle in sehr legerer Kleidung. Sie tragen Jogginganzüge, da sie die ganze Nacht unterwegs sind. Dann aber, am nächsten Tag, in der Stunde, in der sie sich auf den Besuch vorbereiten können, verwandeln sie sich in mondäne Stadtwesen, legen Make-up auf, wickeln ihre Haare und ziehen neue Kleidung an. Manchmal habe ich die Frauen nicht wiedererkannt. Diese Verwandlungsbilder kann ich nur mit der Zustimmung der Gefängnisse machen. Ich denke auch, dass ich ein kleines Filmprojekt zu diesem Thema machen möchte.

Deine Geschichte wurde auch in der New York Times veröffentlicht. Was bedeutet für dich nun die Veröffentlichung in dem Buch New York Edited. Bonds and Borders?
Ich finde es spannend, da ich ein kulturell hybrider Mensch bin und ich finde es toll, dass dieses sehr amerikanische Thema in Deutschland rezipiert wird. Andererseits sind die Bilder auch von einer in Amerika lebenden Deutschen gemacht worden. Doch mittlerweile habe ich den Blick dafür verloren, wie man die Bilder wahrnimmt, wenn man nicht jeden Tag in einem amerikanischen Kontext lebt. Ich bin sehr gespannt, wie die Leute auf diese Bilder reagieren werden und bin mir sicher, dass es ganz unterschiedliche Lesarten geben kann.

Weißt Du schon, ob Du zur Veröffentlichung des Buches nach Berlin kommen kannst?
Es sieht so aus, als ob es klappen könnte.

Das ist toll! Wir freuen uns und ich bedanke mich für das Gespräch. 

Jacobia Dahm arbeitet im Bereich Portrait- und Dokumentarfotografie. Geboren in Frankfurt a. Main, lebt und arbeitet sie in New York und Berlin. 2014 schloss sie ihre Ausbildung am ICP ab. Jacobia Dahm beschäftigt sich vorwiegend mit sozialen Themen. 

Hier geht es zur Webseite von Jacobia.