Zu Besuch im Seminar „Langzeitporträt“ von Sibylle Fendt

Vor der geplanten Ausstellung des Seminars im Frühjahr 2015 stehen zwölf Monate kontinuierlicher Arbeit. Die Ostkreuzschule bietet regelmäßig neben der Möglichkeit, eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Fotografen zu durchlaufen, auch weitere Formen der fotografischen Aus- und Weiterbildung an. Hierzu gehören die zwölfmonatigen Seminare mit jährlich wechselnder Themensetzung unter der Leitung verschiedener Dozenten. Im monatlichen Takt treffen sich die Teilnehmer, um die aktuellen Zwischenstände und Fortschritte ihrer Arbeit zu präsentieren, wichtiges Feedback zu erhalten und so neue Impulse für ihre Fotoprojekte zu bekommen.

Die Seminarklasse unter der Leitung von Sibylle Fendt wird zu dem gestellten Leitthema „Langzeitporträt“ ihre Ideen, die sie im Laufe des vergangenen Jahres zu abgeschlossenen, eigenständigen Arbeiten weiterentwickelt hat, in einer selbst organisierten Ausstellung präsentieren.

Doch gerade bei längerfristigen Fotoprojekten wie diesen ist nicht erst das fertig an der Wand hängende Ergebnis von Interesse. Ebenso spannend kann es sein, sich bereits dem Entstehungsprozess dieser Porträtarbeiten zuzuwenden und ein wenig hinter die Kulissen zu schauen. Welche Entwicklung nehmen die gewählten Themen und Geschichten, bevor sie schließlich das Licht der Öffentlichkeit erblicken? Es ist vor allem der Faktor „Zeit“, der die fotografische Herangehensweise und Produktion in erheblichem Maße beeinflusst. Eine explizite Fragestellung des Seminars Langzeitporträt lautet denn auch: „Wie verändert sich das eigene Fotografieren von Menschen, wenn man über längere Zeit an einem Thema respektive Menschen dran bleibt?“ In dem einjährigen Seminar bekommen die Teilnehmenden die Möglichkeit, diese aufwändige und daher oft zu kurz kommende Art der intensiven fotografischen Annäherung zu üben. Sie sollen die Schwierigkeiten und Vorzüge eines Langzeitprojektes kennenlernen und dabei versuchen, die eigene Bildsprache sowie die Inhalte ihrer Arbeit immer besser herauszuarbeiten. Alexandra Grünbaum, eine der Seminarteilnehmerinnen, fasst die Erfahrungen aus ihrer bisherigen Arbeit, in der sie einen befreundeten Musiker porträtiert, im Hinblick auf diesen zeitlichen Kontext beim Fotografieren anschaulich zusammen. Sie erzählt: „Manfred war anfangs gar nicht klar, was diese Fotoarbeit für ihn zeitlich bedeutet. Er ist sehr aktiv und immer irgendwie auf dem Sprung. Aber er hält wacker durch. Ich glaube, dass es ihm mittlerweile Spaß macht. Toll ist, dass er langsam den Prozess verstanden hat und merkt, worauf es ankommt, und ich weniger sagen muss. Er ist ruhiger geworden und fühlt sich nicht mehr so unsicher vor der Kamera. Er hat gelernt, dass er gar nicht viel machen muss.“

Um neben den Besprechungen auch die praktisch-technische Seite des Bildermachens ganz konkret zu üben, wird die Seminararbeit bei Dozentin Sibylle Fendt durch ein gegenseitiges Porträtieren aufgelockert, was von den Teilnehmern sehr begrüßt wird. Durch diese „Fingerübungen“ können zwischendurch immer wieder kleine Erfolgserlebnisse erzielt werden und dabei auftauchende Fragen rund um den fotografischen Workflow geklärt werden.

Foto 1: Seminar "Langzeitporträt". Sibylle Fendt mit Teilnehmerinnen, Foto 2-4: "Großbesprechung" der beiden Seminare Fendt und Schröder, Alle Fotos: Bernhard Tietz

Foto 1: Seminar Langzeitporträt. Sibylle Fendt mit Teilnehmerinnen, Foto 2-4: „Großbesprechung“ der beiden Seminare Fendt und Schröder, Fotos: Bernhard Tietz

Bereits im Sommer letzten Jahres, als ich das Seminar besuchen durfte, zeigte sich, wie weit die inhaltliche Spanne beim Thema Langzeitporträt reicht, und wie groß dabei wiederum der Spielraum an Umsetzungsmöglichkeiten ist. Dieser Reichtum an Möglichkeiten wird sehr gut durch die im Folgenden vorgestellte Auswahl von vier Arbeiten verdeutlicht, welche natürlich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen waren und daher lediglich als „Halbzeit-Impressionen“ zu betrachten sind.
Trotzdem gibt es zwischen den verschiedenen Arbeiten im Seminar, zumindest, was die grundlegende Herangehensweise anbelangt, auch Gemeinsamkeiten. In der Regel haben Seminarteilnehmer Menschen aus ihrem bereits bestehenden näheren bis sehr nahen Bekanntenkreis zum Thema ihrer Arbeit gemacht. Das erleichtert das gesamte Unterfangen Langzeitporträt ungemein. Denn damit entfällt die zeitraubende Herstellung eines Erstkontaktes und rudimentären Vertrauens ganz zu Beginn. Dadurch, dass man die zu porträtierende Person schon kennt, kann man außerdem besser abschätzen, ob diese überhaupt ausreichend Potential für eine gelingende Zusammenarbeit und eine spannende Strecke bietet. Dennoch heißt das nicht, dass von da an alles wie von selbst läuft. Mehrfach wurde von den Seminarteilnehmern insbesondere festgestellt, dass sie bislang noch zu wenig fotografiert haben und daher noch mehr „Futter“ bräuchten, um daraus weitere Ideen zu schöpfen und tatsächlich auswählen zu können. Bei zu wenig Material falle es schwer, einen Fokus der Arbeit zu sehen oder zu definieren.

Daniela Valentino hat ihre eigene Partnerschaft und damit auch die Liebe zwischen zwei Menschen zum Gegenstand ihrer fotografischen Langzeitbeobachtung gemacht. Wichtig ist ihr, dabei nicht in die üblichen Klischees oder Beziehungskitsch abzurutschen. Sie betont, dass es ihr auch nicht darum gehe, den Partner einem strengen, analytischen Blick zu unterziehen. Ihr gefallen vielmehr die aus der Situation heraus spontan entstandenen Aufnahmen, die die Momenthaftigkeit und dabei auch totale Zufälligkeit der Liebe widerspiegeln. Daniela hat deshalb keine bereits fertigen Bilder im Kopf, sondern übt sich darin, ihren Blick für die aktuelle Situation geschärft zu halten. Die Sicht auf ihre Beziehung ist von Humor geprägt. Ebenso spielen darin das Unkonventionelle und der Gegensatz zwischen Chaos und Ordnung eine tragende Rolle. Das alles kann dann seinen Weg in die Bilder finden.

Foto: Daniela Valentino

Foto: Daniela Valentino

Foto: Daniela Valentino

Foto: Daniela Valentino

Foto: Daniela Valentino

Foto: Daniela Valentino

Maria Stiehler zeigt, dass es auch möglich ist, gleich einen ganzen Verein und dessen soziales Anliegen im Rahmen eines Porträts zu thematisieren. Als Diplom-Soziologin verfolgt sie die Arbeit der „Stadtpflanzer“, die sich im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung für eine aktive Bürgerbeteiligung insbesondere mit den Mitteln des Urban Gardening einsetzen. Maria begleitet den Verein schon seit längerem bei der Umsetzung seiner Projekte, zu denen z. B. die Realisierung von Balkonplantagen, urbanen Bauernhöfen sowie Hochbeeten für Rollstuhlfahrer gehören. Arbeitstitel ihrer Porträtarbeit: „Eine neue Stadt ist pflanzbar!“ Es ist eine sozialdokumentarisch geprägte Arbeit, die sich dem Stil einer journalistischen Reportage annähert. Zum Beispiel fotografierte sie bereits Vereinsmitglieder bei ihrem Engagement in einem Altenheim, wo Hühner den Kontakt zur Natur wiederherstellen und Heimbewohnern dabei helfen, aus der sozialen Isolation herauszufinden. Da es viele Akteure und Veranstaltungen im Rahmen des Vereins gibt, ergab sich für Maria die Herausforderung, gezielt Schwerpunkte zu setzen und sich für ihr Porträt auf einzelne prägnante Aspekte und Personen zu fokussieren. Das vielfältige Feedback in den Seminarbesprechungen hat ihr in dieser Hinsicht sehr geholfen, ihr aber auch gezeigt, dass es bis zu dem finalen Edit ein langer Weg sein kann, weil es nicht die eine richtige Auswahl gibt. Sie möchte zudem im zweiten Halbjahr die Zeit vermehrt dazu nutzen, ihre an der Reportage orientierte Arbeit durch zusätzliche, inszenierte Einzelporträts abzurunden.

Vorstellung Hochbeet für Rollstuhlfahrer beim Straßenfest, Berlin. Foto: Maria Stiehler.

Vorstellung Hochbeet für Rollstuhlfahrer beim Straßenfest (Berlin), Foto: Maria Stiehler

Abholung der Hühner aus Winterquartier, Leipzig. Foto: Maria Stiehler.

Abholung der Hühner aus Winterquartier (Leipzig), Foto: Maria Stiehler

"Nimm 4": Stadthühner im Altenheim. Foto: Maria Stiehler.

Nimm 4, Stadthühner im Altenheim, Foto: Maria Stiehler

Manchmal findet das Thema auch dich. Susann Nürnberger wollte eigentlich die Kultur und Tradition einer in Deutschland lebenden Flüchtlingsfamilie aus Aserbaidschan näher beleuchten. Konzentriert hat sie sich schließlich auf das Leben der mittlerweile 20-jährigen Milla, der ältesten Tochter der Familie. Es ist eine Geschichte vom jugendlichen Aufbegehren gegen allzu strenge Traditionen. Milla verließ ihr Elternhaus schon mit 14 Jahren. Sie lebte danach in einem Mädchenwohnheim, um ihren eigenen Weg zu finden. Die Bilder zeigen eine ernste Jugendliche mit Duldungsstatus. Zwischen Tradition und Moderne stehend, rebellisch, teils rowdyhaft, die eigenen Grenzen auslotend, aber auch nachdenklich.
Susann hatte im Sommer noch die Schwierigkeit für sich erkannt, nicht zu wissen, was sie genau mit ihren Bildern sagen möchte. Dabei ist es ihr, wie ich denke, bereits sehr gut gelungen, die passenden Zutaten für eine funktionierende Geschichte zu finden, in dem sie die verschiedenen Seiten von Milla zeigt. Die Aussage ihrer Arbeit könnte darin bestehen, zu verdeutlichen, dass sich eine Jugendliche auf der Suche nach ihrem eigenen Weg nicht in ein einfaches Deutungsschema pressen lässt und pressen lassen will.

Foto: Susann Nürnberger.

Foto: Susann Nürnberger

Foto: Susann Nürnberger.

Foto: Susann Nürnberger

Foto: Susann Nürnberger.

Foto: Susann Nürnberger

Eine Arbeit mit deutlich klassischer Ausrichtung in puncto Porträt stammt von Alexandra Grünbaum. Ein Freund hat einen interessanten Beruf, der sich lebhaft in Kontrast zu dessen Leben als Privatperson setzen lässt? Dann wird es Zeit für ein tiefergehendes Porträt dieses Menschen! – so in etwa könnte man den Impuls für Alexandras Arbeit beschreiben. Manfred arbeitet als Hornist im philharmonischen Orchester an einem Staatstheater. Auf der Bühne eines solchen Ortes der Tradition und Hochkultur erscheint er als Musiker unnahbar und beeindruckt als solcher.
Im Privaten ist er sonst ein eher bodenständiger, unprätentiöser Mensch. Alexandra möchte das Wesen dieses Menschen in ihrer Arbeit möglichst gut erfassen und dafür alle relevanten Facetten seines Lebens, des privaten wie des beruflichen, thematisieren. Es ist ihre erste konzeptionelle Arbeit, bei der sie nun versucht, ihre eigene Herangehensweise unmittelbar aus den Erfahrungen bei der Arbeit zu entwickeln. Das betrifft insbesondere den Umgang mit dem Menschen vor der Kamera, die Wahl der Szenerie und den Einsatz von Licht. Um sich selbst Grenzen zu setzen, hat sie sich entschieden, nur eine bestimmte Kamera zu verwenden und sich dabei auf den Einsatz eines bestimmten Objektives zu beschränken.

Foto: Alexandra Grünbaum.

Foto: Alexandra Grünbaum

Foto: Alexandra Grünbaum.

Foto: Alexandra Grünbaum

Foto: Alexandra Grünbaum.

Foto: Alexandra Grünbaum

Dieser Seminarbesuch blieb mir übrigens deshalb auch so eindrücklich in Erinnerung, weil es ein ganz spezieller Termin war: Die beiden eigentlich sonst parallel stattfindenden Seminare von Sibylle Fendt und Linn Schröder hatten sich nämlich für den Nachmittag zu einer gemeinsamen Großbesprechung ihrer bis dato entstandenen Fotoarbeiten verabredet. Ein Ziel dieses kleinen Besprechungsmarathons war zum einen der Erfahrungsaustausch, zum anderen der erweiterte kritische Blick von außen, um erneut eigene Positionen hinterfragen zu lassen. Außerdem konnten alle Teilnehmer bei dieser Gelegenheit üben, ihre Arbeit einmal vor einer größeren Gruppe zu erklären. Wie sich im Laufe Tages herausstellte, war es ziemlich ambitioniert, fast 20 Personen ihre Arbeiten präsentieren zu lassen. Dadurch hat vielleicht nicht jede Arbeit von allen die volle Aufmerksamkeit bekommen. An diesem Tag stand nach meinem Eindruck aber auch eher im Vordergrund, sich aus der Summe der Besprechungen das jeweils für einen selbst Relevante herauszuziehen und nicht so sehr das allumfassende Feedback für die eigene Arbeit zu erwarten. Insgesamt war es wohl für jeden der Anwesenden ein besonderes Erlebnis, einmal so geballt in diese Vielzahl von Arbeiten so unterschiedlicher Persönlichkeiten eintauchen zu können!

Die Dozentin Sibylle Fendt ist als Fotografin Mitglied der Agentur Ostkreuz und unterrichtet seit 2008 an der Ostkreuzschule. Seit 2007 erhielt sie daneben mehrere Lehraufträge. Derzeit unterrichtet sie auch an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Gestaltung.