#achtensPREVIEW: „Irrlicht“

Was hat der achte Jahrgang zu sagen?

Wenn jährlich im Herbst die Abschlussklasse zur Vernissage lädt, sehen Fotografen und Bildredakteure, Freunde und Förderer der OKS gezielt hin, welche Themen die Studenten a. D. in die Welt tragen, und mit welcher Bildsprache? Angehende Absolventen haben uns zur „Sneak Preview“ geladen und geben Einblicke in ihre Arbeit „in progress“. Ob als Bildstrecke oder Multimedia-Interview – immer unerwartet.

#YANA WERNICKE, Fotografin Abschlussklasse 2014

Yana-Trebendorf-Febr-2014-2

Foto: Matthias Erfurt

Im Februar dieses Jahres ergab sich die Gelegenheit, die Fotografin und diesjährige Absolventin Yana Wernicke auf eine ihrer zahlreichen Kurzreisen nach Sachsen zu begleiten. Schon seit mehr als einem Jahr fotografiert Wernicke dort für ihr Abschlussprojekt über sorbische Kultur. Persönlicher Bericht eines eindrucksvollen Tages:

Wir sind etwas zu früh angekommen. Perfekt für die Fotografin Yana Wernicke, um sich vorzubereiten. Wir laufen auf einem Feld herum, das sich hinter Einfamilienhäusern erstreckt und an einem nahe gelegenen Waldstück endet. Sie sieht sich die Gegend an, auf der Suche nach passenden Hintergründen für die an diesem Tag geplanten Porträts. Wir befinden uns in Trebendorf in Sachsen, einem Örtchen, in dem viele Bewohner zur Minderheit der Sorben gehören. Yana hat hier einen Termin vereinbart, um den sorbischen Brauch des verkleideten Christkindes, auf sorbisch Dźěćetko, zu fotografieren. Dahinter verbirgt sich, dass eine unverheiratete junge Frau aus dem Dorf zur Adventszeit den Dorfbewohnern Glück und Gottes Segen wünscht. Es ist zwar schon Februar und einer dieser herrlich klaren und sonnigen Tage, an denen der Frühling vor der Tür zu stehen scheint. Aber Yana ist froh, dass es nach langer Email-Korrespondenz möglich geworden ist, doch noch das Christkind zu fotografieren. Außerhalb der Saison, sozusagen.

Auf der Hinfahrt von Berlin nach Trebendorf haben wir uns schon angeregt unterhalten. Ich lerne eine junge Fotografin kennen, die in ihrer ruhigen und aufmerksamen Art von ihrer Arbeit erzählt: Zu Beginn ihrer Recherche über die Sorben habe sich ihr Wissen kaum von den oberflächlichen Fragmenten unterschieden, die in Deutschland das kollektive Gedächtnis beherrschen. Zudem habe sie festgestellt, dass es auch an guten fotografischen Positionen mangele, die sich mit den Sorben auseinandersetzen, so Wernicke.

Erst allmählich, als sie tiefer in diese Lebenswelten eingetaucht sei, die lebendigen Traditionen und ein facettenreiches Brauchtum erlebt habe, habe sich der Fokus ihrer Arbeit herauskristallisiert: Nicht den Alltag zu dokumentieren, sondern Symbole aus sorbischen Märchen, traditionelle Sagenfiguren und die großen Feste zu nutzen, um einen Ort zwischen Realität und Fiktion zu konstruieren. Einen Ort, wo tatsächlich noch gelebte Bräuche und Riten so miteinander verknüpft werden, dass eine vollkommen neue Geschichte entsteht.

Yana-Trebendorf-Febr-2014-12

Foto: Matthias Erfurt

Es gebe diese mythische und dem Alltag enthobene Welt in der Kultur der Sorben, die sich erhalten habe, sagt Wernicke. Diese Welt versuche sie, in ihren Bildern herauszuarbeiten. Beharrlichkeit und Geduld sind dabei ständige Begleiter der Fotografin geworden: Viele Reisen, unzählige Emails und Telefonate habe es gebraucht, um die Bilder umzusetzen, die sie im Kopf hatte, erzählt sie.

Wir betreten das Wohnzimmer eines jener Einfamilienhäuser, hinter denen Yana Wernicke zuvor nach guten Hintergründen Ausschau gehalten hat. Hier heißen uns die beiden Frauen herzlich willkommen, mit denen das Treffen vereinbart wurde, und dann geschieht, was für Wernicke den besonderen Reiz an der Fotografie ausmacht: unmittelbar eintauchen in fremde Lebenswelten, und auf besondere Weise, in der Rolle der Fotografin, daran teilhaben. Die zwei Frauen beginnen, drei andere junge Frauen aufwändig anzukleiden: das Christkind und seine Begleiterinnen.

Yana Wernicke beobachtet das Geschehen, lässt sich die einzelnen Schritte der Ankleideprozedur und die Bedeutung der farbenfrohen, von einer Generation zur nächsten weitervererbten Trachten erklären. Immer wieder bittet sie die drei jungen Frauen um Bilder aus verschiedenen Perspektiven. Anfangs wird die mitgebrachte Kamera neugierig betrachtet – verständlich, denn es handelt sich um eine „Yashica Mat 124 G“, eine zweiäugige Spiegelreflexkamera aus den 1960er Jahren, mit der Wernicke im Mittelformat fotografiert. Diese Kamera zwinge zur Entschleunigung, sagt sie. Man müsse überlegt vorgehen, schließlich seien nur zwölf Aufnahmen auf einer Filmrolle. Zudem helfe die „Yashica“, das Eis zwischen ihr und den Porträtierten zu brechen, erzählt die Fotografin weiter.

Erklärungen zu liefern über die Lebenswirklichkeit der Sorben, sei nicht das Ziel ihrer Arbeit. Vielmehr erhoffe sie sich, dass ihre Bilder im Idealfall Irritationen auslösen und der Betrachter sich fragt, was Wirklichkeit ist und was Fiktion.

Yana-Trebendorf-Febr-2014-21

Foto: Matthias Erfurt

Es ist Nachmittag geworden. Die drei jungen Frauen haben sich in aus der Zeit gefallene Gestalten verwandelt. Wir sitzen gemeinsam am gedeckten Tisch bei Kaffee und Kuchen – eine wundersame Situation. Als wir schließlich aufbrechen, nach draußen, um weitere Aufnahmen zu machen, steht die Sonne schon tief und das Licht wird immer besser. Wir suchen die Orte auf, die Yana Wernicke vorab ausgewählt hatte. Es ist spannend, sie bei der Arbeit zu beobachten: Sie dirigiert und motiviert, sie inszeniert, lässt sich von der Umgebung inspirieren, bleibt dabei unbeirrt und konzentriert.

Erschöpft und zufrieden sitzt die Fotografin einige Stunden später neben mir im Auto auf der Rückfahrt nach Berlin. Fünf oder sechs Filme hat sie belichtet. Sie sagt, dass sie immer glücklich sei, wenn zumindest ein gelungenes Bild dabei ist. Letztlich gehe es nicht um Hunderte Bilder, sondern um einige wenige, wirklich gute Fotos für die kommende Abschlussausstellung und ihr Buch. Drei Bilder von unserem Ausflug werden darin Platz finden, erfahre ich später. Ich bin sehr gespannt auf die anderen.

Yana_Wernicke_3-Christkind_Trebendorf-Trjebin

Foto: Yana Wernicke

Yana_Wernicke_2

Foto: Yana Wernicke

 
Die Abschlussklasse 2014 lädt zur Vernissage am: 17. Oktober 2014, 19 Uhr, SEZ Berlin.
Vom 18. bis 26. Oktober wird die Abschlussausstellung dort zu sehen sein.

Yana Wernicke (Klasse Ute Mahler), geb. 1990 in Hochheim am Main. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
www.yanawernicke.com

#achtensPREVIEW ist eine Gemeinschaftsproduktion der OKS-Absolventen “Bildredaktion” Matthias Erfurt, Massimo Rodari, Alena Siamionava und Annette Streicher mit der Abschlussklasse 2014.
Besonderer Dank für die Koordination: Nancy Göring.