Inside Photo Editing

Absolventen/-innen der OKS, die als Bildredakteur/-in bei einer Zeitung, einem Magazin, einer Bildagentur etc. arbeiten, geben einen Einblick in den Prozess von der Idee zur Veröffentlichung.

Ein Gespräch mit:

Antje Berghäuser, Bildredakteurin

Antje Berghäuser, Foto: Laura Barabino

Antje Berghäuser, Foto: Laura Barabino

Das Magazin für politische Kultur Cicero feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Im Mai erschien das Jubiläumsheft in einem entsprechend feierlich goldenen Gewand. Für die Illustration des Titelthemas Goldenes Europa – Zehn Gründe warum Europa eine goldene Zukunft hat wurde der Berliner Künstler Martin Haake beauftragt. In der Rubrik Weltbühne folgt mit dem Fotoessay Mörderische Mauer von Claudia Steinberg ein weiterer Beitrag, der uns besonders interessiert. Der Essay beleuchtet die Arbeit LA FRONTERA: Artists along the US Mexican Border des Fotografen Stefan Falke. Wir sprachen mit Antje Berghäuser, leitende Bildredakteurin des Cicero, darüber, wie diese zwei unterschiedlichen Beiträge in der Bildredaktion konzeptualisiert, editiert und umgesetzt wurden.

OKS-lab: Elf Collagen von Martin Haake visualisieren den komplexen Titelbeitrag der Cicero-Jubiläumsausgabe, in dem es abstrakte Begriffe wie „Einfallsreichtum“ und „Benutzerfreundlichkeit“ gestalterisch umzusetzen galt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Antje Berghäuser: Das Thema ist nicht nur umfangreich und komplex, die Aufgabe war auch sehr aufwendig, weil es zum Thema Europa gleich zehn positive, herausragende Merkmale zu visualisieren galt, die in zehn Plädoyers namhafter Autoren/-innen elaboriert sind. Es galt, eine Illustratorin oder einen Illustrator zu beauftragen, die/der sowohl dieser Herausforderung, als auch dem kurzen Zeitraum von nur zwei Wochen für die finale Umsetzung gewachsen ist. Dies, zusammen mit der Frage, welchen illustrativen Stil wir uns zum Thema vorstellen konnten, führte uns schnell zu Martin Haake. Mit ihm haben wir bereits zusammengearbeitet und schätzen seine Illustrationen sehr. Mittels der Collage gelingt es ihm in seiner Arbeit, eine Vielfalt an Sachverhalten auf eine homogene und visuell sehr ansprechende Art und Weise zu verdichten. Gemeinsam mit der Art-Direktion haben wir uns in Bezug auf die jeweiligen Vorstellungen beraten. Die Entscheidung, Martin Haake zu engagieren, fiel schlussendlich sehr schnell.

Wie wurde der Illustrator gebrieft und wie verlief anschließend die Zusammenarbeit?
Bei der illustrativen Umsetzung lassen wir Martin Haake meist sehr frei arbeiten. Wir kennen und vertrauen seiner Fähigkeit, unterschiedlichste Ideen und Assoziationen zu einem Thema gestalterisch zu verbinden. Die zehn Merkmale Europas waren als Überschriften schnell definiert, die haben wir ihm kommuniziert mit der Aufgabe, sich konkret auf diese zu beziehen. Sukzessiv konnten wir ihn dann mit den einlaufenden Texten versorgen. So konnte Martin Haake bestimmte Sachverhalte noch detaillierter und konkreter ausarbeiten oder um bestimmte assoziative Aspekte erweitern.

Wie unterscheidet sich eine solche Zusammenarbeit von derjenigen mit einem Fotografen oder einer Fotografin?
Die Arbeitsweise von Fotografen/-innen und Illustratoren/-innen ist sehr verschieden. Entsprechend gestaltet sich auch die Zusammenarbeit mit ihnen sehr unterschiedlich. Mit Illustratoren/-innen verläuft der Prozess der Gestaltung vom Briefing bis zur fertigen Illustration über mehrere Etappen der Korrektur und Abnahme. Im Gegensatz dazu ist in der Zusammenarbeit mit Fotografen/-innen der Gestaltungsspielraum kleiner. Er beschränkt sich auf Briefing, Shooting und Postproduktion. Für die aktive Bildgestaltung stehen der Fotografin oder dem Fotografen zum Beispiel bei einem Portrait-Auftrag nur circa 15 bis 45 Minuten zur Verfügung. Entsprechend unterscheiden sich auch die Briefings und der Kommunikationsprozess zwischen der Redaktion und den Illustratoren/-innen beziehungsweise Fotografen/-innen.

Aufgrund welcher Kriterien werden die im Cicero zu visualisierenden Beiträge illustrativ oder fotografisch umgesetzt?
Das Textformat „Portrait“ wird beispielsweise immer dem Fotoportrait zugewiesen. Dies, weil das ganzseitige fotografische Portrait als Gestaltungselement des Textportraits bereits bei Gründung des Cicero konzipiert und seither so beibehalten wurde. Bei anderen Artikeln bestimmt das Thema, ob es am besten fotografisch oder illustrativ umgesetzt wird. Eine fotografische Bebilderung bietet sich bei konkreten Themen eher an als bei abstrakten Sachverhalten. Gilt es beispielsweise einen philosophischen oder psychologischen Text zu gestalten, bietet die Illustration mehr Ausdrucksmöglichkeiten. Bestimmte Sachverhalte sind auf Grund ihrer impliziten Assoziationsmöglichkeiten fotografisch schwieriger umsetzbar.

Dafür ist das Titelthema Europas goldene Zukunft ein gutes Beispiel. Was gefällt dir besonders an Martin Haakes‘ Illustrationen?
Die Bild- und Farbästhetik überzeugt mich. Besonders gefällt mir der Detailreichtum in seinen Bildern und wie er damit reiche Assoziationsräume für den Betrachter kreiert. Am Beispiel der Aufmacher-Illustration lässt sich das gut erklären: Über den ersten Eindruck der Gesamtkomposition binden und führen die vielen einzelnen Elemente der Collage den Betrachter ins Detail. Das zeichnet seinen Stil aus.

Aufmacher des Artikels Goldenes Europa, Cicero: Mai 2014, Illustration: Martin Haake

Aufmacher des Artikels Goldenes Europa, Cicero: Mai 2014, Illustration: Martin Haake

In der Rubrik Weltbühne zeigt ihr im Fotoessay Mörderische Mauer Bilder aus dem Projekt LA FRONTERA: Artists along the US Mexican Border des Fotografen Stefan Falke. Aus welchem Grund wurde für die Jubiläumsausgabe diese Arbeit ausgesucht?
Die Entscheidung über die Thematik des Fotoessays steht nicht im Zusammenhang mit der Jubiläumsausgabe. Das Jubiläum wird in mehreren Artikeln des Heftes thematisiert, sollte sich aber nicht durch alle Beiträge ziehen. Der Fotoessay steht, wie auch das Titelthema, für sich. Der Grund, warum wir uns für diesen Fotoessay entschieden haben, war die im Mai stattfindende Buchveröffentlichung von LA FRONTERA in der Edition Faust. Anstehende Ausstellungen und Buchvernissagen bieten häufig einen Anlass, um starke Bildreportagen zu zeigen. In diesem Fall war es so, dass uns diese Arbeit von Stefan Falke im Kontext seiner Buchveröffentlichung angeboten wurde. So war für uns die Mai-Ausgabe als Veröffentlichungstermin schlüssig.

Welche weiteren Kriterien sind ausschlaggebend dafür, dass die Arbeit eines Fotografen oder einer Fotografin als Fotoessay im Cicero einen Platz erhält?
Der Cicero ist in Bezug auf den Fotoessay inhaltlich und stilistisch ziemlich offen. Wichtig ist inhaltlich eine politische, gesellschaftliche, kulturelle oder soziale Relevanz für den Cicero und seine Leserinnen und Leser. Wir erhalten einerseits Angebote von Fotografen/-innen und Agenturen, andererseits informieren wir uns regelmäßig, indem wir die wichtigen Fotografie-Blogs, Fotowettbewerbe und die Arbeit einzelner Fotografen/-innen verfolgen. Auch Facebook und andere soziale Netzwerke sind ein gutes Mittel, Hinweise zu interessanten Fotoarbeiten zu erhalten. Wichtig ist außerdem, dass die Arbeit noch nicht in Deutschland veröffentlicht wurde, also Exklusivität aufweist.

Wie verläuft anschließend der Prozess von der Auswahl des Fotoessays über die Datenbeschaffung bis zum definitiven Edit?
In der Fotoredaktion wählen wir die Fotoarbeiten aus, die für uns in Frage kommen und legen diese dem Chefredakteur vor. Er entscheidet über die Veröffentlichung. Gemeinsam mit der Bildredaktion trifft die Art-Direktion dann die Motivauswahl und erarbeitet eine oder mehrere Layout-Varianten, die dem Chefredakteur zur Entscheidung und Abnahme an der Redaktionswand präsentiert werden. Anschließend bestellt die Fotoredaktion die Feindaten sowie die Bildinformationen und leitet diese an die zuständigen Redakteure/-innen weiter, welche entweder den Text, die Einleitung und die Bildunterschriften selbst verfassen oder einen Autor beziehungsweise eine Autorin damit beauftragen. Fotoessays können bei uns in allen Ressorts laufen, die Zuordnung erfolgt thematisch.

Wie stellt die Fotoredaktion sicher, immer aktuelle und relevante Arbeiten für den Fotoessay vorschlagen zu können?
Da es eher selten der Fall ist, dass wir nach thematischer Vorgabe nach fertig produzierten Fotoarbeiten suchen, halten wir Ausschau nach dem, was in der Welt der Fotografie passiert. Auf diese Weise kommen interessante, unerwartete Themen in das Heft. Zum einen recherchieren wir gezielt nach Arbeiten, zum anderen wählen wir aus Angeboten, die wir direkt von Agenturen und Fotografen/-innen erhalten, passende Fotoessays aus. Hin und wieder werden den verschiedenen Cicero-Ressorts komplette Reportagen, also Text und Fotos, angeboten. Hier überschneidet sich dann unsere Arbeit mit derjenigen der Ressorts. Gemeinsam beraten und entscheiden wir in diesen Fällen, ob die inhaltliche Relevanz für das Cicero-Magazin gegeben ist und ob die Fotos unserem Qualitätsanspruch genügen. Die aus Sicht der Bildredaktion für das Magazin in Frage kommenden Fotoessays werden dem Chefredakteur in den regelmäßigen Bildmeetings vorgestellt. Liegen zwei gleich starke Arbeiten vor, werden der stellvertretende Chefredakteur und die Redakteurinnen und Redakteure für die Entscheidung hinzugezogen. Wir unterhalten eine Sammlung an potentiellen Fotoessays, die permanent aussortiert und aufgefrischt werden. Dieser Prozess läuft fortlaufend, sowohl während Produktions- wie auch in Off-Zeiten.

Welche Quellen konsultierst du, um dich über das Geschehen in der Welt der Fotografie auf dem Laufenden zu halten?
Unter anderem verfolge ich bestimmte Wettbewerbe wie zum Beispiel den POY (Pictures of the Year International, Anmerkung d. Verf.), dann LensCulture, FotoVisura, Foam Magazine, um nur einige Quellen zu nennen. Außerdem schaue ich regelmäßig bei bestimmten Agenturen nach neuen Reportagen, beispielsweise bei Picturetank, INSTITUTE, VII, Panos oder LAIF. Die Zusammenarbeit mit den Agenturen ist jedoch teilweise schon so gut eingestimmt, dass wir neue Arbeiten direkt angeboten bekommen. Fotokollektive weltweit, die neue Perspektiven auf ihre Regionen eröffnen, sind interessant zu verfolgen. Außerdem prüfe ich regelmässig die Photojournalism-Links, die auf der Webseite des Time Magazines (TIME LightBox, Anmerkung d. Verf.), präsentiert werden. Auf diesen Seiten werden internationale Fotoveröffentlichungen gezeigt, die für uns unter anderem auch von daher interessant sind, als dass sie in Deutschland meist noch nicht veröffentlicht wurden. Die erwähnten Buchvernissagen, Ausstellungen und sozialen Netzwerke wie Facebook sind auch essenzielle Quellen, um sich auf dem Laufenden zu halten. Es ist wichtig, früh informiert zu sein, um dann zum richtigen Zeitpunkt eine spannende und auch aktuelle Arbeit präsentieren zu können. Im Februar, als die Olympischen Winterspiele in Sotschi stattfanden, veröffentlichte der Fotograf Rob Hornstra zusammen mit dem Autoren Arnold van Bruggen das Buch zu ihrem Projekt The Sochi Project. An Atlas of War and Tourism in the Caucasus. Vier Jahre lang hielten sie sich in der Region auf, um die Vorbereitungsphase zu den Olympischen Winterspielen 2014 zu begleiten und zu dokumentieren. Von dem Projekt habe ich schon früh durch die genannten Quellen erfahren. So konnten wir die Veröffentlichung in Deutschland rechtzeitig reservieren, lange bevor bekannt war, dass auch die Buchvernissage im Februar stattfinden würde. Wären wir erst durch die Buchvernissage auf die Arbeit aufmerksam geworden, hätten wir den richtigen Zeitpunkt für eine Präsentation im Cicero verpasst.

Wenn man Fotoprojekte über eine so lange Zeit hinweg verfolgt, sich damit auseinandersetzt und die Bilder durch alle Redaktionsprozesse bis zum fertigen Fotoessay im Magazin begleitet – sehen die Fotostrecken dann noch so aus, wie man sich das zu Beginn ausgemalt hat?
Im Beispiel des Fotoessays der Jubiläumsausgabe, in der wir LA FRONTERA präsentierten, hätte ich mir beispielsweise gewünscht, dass wir anstatt der acht, zehn Seiten bespielt hätten. Für den Betrachter würde die Geschichte runder, hätte man vor der letzten Seite noch eine Doppelseite platziert, finde ich. Der Rhythmus zwischen großen und kleinen Formaten hätte sich dadurch besser gliedern lassen. Die Präsentation einer Arbeit als Fotoessay bedingt die Auswahl von mehreren Bildern, man entscheidet in Bezug auf verschiedene Motive als solche, jedoch auch über ihren Rhythmus zueinander. Außerdem gilt es, dem Rhythmus der Geschichte gerecht zu werden. Die Frage, wie wird die Geschichte erzählt und welche Bilder werden dazu ausgewählt, beschäftigt die Fotoredaktion, die Art-Direktion sowie die Ressorts. Die Meinungen gehen hier manchmal auseinander und natürlich fallen in solchen Prozessen Bilder weg, an denen der Einzelne gehangen hat. Kompromisse einzugehen gehört zum redaktionellen Alltag.

Was gefällt dir an der Art und Weise, wie der Fotoessay über die Arbeit LA FRONTERA von Stefan Falke erzählt wird?
Der Einstieg in das Thema funktioniert über den Aufmacher gut, weil man sogleich verortet wird. Aufgrund des limitierten Platzes von neun Magazinseiten für den Auszug aus einem so umfangreichen fotografischen Projekt, entschieden Art-Direktion und Bildredaktion, ausschließlich Portraits der Künstlerinnen und Künstler zu zeigen. Die Auswahl der Portraits fiel aufgrund des Bildmotivs, dessen Komposition und Spannung. Außerdem wollten wir verschiedene Arten von Künstlern/-innen zeigen. So gefällt mir auch die zweite Doppelseite gut. Ich hätte mir das Motiv auch kleiner abgedruckt vorstellen können, weil es großflächig und klar ist. Hingegen hätte ich das Bild des Künstlers Artierra Entonada in seinem pinken Zimmer gerne als Doppelseite gezeigt, da es dichter und damit interessanter ist.

Aufmacher des Fotoessays Mörderische Mauer, Cicero: Mai 2014, Fotos: Stefan Falke

Aufmacher des Fotoessays Mörderische Mauer, Cicero: Mai 2014, Fotos: Stefan Falke

Auszug aus dem Fotoessay Mörderische Mauer, Cicero: Mai 2014, Fotos: Stefan Falke

Auszug aus dem Fotoessay Mörderische Mauer, Cicero: Mai 2014, Fotos: Stefan Falke

Abschließend interessiert mich, warum das Cover der Cicero-Jubiläumsausgabe komplett typografisch gestaltet wurde?
Grundsätzlich schreibt das Gestaltungskonzept des Cicero-Magazins eine illustrative und keine fotografische Gestaltung der Titelseite vor. Obwohl sich unsere Ausgabe dem Titelthema Goldenes Europa – Zehn Gründe warum Europa eine goldene Zukunft hat widmet, entschied sich die Chefredaktion dafür, das zehnjährige Cicero-Jubiläum auf dem Titelbild zu thematisieren. Für die Jubiläumsausgabe bestand die Möglichkeit, das Cover in der Sonderfarbe Gold zu drucken. Nach Abwägen unterschiedlicher Ideen und Entwürfe fiel die Entscheidung, den Jubiläumstitel nicht nur farblich, sondern auch stilistisch aus unserer sonst illustrativen Cover-Gestaltung herauszuheben. So entstand die klare und ausschließlich typografische Umsetzung des Titels.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier der Artikel Goldenes Europa – Zehn Gründe warum Europa eine goldene Zukunft hat als PDF.

Hier der Fotoessay Mörderische Mauer als PDF.

Antje Berghäuser ist leitende Bildredakteurin bei der Zeitschrift „Cicero – Magazin für politische Kultur“. Sie studierte Modedesign an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee, wo sie 1993 das Diplom erlangte. 1994 ermöglichte ihr ein Künstlerstipendium des „DAAD“ (The German Academic Exchange Service) die Teilnahme an der Meisterklasse Fotografie bei Joel Sternfeld im „Master of Fine Arts Programm“ der „School for Visual Arts“, New York. Sie arbeitete als Kostümdesignerin, Art-Direktorin sowie als freie Fotografin bevor sie 2008 den Studiengang Bildredaktion an der „Ostkreuzschule für Fotografie“ in Berlin-Weissensee absolvierte. Seither arbeitet Antje Berghäuser als Bildredakteurin und Fotografin.

Hier geht’s zur Webseite von Antje Berghäuser.